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#MeToo in Science
Was hilft gegen sexuelle Belästigung an Hochschulen?

Viele Frauen erleben an Hochschulen sexuelle Diskriminierung, Belästigung oder sogar Gewalt. Aber nur wenige sprechen darüber. Allmählich entsteht an immer mehr Unis ein Bewusstsein für das Thema "MeToo": Wie könnte den Betroffenen geholfen werden, wie lassen sich Übergriffe in Zukunft verhindern?

Von Magdalena Schmude |
Eine Frau hat sich einen #MeToo-Schriftzug auf den Unterarm geschrieben.
Nicht nur in der Film- und Theaterszene, auch an Hochschulen begünstigen Machtverhältnisse sexuelle Diskriminierung (imago stock&people)
"Meiner Kollegin X wird auf einer Konferenz eine Post-Doc-Stelle von einem Professor angeboten, der ihren Vortrag nicht gehört hat. Er hat eigentlich nur einen optischen Eindruck von ihr."
"Z., die gerade mit dem Physikstudium begonnen hat, erwägt nun, dieses abzubrechen. Sie und andere Kommilitoninnen wurden von Kommilitonen permanent gemobbt und auf ihr Äußeres reduziert. In Versuchspraktika mit männlichen Studierenden durften sie zwar nicht die Versuche durchführen, sollten aber die Berichte schreiben, wodurch ihnen jetzt zum Teil das praktische Wissen für den weiteren Verlauf des Studiums fehlt."
Diese Beispiele stammen von der Webseite Gender-Macht-Wissenschaft, auf der Betroffene von ihren Erfahrungen mit sexueller Diskriminierung, Belästigung oder Gewalt im Kontext von Wissenschaft und Forschung berichten. Sie zeigen: Auch heute sind Frauen an Hochschulen oder Forschungseinrichtungen Betroffene. Alle Berichte sind anonym.

Über sexuelle Belästigung wird an Hochschulen zu wenig gesprochen

Denn auch wenn immer wieder Einzelfälle in den Medien auftauchen - über den Großteil der Vorfälle wird nicht öffentlich gesprochen, sagt Beate von Miquel, Geschäftsführerin des "Marie Jahoda Center für Internationale Geschlechterforschung" an der Ruhr-Universität Bochum:
"Es ist natürlich klar, dass die Betroffenen damit nicht viel nach draußen gehen, weil es das auch immer noch schambesetzt ist, z.B. von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt betroffen zu sein. Und auch aufseiten der Hochschulen ist es so, dass nicht gerne darüber gesprochen wird, weil die Hochschulen auch fürchten, in mindestens ein schiefes Licht gerückt zu werden. Dass es tatsächlich an Hochschulen nicht nur um Forschung und Lehre geht, sondern dass es eben auch sexualisierte Diskriminierung und Gewalt dort gibt."
Ähnlich hat es auch ihre wissenschaftliche Mitarbeiterin Laura Chlebos erlebt, die als Studentin selbst von einem Dozenten belästigt wurde: "Also ich habe mich an die Uni gewandt, aber ich hatte auch das Gefühl, dass man nicht so gerne darüber reden wollte. Man wollte dieses Problem unter der Hand lösen. Aber das war für mich als Betroffene natürlich total entmutigend, auch beschämend. Und ich hatte tatsächlich auch eine Zeit lang wirklich Angst, mich in der Uni aufzuhalten."

Abhängigkeiten und Machtverhältnisse begünstigen Übergriffe

Universitäten und Hochschulen als Ort von Wissenschaft und Bildung sind nicht nur keine Ausnahme, wenn es um sexuelle Diskriminierung und Belästigung geht. Sie bieten auf Grund ihrer besonderen Struktur auch besonders viele Gelegenheiten für derartige Übergriffe, sagt Beate von Miquel:
"Die Hochschule ist ja ein sehr heterogener Raum mit ganz unterschiedlichen Gruppen, die da aufeinandertreffen. Also es gibt die Studierenden, es gibt Personen, die sich akademisch qualifizieren, also die Doktorarbeiten schreiben, die Habilitation schreiben oder Juniorprofessor sind. Es gibt dann die etablierten, unbefristet beschäftigten ProfessorInnen und da ist natürlich ein enormes Gefälle. Es gibt ein enormes Machtgefälle. Und daraus ergibt sich eine Gemengelage, die tatsächlich auch anfällig ist für sexualisierte Diskriminierung und Gewalt."

