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Oettinger: "Müssen alles tun, damit Energie in Europa erschwinglich bleibt"

EU-Energiekommissar Günther Oettinger möchte die CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 20 Prozent senken. Arbeitsplatzsicherung und erschwingliche Energie in Europa sind weitere Schwerpunktthemen des Gipfels.

Günther Oettinger im Gespräch mit Silvia Engels | 22.05.2013
    Silvia Engels: Nur einen Tag lang soll der Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel heute dauern. Ein Thema hatte sich die Runde der 27 schon lange auf die Agenda geschrieben: schärfere gemeinsame Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung. Daneben drängt ein Streit um eine preiswerte Energieversorgung in der EU auf die Tagesordnung.
    Am Telefon ist nun EU-Kommissar Günther Oettinger von der CDU. Guten Morgen!

    Günther Oettinger: Guten Morgen.

    Engels: Herr Oettinger, im Entwurf für den Abschluss dieses Gipfels steht, dass sich die Europäische Union für erschwingliche Energie einsetzen will. Das soll durch mehr Wettbewerb erreicht werden. Ist das ein Seitenhieb gegen die erneuerbaren Energien, die ja nun bekanntlich teurer sind als die fossilen Energien?

    Oettinger: Nein, in keiner Form. Wir haben ja ein verbindliches Ziel, dass wir 20 Prozent erneuerbare Energie in sieben Jahren haben werden, und das erreichen wir auch. Aber parallel ist trotzdem der Binnenmarkt ein funktionierender Markt mit Wettbewerb und mit sinkenden Beihilfen unser Ziel, und ich glaube, die Erneuerbaren werden dabei eine gute Rolle spielen.

    Engels: Rebecca Harms von den Grünen spricht aber von einem Frontalangriff gegen die bisherige EU-Energiepolitik. Kritiker warnen, dadurch gingen doch die Klimaziele über Bord, denn die fossilen Energien seien auf absehbare Zeit, wenn man sie nur im Wettbewerb sieht, preiswerter als die erneuerbaren.

    Oettinger: Wir werden die CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 20 Prozent senken. Das ist eine garantierte und in unseren Emissionsregeln fest eingepreiste Größe. Das schaffen wir. Aber klar ist: die Welt hat sich verändert. In den USA kostet Gas nur noch ein Viertel, wenn Sie den Gaspreis Europas nehmen. In anderen Regionen ist Energie weit billiger. Deswegen müssen wir bei Industriearbeitsplätzen im Bereich Chemie, im Bereich Stahl, Aluminium, in der herstellenden Industrie generell Energiepreise mehr beachten als bisher und müssen alles tun, damit Energie in Europa erschwinglich bleibt und die Arbeitsplätze bei uns gehalten werden können.

    Engels: Also mehr Kohle, mehr Gas, mehr Fracking in Europa, um die Industrie mit preiswerter Energie zu versorgen, und dafür anspruchsvollere Ziele als die Klimaschutzgarantien, wie sie jetzt bestehen, einfach aufgeben?

    Oettinger: Nein! Die Klimaschutzziele bleiben, die werden wir auch erreichen. Daneben müssen wir zukünftig aber Steuern senken. Wir haben in Europa einen Anteil von Steuern und Abgaben, die weit mehr als die Hälfte unserer Energiepreise ausmachen. Der Staat kann sich nicht mehr durch Energiesteuern finanzieren, er muss seine eigenen Steuereinnahmen überprüfen, und ergänzend brauchen wir einen binnenmarktlichen Wettbewerb, damit wir nicht mehr durch Monopole geprägt bleiben, sondern durch mehrere Anbieter als Energieabnehmer in den Verhandlungen stärker werden.

    Engels: Aber lange Zeit hatte sich ja auch Deutschland dafür eingesetzt, dass die EU über die garantierten Klimaziele hinaus, die sie erreichen will, ehrgeiziger vorangeht, vielleicht diese Ziele übererfüllt. Das ist jetzt vom Tisch?

    Oettinger: Das wird man sehen. Aber klar ist: die gesamte Europäische Union ist nur für elf Prozent aller Treibhausgase verantwortlich, elf Prozent, und 2030 haben wir noch etwa vier bis fünf Prozent der globalen Verantwortung. Das heißt, wir müssen die anderen Partner, die USA, China, Indien, Russland, Indonesien, Brasilien, an Bord holen. Alleine schafft Europa den Klimaschutz nicht.

