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Neues Album von Ezra Furman
"Aufbrechen - das ist deine letzte Waffe"

Den Zuständen in den USA stellt Ezra Furman ein schlechtes Zeugnis aus: "Das emotionale Wetter ist derzeit sehr von Angst erfüllt", sagte der Musiker mit Blick auf die Lage von Frauen, Flüchtlingen und queeren Menschen. Auf seinem neuen Album hört man statt des beschwingten Saxophons laute Schreie aus Horrorfilmen.

Ezra Furman im Gespräch mit Adalbert Siniawski |
    Der amerikanische Musiker und Songschreiber Ezra Furman bei einem Auftritt in Liverpool, Merseyside, United Kingdom.
    Der amerikanische Musiker und Songschreiber Ezra Furman bei einem Auftritt in Liverpool, Merseyside, United Kingdom. (imago/ZUMA Press)
    Adalbert Siniawski: Ezra Furman, in einem Interview haben Sie erzählt: Der Handlungsstrang ist wie folgt: Ich bin verliebt in einen Engel. Der Staat ist hinter uns her, wir müssen unser Zuhause verlassen, weil Engel illegal sind, genauso illegal, wie Engeln Unterschlupf zu gewähren. "Transangelic Exodus" ist das Thema des Albums. Songs wie "Driving Down to L.A." erinnern an ein Roadmovie: Mit zwei Protagonisten, die in einem schnellen Auto flüchten, die gejagt werden von Neo-Nazis. Das klingt sehr nach einem Konzeptalbum. Hat Sie dieses Genre "Roadmovie" dazu inspiriert?
    Ezra Furman: Ja, es gibt einige Roadmovies, die ich mag. Ich liebe Filme und Romane. Und ich habe es zugelassen, dass diese langen Erzählformate das Album beeinflussen. Ich wollte es wie ein gutes Buch gestalten, oder wie einen guten Film. Es sieht so aus, als ob die Songs etwas gemeinsam haben - dieselben Themen, die gleichen Figuren, die immer wieder auftauchen. Und ich musste mir Mühe geben, dies alles zusammenfließen zu lassen, um daraus so etwas wie ein träumerisch-episches Gedicht zu kreieren.
    "Immer weiter rennen"
    Siniawski: Ja, es kommt einem vor wie ein Traum, aber auch wie ein Alptraum, wenn ich das so sagen darf. Im Eröffnungsstück des Albums singen Sie: "Engel, hör auf es zu bekämpfen! Für sie werden wir immer nur Freaks sein." Das klingt so verzweifelt; als ob ihre Protagonisten den Kampf gegen die feindliche Umgebung verloren hätten. Ich dachte mir: Warum geben sie auf? Warum schlagen sie nicht zurück?
    Furman: Nun, auch wenn du dich komplett in der Minderheit fühlst und total abgekämpft bist: Was du immer noch tun kannst, ist rennen und immer weiter rennen. Darum geht es: Manchmal muss man nach einer Weile die Gegend verlassen und einfach aufbrechen - das ist deine letzte Waffe. Es geht auch um das Gefühl, sich als Individuum gegen ein mächtiges System zu stellen, das dich in die Falle locken will oder Gewalt antun. Dieses Gefühl möchte ich wachrufen.
    Siniawski: Ich würde Sie als queer bezeichnen - ich weiß nicht, ob ich damit richtig liege. Sie sind Cross-Dresser, tragen Frauenkleider. Als Künstler sind Sie vielleicht so etwas wie ein Vorbild für die schwule oder queere Community. Aber wenn wir auf die USA schauen, dann ist da ein Präsident, der Transgender aus der Armee herausschmeißen will, ein Präsident, der Minderheiten unterdrückt. Und dann gibt es Neo-Nazi-Aufmärsche wie in Charlottesville - ein Thema, das auch im Song "Driving Down to L.A." anklingt. Wie sehen Sie in dieser Situation Ihre Arbeit als Künstler?
