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Obergrenze für Flüchtlinge
"Das ist eine politische Seifenblase"

Die Grünen-Europaabgeordnete Ulrike Lunacek hat die von Österreich geplante Obergrenze für Flüchtlinge kritisiert. Es handele sich um reine Signalpolitik, die nicht umzusetzen sei, sagte die österreichische Politikerin im DLF. Damit werde nur das Schlepperwesen gefördert. Zudem seien die Pläne völkerrechtswidrig.

Ulrike Lunacek im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Ulrike Lunacek von den österreichischen Grünen
    Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Ulrike Lunacek von den österreichischen Grünen (imago / Eibner Europa)
    Lunacek bezeichnete die Pläne als eine "politische Seifenblase". Sie seien zwar zu sehen, aber es sei nichts dahinter. "Das ist so etwas wie eine Bankrotterklärung seriöser Politik." Lunacek schlug vor, die einzelnen politischen Familien müssten das Problem in den eigenen Reihen lösen. Mitglieder der Europäischen Volkspartei (EVP) seien in fast allen europäischen Regierungen vertreten.
    Anstelle von Obergrenzen müssten eine gemeinsame europäische Lösung gefunden sowie die Fluchtursachen bekämpft werden. Die Vizepräsidentin des Europa-Parlaments mahnte zudem, mit den Obergrenzen sei das Schengen-Abkommen in Gefahr. Das sei auch für die Wirtschaft ein großes Problem.

