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Ohne Plakette geht nichts mehr

Rot, Gelb, Grün: Wer keine Plakette auf der Windschutzscheibe seines Fahrzeuges kleben hat, darf ab dem 1. Januar im Ruhrgebiet keinen Meter mehr mit dem Auto fahren - es sei denn, er hat eine Sondergenehmigung. Das Ziel: Die Luft soll besser werden im ehemaligen Kohlenpott.

Von Jörg Steinkamp | 30.12.2011
    Die Hafenstraße in Essen klingt wie eine Autobahn. Denn LKW donnern hier im Sekundentakt vorbei. Ruhe, das war mal, erzählt Anwohner Peter Walutis.

    "Wir leben jetzt hier fast 30 Jahre. Und das war hier natürlich immer ´ne Straße mit Verkehr. Aber früher hatten wir vielleicht morgens ´ne Stunde, nachmittags ´ne Stunde. Samstag/Sonntag konnte man hier Rollschuh fahren. Das hat sich vollkommen umgedreht."

    Denn die Hafenstraße liegt außerhalb der Essener Umweltzone. Wer keine Plakette auf der Windschutzscheibe hat, rollt seit Einführung gerne hier her. 2008 wurden die Umweltzonen eingeführt - 50 Zonen bundesweit! Allerdings steckte jede Stadt die Grenzen für sich alleine ab.

    Die Folge war ein Flickenteppich aus vielen kleinen Zonen samt Schilderwald. Kritiker verurteilten die Aktion als wenig effektiv, die Erfolge kaum messbar. Anders sieht das Peter Bruckmann, Abteilungsleiter im nordrhein-westfälischen Umweltministerium. Die Grenzwerte von 50 Mikrogramm seien an vielen Tagen unterschritten worden.

    "Die Umweltzonen im Ruhrgebiet haben die Feinstaubbelastung deutlich gesenkt. 35 Tage mit Tagesmittel über 50 sind zulässig. Von diesen Überschreitungstagen haben wir immerhin 15 im Mittel wegbekommen, sodass wir an einer Reihe von Stationen den Grenzwert einhalten, wo wir ihn früher nicht eingehalten haben. An anderen Stationen, die sehr hoch belastet sind, überschreiten wir allerdings immer noch die Grenzwerte."

    Deshalb kommt jetzt die größte Umweltzone Deutschlands: von Dortmund bis Duisburg, 850 Quadratkilometer groß. Fahren darf hier nur, wer eine Plakette auf der Scheibe hat. Privatpersonen oder Unternehmer mit älteren Fahrzeugen, die nicht den Feinstaubrichtlinien entsprechen, bekommen ein Fahrverbot innerhalb der Zone. Pure Ideologie, so Jörg Linden von der IHK Mittleres Ruhrgebiet:

    "Hier werden Menschen belastet, in ihrer Freiheit eingeschränkt und die Wirtschaft wird hart getroffen. Denn viele Fahrzeuge, die angeschafft sind, können in einiger Zeit überhaupt nicht mehr fahren. Es kommt einem fast so vor, als würde die Abwrackprämie für LKW eingeführt, aber kein Mensch zahlt eine Prämie aus."

    Schätzungen besagen, dass im Ruhrgebiet neben 30.000 Pkw gut 10.000 Nutzfahrzeuge ohne Plakette unterwegs sind. Fahrzeuge, die nach und nach nicht mehr fahren dürfen. Denn schon Anfang 2013 werden Fahrzeuge mit der roten,

    Die letzte Option für Besitzer eines alten "Stinkers" ist nur noch eine Ausnahmegenehmigung. Die stellen die Kommunen in bestimmten Fällen gegen Gebühr aus, allerdings oft nur für ein Jahr. Hier muss aus Sicht des IHK-Vertreters Jörg Linden noch nachgebessert werden:

    "Denn wenn eine Sondergenehmigung erteilt werden muss, weiß man, dass man an ganz besondere Bereiche überhaupt nicht gedacht hat."

    Die große Umweltzone Ruhrgebiet ist Teil eines großen Projekts, des Luftreinhalteplans gegen Feinstaub. Denn neue Untersuchungen sind alarmierend: Frauen, die im 50-Meter-Radius einer stark befahrenen Straße leben, haben ein 70 Prozent höheres Risiko, an einer Atemwegs- oder Herz-Kreislauferkrankung zu sterben, als Frauen in weniger stark befahrenen Gebieten. Hauptursache: Stickstoffdioxid - chemisch abgekürzt NO2 - , so Peter Bruckmann vom Landesumweltministerium NRW.

    "Man kann sagen, dass 70 Prozent der NO2-Belastung an stark befahrenen Straßen, dort wo wir die Grenzwerte überschreiten, durch den Verkehr kommt. Also müssen wir hier ganz eindeutig im Verkehr ansetzen. Förderung emissionsärmerer Fahrzeuge, Radfahrkonzepte, E-Mobilität: All das müssen wir fördern, aber auch Jobtickets und dergleichen mehr."