Kaum belastbare Zahlen über Betroffene

Obwohl das Problem nicht neu ist, existieren nach wie vor kaum belastbare Zahlen dazu, wie häufig Hochschulangehörige betroffen sind. Eine der wenigen Studien stammt aus dem Jahr 2011, darin gaben knapp 55 Prozent der in Deutschland befragten Studentinnen an, mindestens einmal sexuell belästigt worden zu sein. Als ehemalige Gleichstellungsbeauftragte und Expertin für Geschlechterforschung vermutet Beate von Miquel, dass die Dunkelziffer deutlich höher ist:
"Allein schon die Tatsache, dass das die einzige große Studie ist, die es gibt, zeigt, wie groß der Bedarf ist, hier weiter zu forschen. Und wir gehen alle davon aus, dass in dem Moment, wo wir das tun, wo wir stärker danach fragen und wo wir Hochschulen besser untersuchen, dass auch mehr Fälle zutage treten und man ein genaueres Bild davon bekommt, wie die Situation von Studierenden und Nachwuchswissenschaftlern beziehungsweise auch Beschäftigten ist."
Als Betroffene aus der Filmbranche im Oktober 2017 unter dem Hashtag "MeToo" von ihren Belästigungserfahrungen berichteten, bekamen sie weltweit Aufmerksamkeit. Sie stießen damit auch Diskussionen in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen an, auch in Wissenschaft und Forschung.

Hochschulrektorenkonferenz formuliert Qualitätsstandards

Auch die Hochschulrektorenkonferenz äußerte sich schließlich ein halbes Jahr später zum Thema und formulierte Qualitätsstandards für den Umgang mit sexualisierter Diskriminierung, Belästigung und Gewalt. Doch selbst wenn es an den meisten Hochschulen mittlerweile entsprechende Richtlinien gibt, bleiben die übergeordneten rechtlichen Rahmenbedingungen schwierig. Denn das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das auch für Hochschulen gilt, verbietet zwar seit 2006 sexuelle Belästigung, doch es hat eine Lücke. Beate von Miquel:
"Und das große Problem für uns an den Hochschulen ist tatsächlich, dass es zwar die Beschäftigten umfasst, aber eben leider nicht dezidiert auch die Studierenden umfasst, sondern eben nur einen sehr allgemeinen Bildungsbegriff benutzt, der dann dazu führt, dass es an Hochschulen viel Rechtsunsicherheit gibt darüber: Passt das jetzt oder passt das nicht? Und man kann feststellen in der juristischen Alltagspraxis an Hochschulen, dass die Auslegung eher die ist: Naja, es passt nicht so ganz."

Rechtliche Lücken erschweren die Sanktionierung

In der Praxis heißt das: Studierende, die von Mitarbeitenden der Hochschule belästigt werden, sind durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht ausreichend geschützt. Auch für Vorfällen zwischen Studierenden fehlt ein klarer rechtlicher Rahmen. Den könnten die Landeshochschulgesetze geben, doch mit Ausnahme von Baden-Württemberg gibt es bisher keine entsprechenden Ergänzungen. Ein weiteres Problem: Sind die Täter oder Täterinnen verbeamtet, erschwert das mögliche Verfahren. Beate von Miquel:
"Das Beamtenrecht hat nochmal ganz andere Gesetzmäßigkeiten und schützt die Beamten und Beamtinnen ganz massiv. Und es ist tatsächlich nicht leicht, Beschäftigte oder Beamtinnen und Beamte, die die übergriffig werden, auf der Basis des Beamtenrechts tatsächlich auch zu sanktionieren."
Für Christina Reinhardt, Kanzlerin der Ruhr-Universität, ist das im Ernstfall kein Hinderungsgrund: "Ich sage nicht, dass es unkompliziert ist, aber es wäre nicht richtig, sich von diesen Wenn und Abers und diesen etwaigen Schwierigkeiten abhalten zu lassen. Also es gibt irgendwie für jede Art von Rechtsbeziehungen, die wir mit Hochschulangehörigen haben, natürlich Instrumente. Wenn man einen Beamten hat, kann man Disziplinarverfahren eröffnen. Wenn man einen Angestellten hat, kann man abmahnen und so weiter."
Ruhr-Universität Bochum, Audimax
An der Ruhr-Universität Bochum wird das Thema #MeToo in Science ernstgenommen - an anderen Hochschulen gibt es möglicherweise Nachholbedarf (Mia Trautmann)

Klare Haltung und Gegenmaßnahmen als Führungsaufgabe

Christina Reinhardt sieht dabei auch die Hochschulleitungen in der Pflicht, eine klare Haltung zu entwickeln: "Ja klar, weil mit dem, was man in der Hochschulleitung tut, wirkt man ja als Vorbild. Setzt man einen Stil, setzt man Themen. Und daran orientieren sich die Hochschulangehörigen."
Die Kanzlerin der Bochumer Ruhr-Universität sagt: Nach wie vor sei das Thema vielen schlicht nicht präsent. "Was mir öfters auffällt ist, dass es auch Hochschulangehörige gibt, die in irgendwelchen verantwortungsvollen Positionen sind, sei es jetzt irgendwie in der Studienberatung, im Dekanat, auf dem Prüfungsamt oder eben in der Lehre, die vielleicht auch manchmal Zeichen nicht erkennen. Oder vielleicht auch auf Anliegen, die formuliert werden oder Beschwerden, die eingereicht werden, aber falsch reagieren, gar nicht mal so bösartig und schlecht sind, sondern weil sie es nicht besser wissen. Aber da muss man noch mehr investieren, da auch die Leute zu schulen."

