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Nationales Forschungsprojekt
Wissenschaftler untersuchen den illegalen Handel mit Kulturgütern

Mit Bildern und Videos von zerstörten Museen, zerschlagenen Skulpturen oder vernichteten Kunstwerken brüstet sich die Terrororganisation IS gerne im Internet. Der Handel, den sie im Verborgenen mit dem Verkauf von Kulturgütern aus den von ihnen besetzten Gebieten betreiben, ist dagegen weit weniger dokumentiert. Das wollen Wissenschaftler nun ändern.

Von Eva-Maria Götz | 25.02.2016
    "Deutschland muss endlich seinen Beitrag leisten, zur Eindämmung des illegalen Handels mit Kulturgütern. Hier geht es um nichts weniger als den Schutz des internationalen weltweiten kulturellen Erbes der Menschheit."
    Mahnte Kulturstaatsministerin Monika Grütters in der vergangenen Woche anlässlich der Veröffentlichung des Entwurfs des Kulturgutschutzgesetzes im Bundestag. Doch um den Handel einzudämmen, muss man zunächst einmal verstehen, wie er genau funktioniert. Und das ist gar nicht so einfach. Prof. Dr. Markus Hilgert, Direktor des Vorderasiatischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz und Verbundkoordinator von ILLICID:
    "Man kennt nicht die genauen Zahlen, man weiß wenig über die Akteure und ihre Netzwerke, man versteht sehr wenig über die Wege, die illegal ausgegrabene Kulturgüter von ihrem Ursprungsort bis in den Handel nehmen. Ob sie überhaupt in den regulären Handel kommen, all das wissen wir nur sehr unvollständig."
    Auf Satellitenbildern von den besetzten Gebieten im Nordirak sind die Mondlandschaften zu erkennen, die die Raubgrabungen hinterlassen haben: ein Loch neben dem anderen, quadratkilometerweit. Doch was dort genau geschieht, weiß man nicht.
    "Wir verfügen über recht gute Kontakte, die uns zumindest prototypische Geschichten vermitteln über die Art und Weise, wie Objekte ausgegraben werden, wie Objekte an Mittelsmänner weitergegeben werden. Das sind natürlich Geschichten, die man vom wissenschaftlichen Standpunkt her mit Vorsicht genießen muss, weil es letztlich Hörensagen ist. Andererseits ist eine systematische Sammlung solcher Geschichten nicht uninteressant, weil man Handlungsmuster erkennen kann und das ist das, worum es uns wirklich geht."
    Kombination aus Befragung, Internetrecherche und Identifizierung
    Dunkelfeldforschung betreiben die Akteure beim interdisziplinären Forschungsprojekt ILLICID und haben dafür eine außergewöhnliche Expertenrunde zusammengesetzt. Neben den Archäologen und Altertumswissenschaftlern des Vorderasiatischen Museums sind beteiligt das Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie (SIT) in Darmstadt und das Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften GESIS in Mannheim. Die Arbeitsteilung sieht so aus:
    "Die Altertumswissenschaften, die hier angesiedelt sind, sind dafür zuständig, die Objekte zu begutachten, die Objekte zu identifizieren. Da geht es zunächst einmal darum, festzustellen, ob die Objekte authentisch sind, ob es sich um Fälschungen handelt. Es geht darüber hinaus darum, die Herkunft der Objekte zu bestimmen. Da wird es schon schwieriger, da muss man teilweise sehr viel Grundlagenforschung auch investieren, um nicht nur eine Region, einen Staat, sondern auch eine bestimmte Fundstätte identifizieren zu können. Das heißt, bei uns laufen die Informationen zu dem Objekt zusammen."
    Das Fraunhofer Institut für sichere Informationstechnologie beobachtet und untersucht den Handel im Internet.
    "Da geht es sowohl um das offene Internet als auch teilweise um das Deep Net oder das Dark Net. Auch das sind Bereiche, die für uns wichtig sind. Da werden zum einen Crawling-Methoden entwickelt, also automatisierte Suchprozesse, als auch Datenbanken, die eine langfristige Speicherung ermöglichen."
    Das Leibnitz-Institut für Sozialwissenschaften in Mannheim als drittes Mitglied im Forschungsverbund bereitet derzeit eine Umfrage unter Akteuren vor, die relevant sind für den Handel mit Kulturgütern. Gefragt wird nach dem Geschäftsgebaren. Es geht um das Objektaufkommen, um die Einschätzung von Angeboten und darum, überhaupt einmal eine Vorstellung davon zu bekommen, wie sich der Markt zusammensetzt und wie er untereinander vernetzt ist. Markus Hilgert:
    "Mit den Daten, die wir nach und nach sammeln, wollen wir eben auch den Ermittlungsbehörden Bilder von Objekten zur Verfügung stellen, aber auch Beschreibungsmöglichkeiten an die Hand geben, um im Zweifelsfalle eben sagen zu können, das könnte ein Objekt sein, was aus einem Land ausgeführt wurde, aus dem gar keine archäologischen Güter ausgeführt werden."