    Furman: Ich versuche nicht, Journalismus zu machen. Ich versuche, einen emotionalen Wetterzustandsbericht zu erstellen. Und das emotionale Wetter ist derzeit sehr paranoid, von Angst erfüllt. Aber auch mit einem großen Maß an wachsender Solidarität zwischen Menschen, die sich Sorgen machen um jene, die verletzlich sind. Derzeit gibt es weltweit viele Communities, die in Gefahr sind. Ich versuche, mit den Bedrohten solidarisch zu sein. Und das ist nur konsequent, denn ich habe auch manchmal Angst um mich selbst.
    Zum Nachhören im englischen Originalton und in Langfassung: das Corsogespräch XL mit Ezra Furman
    Siniawski: Was macht Ihnen Angst?
    Furman: Ein Beispiel: Ich in aufgewachsen mit der ständigen Erinnerung an den Holocaust. Meine Großeltern sind vor dem Holocaust geflohen. Als der Zweite Weltkrieg begann, mussten Sie ihr Zuhause fluchtartig verlassen und untertauchen. Sie erzählten mir häufig, wie die Leute um sie herum immer beschwichtigt haben: "Ah, es ist nicht allzu schlimm; und es wird schon nicht so schlimm werden. Wir haben diese Regierung nicht zwar unterstützt, aber: Wie schlimm kann es schon werden?"
    Also bin auch ich gewohnt, ständig zu hinterfragen: Wie viel Sorgen muss man sich eigentlich aktuell machen? Und so, wie unsere Regierung zerfällt und einem absolut Angst einjagt, könnte aus einem langsamen Abrutschen ein schnelles Abrutschen werden. Ich beobachte derzeit ein langsames Abdriften und mache mir ziemlich Sorgen. Im Speziellen um Flüchtlinge, denen der Zugang zu den Vereinigten Staaten und anderen Ländern verwehrt wird. Das ist unglaublich unamerikanisch und einfach böse, Menschen abzuweisen, die vor lebensbedrohlicher Gewalt flüchten und zu sagen: Wir wollen diese Leute nicht, weil (…)keine Ahnung warum. Ich weiß nicht, welche Gefahr von ihnen ausgeht. Sie versuchen doch nur an einen friedlichen Ort zu kommen und normal leben zu können, weit weg vom Krieg.
    "Ich wehre mich gegen die Vergewaltigungskultur"
    Siniawski: Und Sie, Ezra Furman - fühlen Sie sich manchmal auch "illegal", um einen Songtext von Ihnen zu zitieren? Sie sind wie gesagt Cross-Dresser. Ist das eine Art Rebellion gegen dieses "Grab-them-by-the-pussy"- Machotum, mehr als jemals zuvor?
    Furman: Gute Frage. Sich feminin anzuziehen, mich selbst feminin zu zeigen, war von meiner Seite niemals als ein aktives Zeichen des Protests gedacht. Ich fühle mich damit schlichtweg besser. Das zählt nicht als Protest. Ich denke, dafür müsste man mehr tun als sich feminin zu kleiden. Ich wehre mich gegen die Vergewaltigungskultur und das Patriarchat so gut ich kann. Es ist offensichtlich, dass die Misogynie in der Gesellschaft - speziell in den USA - nicht so weitergehen kann wie bisher.
    Siniawski: Sie sind Jude und ein sehr gläubiger Mensch. Wenn es stimmt, was ich gelesen habe, dann geben Sie zum Beispiel am Sabbat keine Konzerte. In unserem Interview für Corso 2015 haben Sie gesagt: "Im Judentum ging es oft um Rebellion. Es ist eine ständige Unabhängigkeitserklärung." Ist der Glaube etwas, was Ihnen Zuversicht und Kraft gibt in dieser politischen Situation?
    Furman: Ja. Religion beschäftigt sich mit Unterdrückung, und sie war selbst der Unterdrücker. Aber für mich bedeutet wahrer Glaube das, was die Propheten sagen. Sie klagen immer wieder Ungerechtigkeiten an.
