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Kriegsopfer, Mafiosi und Silver Surfer

Starkes Kino mit Gewalthintergrund: Im Drama "Innen Leben" taucht der Zuschauer ein in den syrischen Bürgerkriegsalltag und im Thriller "Das Land der Heiligen" steht die weibliche Seite der Mafiosi-Clans im Vordergrund. Leichtfüßiger kommt "Monsieur Pierre geht online" daher.

Von Hartwig Tegeler | 21.06.2017
    Delhani (Juliette Navis) und Oum Yazan (Hiam Abbass) blicken auf den Krieg vor der Tür
    Delhani (Juliette Navis) und Oum Yazan (Hiam Abbass) blicken auf den Krieg vor der Tür (© Weltkino)
    "Innen Leben" von Philippe van Leeuw
    Eine aktuelle … und eine universelle Geschichte erzählt Philippe van Leeuw in seinem Film "Innen Leben": draußen ist Krieg, Bürgerkrieg, Syrien oder irgendwo anders. Drinnen, das ist die Wohnung von Oum Yazan, der resoluten Frau, die nicht weiß, ob sie schon Witwe geworden ist.

    "Aus diesem Zuhause wird mich niemand vertreiben, niemand! Verstehst du das?"
    Drinnen gibt es manchmal Gas, manchmal Wasser, die Vorhänge sind zugezogen, um Scharfschützen kein Ziel zu bieten.
    "Halimas Mann ist tot. Sie haben ihn draußen erschossen. Auf dem Parkplatz."
    Drinnen sind Oums große Familie und die ausgebombten Nachbarn, denen die Frau eine Zuflucht geboten hat. Doch im Haus sind auch Männer, die plündern und mehr wollen.
    "Innen Leben"-Regisseur Philippe Van Leeuw sagt, er wolle unabhängig von der Katastrophe in Syrien und anderswo - "ob heute oder in vergangenen Zeiten" - den Blick auf die "Würde der zivilen Bevölkerung richten, die in modernen Kriegen mehr und mehr die Leidtragende ist".
    "Innen Leben", dieser bestürzende wie intensive Film über den Terror des Krieges, wird diesem Anspruch ganz gerecht. Und Hauptdarstellerin Hiam Abbass, die israelisch-arabische Schauspielerin, die schon in "Die syrische Braut", "Paradise Now" oder "Lemon Tree" eine grandiose Vorstellung gab, verleiht ihrer Figur Oum ebenfalls genau dies: eine große Würde.
    "Sie sind eine tapfere Frau." - "Wir sind alle tapfer."
    "Innen Leben": herausragend

    "Das Land der Heiligen" von Fernando Muraca
    "Der, der Ihr Auto zertrümmert hat, war der Cousin vom Boss," sagt Domenico, der Polizist und Mitarbeiter der Richterin. "Wissen Sie das oder raten Sie?" "Beides," meint der Polizist, "wir verpassen ihm einen Denkzettel." "Ich mag diese Methoden nicht," sagt die Richterin, aber sie wird sich noch umorientieren, hier, im fremden Süden.
    Die Richterin Vittoria kommt aus Norditalien. Und da ist im Film "Das Land der Heiligen" noch diese andere Frau, fest verwoben in die Ndrangheta, die Mafia in Kalabrien. Die Richterin will das Schweigen der Frauen brechen, weil sie weiß, dass die Ehefrauen und Mütter die Basis des verbrecherischen Systems bilden.
    Fernando Muracas Mafia-Thriller "Das Land der Heiligen" nimmt dabei ganz die Perspektive der Richterin und der von Assunta, der Schwägerin vom Boss, ein. Beide sind keine Opfer, sondern in ihrer jeweiligen Welt wichtige Machtfaktoren. Im zentralen Dialog droht die Richterin, der Mafia-Mutter das Sorgerecht für ihre Kinder zu entziehen.
    "Was bist du für eine Frau, die den Müttern die Kinder wegnimmt?" "Und was bist du für eine Mutter", antwortet die Richterin, "die ihre Kinder umbringen lässt?"
    "Das Land der Heiligen" zieht seine Dramatik weniger aus genreüblichen blutigen Shootouts, sondern aus den Konfliktlinien, die für die Frauen in dieser ehernen Gesellschaft schwelen. Anders als in den Antimafia-Filmen der 1970er und 80er Jahre oder in der vor knapp zehn Jahren entstandenen Roberto-Saviano-Verfilmung "Gomorra" aber gibt es in "Das Land der Heiligen" einen kleinen Hoffnungsschimmer: Die Mutter aus dem Mafia-Clan und die Richterin beginnen miteinander - nicht freiwillig, aber sie beginnen - miteinander zu sprechen.
    "Das Land der Heiligen" im italienischen Original mit deutschen Untertiteln: empfehlenswert
    "Monsieur Pierre geht online" von Stéphane Robelin
    Ja, das Alter, ...
    "Das ist ja eine Teufelsmaschine!"
    … das Alter und das Internet.
    "Nie hätte ich mir vorstellen können, mit tausenden von Frauen Kontakt aufzunehmen zu können."
    Pierre ist 80, Witwer, vermisst seine Frau, bekommt von seiner Tochter einen Laptop, nimmt online Kontakt zu einer einsamen Frau auf. Die ist wunderschön, aber viel zu jung. Und nun muss für den realen Kontakt Pierres Computerlehrer ran, denn mit dessen Konterfei hatte sich der Rentner auf dem Online-Portal verewigt.
    "Eines macht mir zu schaffen. Das ist die Verabredung morgen." - "Sie haben eine Verabredung?" - "Sie müssen für mich hingehen."
    "Monsieur Claude und seine Töchter", die "ziemlich besten Freunde", "Willkommen bei den Sch'tis" inklusive einem "Monsieur Henri" und dazu gibt's vielleicht "Birnenkuchen mit Lavendel" inklusive wohltemperierter Drehbuchklischees und vor allem Feel-good-Atmosphäre. Kurzum, die französischen Sommerkomödien überfluten uns wie eh und je. Jetzt ist eben Monsieur Pierre dran - gespielt vom französischen Schauspieler-Urgestein Pierre Richard.
    "Wie alt ist sie?" - "31." - "Und durchs Internet haben Sie sich kennengelernt?" - "Ja, ja." - "Nein, nein, viele Menschen lernen sich durchs Internet kennen." - "Jedenfalls ist es sehr praktisch und viel romantischer, als man es sich vorstellt."
    Und wenn alle aus "Monsieur Pierre geht online" nicht gestorben sind, "kriegt" der junge Mann die hübsche junge Frau und der alte Pierre, der online gegangen ist, ist ein wenig zufriedener. Und wenn sie nicht gestorben sind … kommt die nächste französische Sommerkomödie. Bestimmt.
    "Monsieur Pierre geht online": enttäuschend