    Diese Kombination aus Befragung, Internetrecherche und Identifizierung wird bei anderen kriminellen Märkten bereits mit Erfolg angewandt. Für die Altertumsforscher ist das Neuland.
    "Wir sind ein wissenschaftliches Forschungsprojekt, das heißt, wir versuchen, mit wissenschaftlichen Methoden zunächst einmal das zu ermitteln, was im offenen Handel verfügbar ist. Das heißt, wir schauen uns zum Beispiel Ladengeschäfte an, wir sind auf Fachmessen unterwegs, wir schauen uns Angebote im Internet an. Die Objekte sind meistens bebildert. Und anhand dieser Informationen versuchen wir, uns ein Bild von den Auszeichnungspraktiken des Handels zu machen."
    Umsatzzahlen können nur geschätzt werden
    Der Handel ist davon wenig begeistert. Schon als erste Details des Kulturgutschutzgesetzes bekannt wurden, gab es Proteste: Händler fürchteten zum einen eine Vorverurteilung und zum anderen das völlige Erliegen auch des legalen Marktes, wenn die geplante ganz genaue Kennzeichnung aller gehandelten antiken Gegenstände wirklich zur Pflicht würde. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie lange die Objekte schon aus ihren Ursprungsländern ausgeführt sein müssen, um den Status legal zu erhalten.
    Auch das Forschungsvorhaben wird argwöhnisch beobachtet, wie Markus Hilgert bestätigt. Der Verbundkoordinator von ILLICID ist zurückhaltend, wenn er über die Schwierigkeiten, legalen von illegalem Handel zu unterscheiden, spricht. Deutlicher wird da Professor Alexander Pruß vom nicht an ILLICID beteiligten Institut für Altertumswissenschaften der Gutenberg-Universität Mainz:
    "Was den Alten Orient angeht, für den ich mich kompetent fühle, muss man davon ausgehen, dass es überhaupt nichts von dem, was heute im Handel ist, wirklich da legal hingekommen ist. Von ganz ganz wenigen in der Regel gut dokumentierten Dingen abgesehen, muss man davon ausgehen, dass alles, was im Handel ist, aus Raubgrabungen stammt und illegal aus den Herkunftsländern ausgeführt wurde."
    Wie der Handel genau funktioniert, darüber kann auch Alexander Pruß nur spekulieren. Als wahrscheinlich gilt mittlerweile, dass der IS Grabungslizenzen vergibt, ähnlich, wie es im Bergbau üblich ist. Auf die so ans Tageslicht beförderten Kulturgüter, in der Regel Schmuckstücke aus Stein oder Metall, Terrakotten, Münzen oder Schrifttafeln, müssen Steuern bezahlt werden. Dann geht die Ware ins Ausland.
    "Man kann annehmen, dass vieles in Zollfreilager kommt in gewisse Zwischenhandelsplätze, dort gelagert wird, man hofft, dass erst mal ein bisschen Gras über die Sache wächst. Und man das in ein paar Jahren besser, ungehinderter verkaufen kann."
    Wie viel Umsatz der sogenannte Islamische Staat mit dem Kulturguthandel macht, kann man bisher nur schätzen. ILLICID- Koordinator Markus Hilgert spricht von einer Größenordnung von zwischen fünf bis 20 Millionen Dollar im Jahr.
    "Wichtig ist, dass diese Quelle der Finanzierung ausgetrocknet wird. Und da beginnt man natürlich beim Abnahmemarkt. Denn in dem Moment, wo es keinen Markt mehr gibt und die Absatzchancen gering sind und der Verdienst unattraktiv, in dem Moment lohnt es sich nicht mehr, illegal zu graben."
    Ein Beitrag zur transformativen Wissenschaft sei der Forschungsverbund, meint Markus Hilgert, der Versuch, mit wissenschaftlichen Methoden gesellschaftlich wichtige Fragen zu lösen.
    "Kleine Fächer werden oft nach gesellschaftlicher Relevanz gefragt und im Bereich des Kulturgutschutzes haben die sogenannten Kleinen Fächer, die über hohe Kompetenz verfügen, immer die Möglichkeit, in die Gesellschaft hineinzuwirken. Für mich als Assyriologen, als jemandem, der Keilschrift gelernt hat, ist es natürlich großartig, dass er dieses Wissen um die materielle Kultur des antiken Zweistromlandes jetzt eben für eine akute politische Frage einsetzen kann, da ist diese Form der transdisziplinären Forschung eine wunderbare Sache."