    Das Interview mit Ulrike Lunacek in voller Länge:
    Christiane Kaess: Bundespräsident Joachim Gauck hat die EU aufgefordert, die über Jahrzehnte gewachsene Gemeinschaft nicht an der Frage des Zuzugs von Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten scheitern zu lassen. Realität ist aber, dass sich vor allem osteuropäische Länder konsequent weigern, Flüchtlinge aufzunehmen. Eine europäische Lösung, so wie die Bundeskanzlerin sie anstrebt, scheint immer noch in weiter Ferne, und so zog gestern Österreich die Notbremse mit einer Notlösung, wie Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann von der SPÖ es nannte. Er hatte sich lange gegen jede Art von Deckelung der Flüchtlingszahlen gewehrt. Gestern verkündete die Regierung in Wien dann aber eine konkrete Obergrenze. Sie will in diesem Jahr weniger als die Hälfte der Flüchtlinge aufnehmen als die, die im letzten Jahr ins Land kamen.
    Am Telefon ist jetzt Ulrike Lunacek von den österreichischen Grünen. Sie ist Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Guten Morgen.
    Ulrike Lunacek: Einen schönen guten Morgen nach Köln.
    Kaess: Frau Lunacek, Österreich spricht von einer Notlösung. Hatte die Regierung in Wien keine andere Wahl?
    Lunacek: Oh ja, die hätte sehr wohl eine andere Wahl gehabt. Das ist jetzt eine reine Signalpolitik, die noch nicht einmal verfassungsrechtlich abgesichert ist. Die Gutachten will die Regierung jetzt im Nachhinein einholen und da ist es schon von mehreren Seiten klar, dass das völkerrechtlich nicht hält, dass es auch nach österreichischem Verfassungsrecht nicht halten wird. Das ist eine reine, ich würde sagen, politische Seifenblase. Die sieht man zwar, aber es ist nichts dahinter. Vor allem es ist jetzt schon so, dass auch in der Regierung sie sich nicht einig sind, wie sie das denn umsetzen wollen. Was passiert mit dem 37.501. Flüchtling? Dem sagt man dann nein, Du kommst nicht, oder wird Tränengas eingesetzt oder was immer? Das ist völlig unklar. Das ist eine reine Symbolpolitik, Signalpolitik, die nicht umzusetzen ist.
    Kaess: Sie kritisieren die Regierung in Wien. Aber es geht ja auch darum, Druck auszuüben auf andere EU-Staaten. Sind nicht die wahren Schuldigen diejenigen, sage ich mal zugespitzt, die sich weigern, bei einer europäischen Lösung mitzumachen?
    "Obergrenzen fördern nur das Schlepperunwesen"
    Lunacek: Ja sicherlich. Das ist ja auch etwas, was wir auch im Europaparlament schon seit Monaten kritisiert haben. Das Europaparlament hat vor knapp einem Jahr, wir waren die ersten, die damals schon eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in alle Mitgliedsstaaten gefordert haben. Aber ich finde es schon etwas seltsam, dass diejenigen an den Regierungen - und das sind europaweit vor allem Europäische Volkspartei und Sozialdemokraten, in Deutschland in dieser Reihenfolge, in Österreich in der umgekehrten, Kanzler sozialdemokratisch, Vizekanzler Europäische Volkspartei -, die sitzen in fast allen europäischen Regierungen. Das sind sozusagen die eigenen politischen Parteifamilien. Genauso mit den Landeshauptleuten und den Bürgermeistern. Da gibt es zum Beispiel den Ausschuss der Regionen hier in Brüssel. Ich verstehe nicht, warum die nicht schon längst sich innerhalb ihrer politischen Familien zusammengesetzt haben und gesagt haben, wie machen wir das lösungsorientiert. Denn in keinem Land, weder in Deutschland, noch in Österreich, haben zum Beispiel alle Gemeinden schon Flüchtlinge aufgenommen. Dasselbe Problem mit der Verteilung, das wir zugegebenermaßen auf europäischer Ebene haben, haben wir auch in den einzelnen Mitgliedsländern. Da sind jene gefragt, die in den eigenen politischen Familien hier auch wirklich die Leute haben, wo man das gemeinsam lösen kann. Ich kann nur sagen, zum Beispiel in Österreich in Vorarlberg mit Grünen an der Regierung ist es uns gelungen bis Jahresende, dass wirklich in allen Gemeinden auch Flüchtlinge untergebracht sind.
    Kaess: Das hat offenbar die Regierung in Wien nicht beeindruckt. Glauben Sie denn, dass jetzt der Druck auf die anderen EU-Länder tatsächlich deren Haltung verändern wird, vor allem bei den Osteuropäern?
    Lunacek: Ich hoffe es. Daran muss gearbeitet werden. Wir haben das gestern auch mit dem niederländischen Ratspräsidenten, Premierminister Rutte, eingefordert hier in Straßburg. Denn was nämlich die Konsequenz von solchen Obergrenzen ist, dass das nur das Schlepperunwesen fördert, also jene, die Flüchtlinge illegal, mit viel Geld und wahnsinnig gefährlich über die diversen Grenzen bringen. Das kann es nicht sein. Das ist wirklich so was wie eine Bankrotterklärung an eine seriöse Politik. Es geht nur, dass wir das gemeinschaftlich lösen, denn Europa, das sind wir alle und nicht nur immer die anderen.
    Kaess: Frau Lunacek, Sie haben zum Anfang unseres Gespräches von einer Seifenblase gesprochen, was diese Entscheidung aus Wien betrifft, und dass sie nicht realisierbar ist. Wir haben gerade vorhin von unserer Korrespondentin in Wien davon gehört, dass es schon jetzt einen sogenannten Domino-Effekt gibt, den sich Österreich offenbar ja auch wünscht, dass der schon jetzt eintritt, weil Mazedonien und Serbien die Grenzen dicht machen oder schärfer kontrollieren. Wird es jetzt so kommen, dass Slowenien tatsächlich zum Sandwich wird und in Griechenland dann alle Abgewiesenen stranden werden?
    Lunacek: Wir brauchen eine gemeinsame europäische Asylpolitik
    Lunacek: Es ist ja schon so, dass es in Slowenien auch diese Reaktionen gibt. Die Befürchtung ist, dass jetzt alle in Slowenien bleiben beziehungsweise von Slowenien dann nach Kroatien, Kroatien nach Serbien, Serbien nach Mazedonien zurückgeschickt werden und von Mazedonien zurück nach Griechenland. Und was passiert dann? Es stimmt schon: Wir haben auch über Jahre übersehen, dass Griechenland Unterstützung braucht. Es ging die ganze Zeit nur um Sparpolitik und wie es mit den Banken aussieht, aber nicht darum, auch Griechenland dabei zu unterstützen, dass es mit den Flüchtlingen fertig wird, beziehungsweise tatsächlich zu schauen, dass diese Aufnahmezentren, diese sogenannten Hotspots endlich funktionieren. Denn das wäre schon sinnvoll, hier tatsächlich die Flüchtlinge dann wirklich zu registrieren und dann, wenn sie registriert sind, zu sehen, in welchen Teil der EU sie weiter können. Aber es stimmt doch, was wir als Grüne schon seit Jahren, seit Jahrzehnten fast fordern: eine gemeinsame europäische Asylpolitik, die den Namen auch wirklich verdient. Das haben die Regierungen, vor allem die Innenminister und Innenministerinnen über Jahrzehnte versäumt.
    Kaess: Aber jetzt stehen wir mit der Situation heute da und Fakt ist, das haben Sie gerade auch angedeutet, eine europäische Lösung hat überhaupt nicht geklappt. All diese Punkte, die man diskutiert hat, da ist nichts weitergegangen. Unterm Strich gibt es keine Alternative, dass die Länder ihre Grenzen jetzt wieder selber kontrollieren?
    Lunacek: Die Alternative wäre sehr wohl, dass man sich auch regionenübergreifend zusammensetzt und sagt, wie lösen wir das.
    Kaess: Hat nicht geklappt.
    Lunacek: In welchen Gemeinden können wir noch Flüchtlinge aufnehmen? Und noch dazu Ursachen bekämpfen. Es wird viel zu wenig dazu beigetragen, auch finanziell, von der österreichischen Bundesregierung nicht, für die Flüchtlingslage in der Region mehr zu tun, dass die Menschen dort wirklich leben können und nicht verzweifeln und dann weg wollen, aber auch den Krieg in Syrien zu beenden. Da gibt es Initiativen, aber das ist immer noch viel zu wenig. Darum muss es auch gehen. Das muss gesamt gelöst werden und nicht jedes Land für sich alleine. Das ist keine Lösung.
    Kaess: Frau Lunacek, ist das jetzt das Ende von Schengen, vom grenzfreien Reisen in Europa?
    Lunacek: Die Gefahr ist da, dass das kommt, dass die große, eine der großen, wenn nicht überhaupt die größte Errungenschaft dieser Europäischen Union, dass Menschen und nicht nur Kapital, Waren und Dienstleistungen frei Grenzen überqueren können und frei reisen können, [... ] Man muss bedenken, dass das nicht nur für jetzt reisende Touristen und ähnliche noch schwieriger wird, aber auch für die Wirtschaft ein großes Problem sein wird. Das hat ein deutscher Politiker, habe ich gerade gelesen, ein CDU-Politiker, glaube ich, gesagt. Das geht zurück in die 60er-Jahre, lange Schlangen vor den Grenzen, Schwierigkeiten auch für den Export und Ähnliches. Das darf nicht sein. Aber es stimmt, die Gefahr ist da. Das ist erstmals die Situation. [...]Deshalb brauchen wir eine Stärkung der gemeinsamen Lösungskapazitäten.
    Kaess: ... sagt Ulrike Lunacek von den österreichischen Grünen, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Danke für das Gespräch. Wir haben Sie auf dem Handy erreicht. Es gab immer mal wieder den einen oder anderen Aussetzer. Das bitten wir zu entschuldigen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.