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Österreichischer Bundesminister für EU zu Asylpolitik
Blümel: Es braucht einen klaren Außengrenzschutz

Der österreichische Minister für EU, Gernot Blümel, hat sich für maßgeschneiderte europäische Lösungen in der Flüchtlingsfrage und für Aufnahmezentren außerhalb der EU ausgesprochen. Es dürfe nicht so sein, dass "man in Nordafrika ein Boot besteigt, dass das automatisch das Ticket nach Europa" sei, sagte er im Dlf.

Gernot Blümel im Gespräch mit Peter Sawicki |
     Such- und Rettungsmission im Mittelmeer vor der libyschen Küste. Zu sehen sind zwei Schlauchboote mit Menschen an Bord
    "Es gilt in Europa, das Sterben im Mittelmeer zu beenden": Der österreichische EU-Minister Gernot Blümel im Dlf (PA/dpa/picture alliance)
    Peter Sawicki: Angela Merkel steht in diesen Tagen unter Druck wie wohl noch nie. Die CSU will eine restriktivere Asylpolitik durchsetzen – notfalls auf eigene Faust ab dem 1. Juli. Zuvor findet morgen in Brüssel ein informelles Treffen zum Thema Asyl statt – Merkel will eine Rücknahme von Geflüchteten aushandeln. Italien ist aber nur ein Staat, der da nicht mitmachen will. Was ist also überhaupt möglich beim Treffen in Brüssel?
    Ein Land, das eine klare Wende in der Asylpolitik fordert, ist Österreich.Über die Perspektive Wiens sprechen wir jetzt mit Gernot Blümel – er ist Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien in der Regierung von Sebastian Kurz.
    Gernot Blümel: Grüß Gott, hallo!
    Sawicki: Wird Wien jetzt zum Schlüsselspieler in der Debatte?

    Blümel: Wir vertreten weiterhin die Linie, die wir schon die letzten Monate und die Sebastian Kurz die letzten Jahre vertreten hat. Und was wir schon mit einem gewissen Wohlwollen betrachten, ist, dass sukzessive immer mehr Länder auf diese Linie einschwenken, die heißt, dass es einen klaren Außengrenzschutz braucht, und dass man wegkommen muss von Diskussionen, die das Migrationsproblem nicht lösen, sondern endlich konstruktiv voranschreiten muss.
    Gernot Blümel, Österreichs Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien
    Bundesminister für EU, Gernot Blümel (Österreich): "Es gilt in Europa, das Sterben im Mittelmeer zu beenden" (imago / SKATA)
    Sawicki: Was wollen Sie denn konstruktiv am Sonntag beitragen?
    Blümel: Wir haben immer gesagt, dass die Lösung der Migrationskrise nicht in erster Linie darin liegen kann, dass man über die Frage der Verteilung von Migranten spricht, sondern dass er erst mal einen Außengrenzschutz braucht. Das war vor einigen Jahren noch sehr divers diskutiert, mittlerweile ist das de facto Konsens. Und ich hoffe, dass es Schritte in diese Richtung gibt, damit es da klare Beschlüsse geben kann beim nächsten Rat der Staats- und Regierungschefs.
    Sawicki: Das heißt, worin werden Ihre beziehungsweise die Vorschläge von Kanzler Kurz bestehen am Sonntag?
    Blümel: Es geht generell um die Debatte, wie man die Migrationsherausforderungen lösen kann, und da haben wir immer gesagt, Außengrenzen schützen ist notwendig, damit es nach innen, wenn es ein grenzfreies Europa gibt, so wie wir das die letzten Jahre ja auch genossen haben. Und es braucht auch sichere Zentren, wo Flüchtlinge hingebracht werden können, versorgt werden können. Denn es darf nicht so sein, dass, wenn man in Nordafrika ein Boot besteigt, dass das automatisch das Ticket nach Europa ist.
    Sawicki: Das heißt, Sie sprechen von Aufnahmelagern in Afrika, von denen jetzt wieder die Rede ist?