    Engels: Das heißt, angesichts der Rezession und der Arbeitslosigkeit in vielen Teilen Europas muss dieser Strang stärker werden und gegebenenfalls auch vor dem Klimaschutzehrgeiz stehen?

    Oettinger: Beides! Wir brauchen Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum einerseits und einen wichtigen Beitrag Europas zum Klimaschutz andererseits, aber nicht Europa alleine, sondern im Verbund mit den anderen Industrieregionen der Welt.

    Engels: Neben Energiefragen geht es auf diesem Gipfel in Brüssel vor allem auch darum, denjenigen, die durch einen Auslandstransfer ihres Geldes illegal Steuern sparen wollen, das Leben zu erschweren. Ziehen nun alle an einem Strang, auch Österreich und Luxemburg?

    Oettinger: Ich glaube, ja. Auch die Regierungen von Wien und Luxemburg haben erkannt, dass man auf Dauer nicht einen unfairen Wettbewerb mit geringen Steuern oder gar mit Schwarzgeld betreiben kann. Es kommt uns darauf an, dass wir unsere Nachbarn überzeugen, die Schweiz oder Liechtenstein, und dann, glaube ich, dass wir eine Chance haben, erstmals zu einem transparenten und fairen Wettbewerb bei Steuern auf Erträge, auf Zinserträge zu kommen. Die Chancen stehen gut.

    Engels: Das Bankgeheimnis für Ausländer in der EU soll bis Jahresende abgeschafft werden. So ist es der Plan. Ist das denn überhaupt schon in trockenen Tüchern und reicht das?

    Oettinger: Ich glaube, ja. Die Absichtserklärungen der Regierungschefs sind da. Wir brauchen jetzt heute konkrete Beschlüsse, die uns als Kommission beauftragen, die bei uns in der Schublade liegenden Gesetzespläne auch ins Parlament zu bringen. Dann haben wir eine Chance, dass erstmals ein transparenter europäischer Anlagemarkt entsteht.

    Engels: Welche weitergehenden Wünsche haben Sie genau als Kommission in diesem Bereich?

    Oettinger: Wir glauben, dass die Steuergesetzgebung zunehmend harmonisiert werden muss, nicht genau gleich gemacht werden muss, aber es kann nicht sein, dass Steuerdumping, das heißt Länder, die ganz geringe oder keine Steuern erheben, und andere, die Steuern einnehmen müssen, um ihre Aufgaben zu finanzieren, in einem unfairen Wettbewerb stehen. Aber genau dies ist erkannt und auch Länder, die bisher davon Vorteile hatten, wie Luxemburg und Österreich, sind jetzt bereit, in eine europäische Gesetzgebung einzutreten.

    Engels: Aber lange Jahre hat man doch gerade versucht, einen Steuerwettbewerb unter den einzelnen Staaten um die günstigsten Konditionen für Unternehmer anzuregen. Wo soll denn da jetzt die Grenze sein zum Steuerschlupfloch?

    Oettinger: Es geht um Datenaustausch, es geht darum, dass man die verfügbaren Daten abgleicht und so jedem Mitgliedsstaat die Chance gibt, Steuerbetrug aufzudecken und zu vermeiden.

    Engels: Steuerbetrug durch illegale Machenschaften ist das eine, aber viele Unternehmen sparen ja ganz legal Geld, indem sie Gewinne in den EU-Ländern mit extrem niedrigen Unternehmenssteuern anlegen. Was sollte die EU dagegen tun?

    Oettinger: Auch hier gilt, dass der Datenaustausch die wichtigste Grundlage ist. Ansonsten wird man den Wettbewerb, wer Unternehmen anzieht, nie ganz vermeiden können. Übrigens auch Kommunen in Deutschland haben unterschiedlich hohe Gewerbesteuersätze. Das heißt, manche Betriebe gehen in den Nachbarort, weil dort die Steuersätze geringer sind. Diesen Wettbewerb wird man nicht verhindern können, aber es geht um faire Bedingungen und es geht um Transparenz, das heißt um Datenaustausch, damit Betrug und die Umgehung von Regeln nicht mehr möglich ist.

    Engels: EU-Kommissar Günther Oettinger heute Morgen im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch.

    Oettinger: Ich danke auch – guten Tag.


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