    Keine Liebesbriefe an die Musik des 20. Jahrhunderts mehr
    Siniawski:: Lassen Sie uns über Ihre Musik sprechen. Auf Ihrem Vorgängeralbum "Perpetual Motion People" kam der Sound recht beschwingt und hell daher, wie eine Reminiszenz an den 50er-Jahre-Doo-Wop - auch wenn die Textzeilen ziemlich nachdenklich waren. Aber auf dem aktuellen Album hören wir im Eröffnungsstück Horror-Geräusche, Rufe, Klagen. Manchmal schreien Sie mehr als zu singen. Was ist zwischen den beiden Alben musikalisch geschehen?
    Furman: Zum einen haben wir entschieden, dass wir satt sind, Liebesbriefe an die Musik des 20. Jahrhunderts zu schreiben. Der neue Sound soll nicht nach einer Band im Konzertraum klingen; er ist wirklich im Studio entstanden. Zum anderen haben wir viel mehr Zeit und künstlerische Ideen in die Arrangements der Titel reingesteckt, wie wir sie präsentieren wollen.
    Von den Songs gab es verschiedene Versionen. Wir haben Demos aufgenommen, Ideen durchgespielt, haben ganze Konzepte verworfen und wieder von Null angefangen. Denn unser Ziel war, nicht das gleiche Doo-Wop-Ding zu machen als wir Rock’n’Roll spielten, sondern etwas Originelles und Interessantes zu schaffen, das sich durch einen Song durchzieht und eine Verbindung schafft. Wir haben Instrumente eingesetzt, die wir vorher nie benutzt hatten, etwa ein Cello. Das ist eine große Veränderung, es gibt viel Cello auf dem Album zu hören.
    "Wer kann dem Saxophon widerstehen?"
    Siniawski: Absolut. Das funky Saxophon wurde durch ein nachdenkliches Cello ersetzt. Das ist ein wenig symbolisch, oder?
    Furman: Ich kann mir vorstellen, dass man darin eine Bedeutung oder eine Klangverschiebung sehen kann. Aber das Saxophon ist noch da. Ich glaube, wir werden immer noch Saxophon bei unseren Konzerten spielen, denn wer kann dem Saxophon widerstehen? Ich liebe es immer noch! Aber ja: Wir haben uns wirklich weiterentwickelt. Außerdem habe ich herausgefunden, dass mein Bassist Cello spielt - und er macht es gut. Er macht auch gute Arrangements.
    Siniawski: Ich habe Sie 2015 auf der Bühne in Köln gesehen, auf Ihrer "Perpetual-Motion-People"-Tour. Ihr Auftritt war sehr energiegeladen und kraftvoll - einerseits. Andererseits sind Sie bis an Ihre Grenzen gegangen, haben sehr druckvoll und mit verzerrter Stimme gesungen. Auf mich machte es den Eindruck, als ob Sie während Ihrer Auftritte in einer Art Trance sind. Ist das so - ganz und gar in Ihrer eigenen Welt?
    Furman: Ich bin sicher, dass ich in Köln nicht abgelenkt war. Ich muss mit den Songs eine Verbindung aufbauen, ich muss Zwiesprache halten mit dem Stück, mit der Komposition und der Musik. Das bringt mich manchmal fast in unmenschliche Gegenden. Bei manchen Auftritten fühlt es sich an, als ob ich fliegen würde. Es gibt nichts Vergleichbares. Wenn es bis zu dem Punkt kommt, den man erreichen will - wenn die Energie der Band hochschnellt - ist man in einer anderen Welt. Man will über die Worte und das normale Leben hinausgehen, an einen Ort, wo die Dinge besonders sind und aufgeladen mit Bedeutung, Emotion und Energie. Wir wissen, wie man das erreicht. Ich weiß, wie man das macht.