    Blümel: Wir sprechen von sicheren Zentren, wo die Leute versorgt werden können, wo auch geprüft werden kann, gibt es vielleicht theoretisch einen möglichen Anspruch auf Asyl, oder ist das de facto unmöglich. Das ist ein Modell, das es an anderen auf der Welt bereits gibt, das erprobt ist. Wir denken, wir brauchen so etwas auch für Europa. Das hat Sebastian Kurz schon vor Jahren vorgeschlagen. Jetzt geht die Debatte allgemein in diese Richtung, was gut ist.
    "Es braucht zweifellos maßgeschneiderte europäische Lösungen"
    Sawicki: Können Sie da Beispiele nennen? Wo läuft das denn besonders gut?
    Blümel: Eine Variante ist, wie es Australien beispielsweise macht, die ja auch sehr stark von Migration betroffen waren. Es braucht zweifellos maßgeschneiderte europäische Lösungen, aber die Debatte, so wie sie die letzten Jahre gelaufen ist, hat nicht dazu geführt, dass das Vertrauen in die Europäische Union gestärkt worden ist, und hat auch nicht dazu geführt, dass die Migrationsherausforderungen gelöst worden sind. Deswegen wäre es gut, wenn wir jetzt auf diesen Kurs einschwenken.
    Sawicki: Aber, Herr Blümel, gerade Australien steht ja massiv in der Kritik von Menschenrechtlern. Da werden ja Menschen unter lagerartigen Bedingungen, in Haft sozusagen gehalten. Das sagen Menschenrechtler so. Kann das ernsthaft, auch unter menschenrechtspolitischer Hinsicht, Vorbild sein für Europa?
    Blümel: Es gilt in Europa, das Sterben im Mittelmeer zu beenden. Was wir jetzt sehen, dass Leute illegale Wege aus Afrika nach Europa suchen, die Schlepper bezahlen, die unter Einsatz ihres Lebens, unter Gefährdung ihres Lebens, übers Mittelmeer versuchen, nach Europa zu kommen und viele leider Gottes auf dem Weg dorthin ihr Leben lassen müssen. Das deswegen, weil die Perspektive derzeit besteht, dass, wenn man in Nordafrika ein Boot besteigt, dass das de facto das Ticket nach Europa sein könnte. Das heißt, wenn wir die Anreize auch reduzieren, werden auch weniger Leute kommen, wenn es diese Möglichkeit in der Form nicht gibt. Das halte ich für einen höchst humanitären Zugang.
    "Es braucht Verhandlungen mit den relevanten Staaten"
    Sawicki: Aber wie wollen Sie denn sicherstellen, wenn es solche Zentren geben sollte, dass eben sichere Bedingungen, wie Sie sie genannt haben, und humanitäre Bedingungen herrschen dort?
    Blümel: Indem man die herstellt. Die Europäische Union hat doch die Möglichkeit und die Mittel, sich darum zu kümmern. Es braucht Verhandlungen mit den relevanten Staaten. Es kann diese Möglichkeiten geben, wenn es den politischen Willen dazu gibt. Und ich denke, Europa sollte sich dieser Linie anschließen, sich auf diese Linie einigen, denn das ist de facto die einzige Möglichkeit, wie man nachhaltig die Frage der Migration in den Griff bekommen kann.
    Sawicki: Und welches Recht sollte denn da herrschen? Denn es gibt ja nicht mal in Europa ein allgemein geltendes Asylrecht. Wie soll das dann gesichert sein alles?
    Blümel: Wie Sie richtig sagen, es gibt derzeit verschiedene Arten der Anwendung, aber Leute zu versorgen, sie in Sicherheit zu bringen, ist keine Rechtsfrage, das ist eine reine Frage der Humanität. Das muss geleistet werden. Wir müssen das Sterben im Mittelmeer beenden, und das geht nur, wenn wir auch klar machen, dass wir legale Wege nach Europa schaffen wollen, beispielsweise über Resettlement-Programme, aber dass es nicht so sein kann, dass man sich in die Hände von Schleppern begeben muss, um nach Europa zu kommen.
    Sawicki: Und würde sich die EU dann um die Einhaltung dieser Standards kümmern, oder würden Sie das auslagern an die Staaten, in denen die Lager stehen würden?
