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Neandertaler
Früheres Ende als gedacht

Auch 158 Jahre nach Entdeckung der ersten Neandertaler-Knochen ist immer noch nicht abschließend geklärt, wann die Neandertaler ausgestorben sind. Über die jüngsten Befunde berichtet der Wissenschaftsjournalist Michael Stang im Gespräch mit Uli Blumenthal.

Michael Stang im Gespräch mit Uli Blumenthal | 21.08.2014
    Die Nachbildung eines älteren Neandertalers im Neandertal-Museum in Mettmann.
    Die Nachbildung eines älteren Neandertalers im Neandertal-Museum in Mettmann. (picture-alliance/ dpa - Federico Gambarini)
    Uli Blumenthal: Auf welchen Zeitraum wird das Ende der Neandertaler nun neu datiert?
    Michael Stang: Zusammengefasst sieht es so aus, dass dieser Aussterbeprozess der Neandertaler schon früher als bislang angenommen begonnen hat, und zwar schon vor 40.000 Jahren. Und man erkennt dabei auch deutlich einen Verlauf von Norden nach Süden. Zusammenfassend kann man auch sagen, dass der ganze Aussterbeprozess viel komplizierter und vielschichtiger war, als bisher vermutet. Aber von einem abrupten Verschwinden, wie es einige bislang angedacht haben, kann keine Rede sein.
    Blumenthal: Nun ist diese Forschergruppe, die aktuell in "Nature" publiziert, nicht die erste, die über das Neandertalerende forscht. Was haben die Wissenschaftler anders gemacht in diesem Fall?
    Stang: Also neu hier war, dass wirklich disziplinübergreifend versucht wurde, diesen ganzen Aussterbeprozess nachzuvollziehen und nicht nur an einigen wenigen Ausgrabungsstätten, sondern an vielen. "Vielen" heißt hier: 40 Fundstellen aus Europa. Es fängt an ganz im Osten in Russland, bis weit in den Westen hinein nach Spanien. Diese Fundstellen stammen alle aus der Zeit von vor 50.000 Jahren bis 25.000 Jahren vor heute. Und dort wurden die Nachlässe in diesen Fundplätzen, also Schmuck, Werkzeuge, Knochen neu datiert, mithilfe der Beschleuniger-Massenspektrometrie, da kann man wirklich exakt, viel exakter als mit der C-14-, dieser Radiokohlenstoffdatierung, datieren, wann die Neandertaler dort verschwanden, wie lange sie vor, teilweise auch parallel mit unseren Vorfahren gelebt haben, und wo dieser ganze Übergang vonstatten ging. Denn es gab ja auch einige kulturelle Umbrüche, das macht diese ganze Interpretation recht schwierig.
    Blumenthal: Kann man feststellen, dass zwei Dinge diese neue Studie auszeichnen: Erstens, dass man mehr Fundstellen untersucht hat, und dass man zweitens eine neue Untersuchungsmethode eingesetzt hat?
    Menschenformen lebten lange nebeneinander
    Stang: Genau. Das Schwierige hieran ist, wenn neue Waffen oder Werkzeuge auftauchen, dass bislang diese alte Rechnung ergab: Alte Sachen oder alte Techniken: Neandertaler. Auf der anderen Seite die neuen Sachen wurden direkt mit den anatomisch modernen Menschen, unseren direkten Vorfahren, assoziiert. Das heißt aber nicht unbedingt, dass nicht auch Neandertaler neue Waffen und Werkzeuge benutzt haben. Und das zeigt jetzt auch, dass diese parallele Lebensweise dieser beiden Menschenformen sehr lange war: 2600 bis 5400 Jahre, sagen die Forscher, haben diese beiden Menschengruppen nebeneinander gelebt. Man weiß auch, dass es Austausch von Geschlechtspartnern gab, das heißt, dass Kinder aus diesen Beziehungen hervorgegangen sind. Menschen außerhalb Afrikas heute tragen rund zwei Prozent ihres Erbguts direkt von den Neandertaler in sich. Aber man sieht jetzt auch, dass dieser Punkt, diese Transition, wann die anatomisch modernen Menschen den Neandertaler verdrängt haben, dass das nicht ad hoc passierte, sondern ein langer, schleichender Prozess war.
    Blumenthal: Gut, nun wissen wir, dass der Neandertaler ausgestorben ist. Die Frage ist, wie gesagt, wann und wo ist das den Erkenntnissen zufolge passiert? Was sagt denn die Untersuchung dazu?
    Neandertaler starben schon vor 39.000 Jahren aus
    Stang: Also es gibt definitiv keine Nachweise, die das Moustérien... die mit dem Neandertaler einhergehen, die jünger als 39.000 Jahre sind. Das heißt, die Forscher sagen jetzt: Nach 39.000 Jahren war eigentlich Schluss, es gab vielleicht noch einzelne Neandertaler versprengt, aber diese 40 Plätze, die jetzt repräsentativ sein sollen, die zeigen nicht an, dass noch Neandertaler länger überlebt haben. Das heißt, die sind tatsächlich früher ausgestorben als bislang gedacht.
    Blumenthal: Sitzen wir in ein oder zwei Jahren wieder hier und berichten von neuen Untersuchungen und neuen Datierungen und über ein neues Ergebnis, was das Ende des Aussterbens des Neandertalers anbetrifft, oder sind jetzt alle Fragen geklärt?
    Stang: Restlos geklärt würde ich nicht sagen. Mann hat zwar 40 Plätze, die repräsentativ sind, über alle Länder verteilt. Aber zum Beispiel aus Deutschland ist nur eine Fundstelle, das Geissenklösterle aus Blaubeuren, dabei. Das heißt, man kann nicht alle Fragen generell klären. Das ist eine Population, die 150.000 Jahre in Europa gelebt hat, die Neandertaler waren weit verbreitet. Das nun auf wenigen Punkte festzumachen, ist relativ schwierig. Was aber klar ist, ist, dass die Neandertaler auch diese neuen Werkzeuge teils benutzt haben und sie sind früher ausgestorben, als bislang gedacht. Was aber nicht geklärt ist, was diese Studie auch nicht klären kann: Warum die Neandertaler ausgestorben sind?