Mehr Aufklärung soll Betroffenen helfen

Auch viele Betroffene wüssten nicht, an wen sie sich an ihrer Hochschule wenden könnten, sagt Beate von Miquel. Vielen sei zum Beispiel nicht klar, dass es meist eine Gleichstellungsbeauftragte gibt. Was könnte helfen? "Es braucht mehr Aufmerksamkeit für dieses Thema und es braucht vor allem auch starke Umsetzungen, Konzepte. Also man darf nicht nur darüber reden, sondern es muss tatsächlich auch an Hochschulen etwas und den außeruniversitären Forschungseinrichtungen auch etwas passieren, damit eben alle sich sicher fühlen können, dass sie ihre akademischen Ziele oder ihre wissenschaftlichen Ziele auch erreichen."
Um diese Aufmerksamkeit zu schaffen, gibt es an der Ruhr-Universität Bochum deshalb die Kampagne "Unser Campus". Mit Flyern, Plakaten und einem Online-Selbstlernkurs sollen alle Universitätsangehörigen für Diskriminierung und Belästigung sensibilisiert werden. Laura Chlebos, die selbst davon betroffen war, hat die Kampagne betreut:
"Unser Ziel ist es, erst eine offene Kommunikation über das Thema herzustellen, also eine Entstigmatisierung im Endeffekt herbeizuführen. Wir wollen eine breite Öffentlichkeit über das Thema informieren. Und wie gesagt, dafür auch gerade die Leute sensibilisieren, die erst einmal nicht davon betroffen sind und erst einmal denken, sie haben nichts mit dem Thema zu tun. Denn im Endeffekt haben alle etwas damit zu tun bzw. können dazu beitragen, sexualisierte Diskriminierung und Gewalt abzubauen. Und da wollen wir ja Handlungsorientierung mit an die Hand geben."

Studierende als Ansprechpartner für Studierende

Eine andere Hochschule mit einem eigenen Handlungskonzept ist die duale Hochschule Villingen-Schwenningen. Ende 2020 entstand dort das sogenannte Achtsamkeits-Team, kurz A-Team, in dem sich Studierende als Ansprechpersonen für ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen zur Verfügung stellen. Die Gruppe von etwa 30 Studierenden hat sich mit Hilfe einer Schulung darauf vorbereitet, auch belastende Gespräche auszuhalten. Maria Ludwigs ist eine von ihnen:
"Zum einen ist mir das Phänomen sexualisierter Belästigung natürlich selber bekannt aus dem Alltag, mir und meinen Freundinnen. Es ist vielen schon mal passiert. Man kennt es. Und deshalb bin ich Teil dieses Teams geworden, damit wir gemeinsam schauen, wie man so tief verwurzelte gesellschaftliche Strukturen wie sexualisierte Gewalt gemeinsam verändern können."
Auch Natalie Schoch engagiert sich im Achtsamkeits-Team der Hochschule: "Meine Intention war es vor allem, weil ich neben dem aufmerksam machen auf das Problem, neben dem Sprechen über das Problem, vor allem aber einen Raum gestalten wollte, in dem Betroffene angemessene Reaktionen erhalten. Also in dem ihnen zugehört wird, in denen keine Bagatellisierung erfolgt, in dem ihnen keine Schuld zugewiesen wird. Ein Raum, in dem sicher und angstfrei die Erlebnisse besprochen werden können."

Betroffene entscheiden selbst über weitere Schritte

Die beiden Studentinnen hoffen, dass sich andere Studierende ihnen gegenüber eher trauen, Probleme anzusprechen als zum Beispiel bei einer Gleichstellungsbeauftragten. Es gibt zwar einen Leitfaden und alle Gespräche sollen dokumentiert werden. Wie es danach weitergeht, und ob überhaupt weitere Schritte eingeleitet werden, darüber entscheiden die Betroffenen selbst. Maria Ludwigs:
"Also das, was wir machen, ist wirklich aktives Zuhören. Und dann, wenn das gewünscht ist, in dem Moment eine weitere Vermittlung an beratende, therapeutische, juristische Institutionen, die dann weiter mit der Person zusammenarbeiten können. Allerdings machen wir keine Beratungsgespräche."
Für beide ist es wichtig, dass auch sie selbst innerhalb des Teams gut unterstützt werden, um mit potentiell belastenden Gesprächen umgehen zu können. Die Rückmeldungen ihrer Mitstudierenden auf ihr Engagement sind positiv, sagen sie. Und beide hoffen, damit einen Beitrag dazu zu leisten, dass der Hashtag #MeToo in Science irgendwann nicht mehr nötig sein wird.
"Ich glaube, das ist eine schwierige Aufgabe, eine Mammutaufgabe. Aber es ist auf jeden Fall Zeit, das anzugehen. Man muss jetzt etwas machen."