    Blümel: Ich würde das erstens als sichere Zentren bezeichnen und nicht, so wie Sie das gerade getan haben. Das ist eine Verhandlungssache. Diese Zentren gibt es leider Gottes noch nicht, aber in den letzten Tagen und Wochen ist die Diskussion um solche sichere Häfen wieder aufgekommen, was sehr gut ist. Denn wir glauben, dass das ein wesentlicher Beitrag zur Lösung sein kann.
    "Wenn Deutschland diesen Weg geht, dann wird auch Österreich diesen Weg gehen müssen"
    Sawicki: Sprechen Sie mit dieser Perspektive eigentlich für sich vor allem, oder in erster Linie für die Visegrad-Staaten, im Hinblick auf Sonntag?
    Blümel: Wir sprechen als österreichische Bundesregierung seit Langem von dieser Linie. Bundeskanzler Sebastian Kurz hat das schon getan, weit bevor er Bundeskanzler geworden ist. Früher hat es noch geheißen, das sei unmöglich, aber das hat es auch geheißen, als er gefordert hat, die Westbalkanroute zu schließen. Die Geschichte hat gezeigt, dass das der richtige Weg war. Deswegen bleiben wir dieser Linie auch treu und hoffen, dass viele andere Länder sich dem auch anschließen.
    Sawicki: Aber es erweckt ja schon den Eindruck, wenn sich Sebastian Kurz ganz speziell mit den Staatschefs, mit den Regierungschefs der vier Visegrad-Staaten trifft und zum Beispiel nicht mit Angela Merkel, dass er doch eher auf deren Linie fährt. Oder ist das ein falscher Eindruck?
    Blümel: Das ist ein absolut falscher Eindruck, den Sie da versuchen, zu erwecken. Er hat sich auch mit Angela Merkel getroffen, er hat sich mit Donald Tusk getroffen, er wird sich mit Emmanuel Macron treffen und trifft sich auch mit Staats- und Regierungschefs anderer Staaten. Es geht darum, eine generelle europäische Lösung zustande zu bringen, und daran arbeitet er hart.
    Sawicki: Und wenn Deutschland jetzt Asylsuchende zurückweisen sollte, was ja die CSU androht, notfalls im Alleingang, was macht dann Österreich eigentlich? Das kann ja Ihrer Regierung dann nicht gefallen.
    Blümel: Wenn Deutschland diesen Weg geht, dann wird auch Österreich diesen Weg gehen müssen, und dann wird es de facto einen Dominoeffekt geben, so wie es auch im Jahr 2015 bei der Schließung der Westbalkanroute war. Das ist etwas, was wir damals schon versucht haben, einzuleiten, um die Migrationsströme zu reduzieren, und es ist damals gelungen. Wie das bei einem erneuten Versuch aussehen wird, wenn das von Deutschland ausgeht, kann man noch nicht sagen. Aber wenn Deutschland, wenn man so will, seine Grenzen dicht macht, dann werden das natürlich die anderen Länder auch tun müssen.
    "Der Dominoeffekt wird eintreten"
    Sawicki: Aber Italien würde ja wahrscheinlich keine Asylsuchenden von Österreich aufnehmen. Die haben ja da relativ klare Zeichen gesetzt. Was passiert denn dann?
    Blümel: Der Dominoeffekt wird eintreten, wie er damals eingetreten ist bei der Schließung der Westbalkanroute. Und damals hat es dazu geführt, dass der Zustrom geringer geworden ist, weil auch den Schleppern klar gemacht worden ist, dass es kein Ticket mehr so einfach nach Europa gibt. Und wenn Deutschland diesen Weg geht, dann werden auch andere Länder diesen Weg wieder gehen müssen.
    Sawicki: Würden Sie Deutschland davon abraten, diesen Weg zu gehen?
    Blümel: Das ist eine deutsche Entscheidung. Wir wollen eine gemeinsame europäische Lösung. Das ist sicherlich das Beste für alle. Aber klar ist, dass die Grundvoraussetzung dafür ein gemeinsamer und guter Außengrenzschutz ist. Nur, wenn wir die Außengrenzen Europas sichern, können wir das grenzenfreie Europa nach innen aufrechterhalten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.