Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Opferanwalt zum NSU-Prozess
Keine Zweifel an lebenslänglicher Haft für Zschäpe

Im NSU-Prozess haben die Schluss-Plädoyers begonnen. Anwalt Thomas Bliwier hat keine Zweifel an einer lebenslangen Verurteilung der Angeklagten Beate Zschäpe. Er vertritt die Familie von Halit Yozgat. Zschäpes Beteiligung an den NSU-Morden sei gründlich herausgearbeitet worden, sagte Bliwier im Dlf.

Thomas Bliwier im Gespräch mit Martin Zagatta | 29.07.2017
    Thomas Bliwier, Fachanwalt für Strafrecht. Der Strafverteidiger vertritt die Familie eines der NSU-Opfer.
    Bedauert, dass "die Bundesanwaltschaft in ihrem Schlussvortrag den Staat, den Verfassungsschutz von jeder Mitverantwortung freisprechen möchte": Opferanwalt Thomas Bliwier. (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    Martin Zagatta: Mehr als vier Jahre zieht sich der NSU-Prozess nun schon hin, in dem es ja darum geht, ob die Hauptangeklagte Beate Zschäpe und vier weitere Personen an den Morden der rechtsextremen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund beteiligt waren. In dieser Woche hat die Bundesanwaltschaft nun mit ihrem Plädoyer begonnen. Die Kernaussage: Zschäpe sei keine Mitläuferin gewesen, sondern eine Mittäterin. Am Telefon ist der Hamburger Anwalt Thomas Bliwier. Er vertritt die Familie von Halit Yozgat, der 2006 im Alter von 21 Jahren in seinem Internetcafé in Kassel erschossen worden ist. Guten Morgen, Herr Bliwier!
    Thomas Bliwier: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Bliwier, wie erleichtert sind denn ihre Mandanten, wie erleichtert ist die Familie, dass der Prozess nun nach so langer Zeit seinem Ende entgegengeht und dass die Staatsanwaltschaft in Beate Zschäpe auch so eindeutig eine Mittäterin sieht? Ist das eine Genugtuung?
    Bliwier: Das ist nur zum Teil eine Genugtuung. Natürlich ist es eine Erleichterung, wenn man weiß, dass nach einer so langen Zeit das Verfahren dem Ende entgegengeht. Wir haben eigentlich während des ganzen Verlaufs nie einen Zweifel daran gehabt, dass die Beweisaufnahme das genau ergeben wird, was die Bundesanwaltschaft jetzt bezüglich Frau Zschäpe ausgeführt hat. Was keine Genugtuung ist und was keine Erleichterung ist, ist, dass die Bundesanwaltschaft in ihrem Schlussvortrag den Staat, den Verfassungsschutz von jeder Mitverantwortung freisprechen möchte, und dass bestimmte zentrale Dinge gerade im Fall Yozgat in der Beweisaufnahme nicht mehr geklärt werden sollten. Der Senat hat bestimmte Beweiserhebungen auf unsere Anträge hin abgelehnt, und da bleibt ein wirklich schaler Nachgeschmack.
    "Es ging darum, aufzuklären, warum ist Halit Yozgat als Opfer ausgewählt worden"
    Zagatta: Da hat aber der vorsitzende Richter Ihre Anträge, das aufzuklären oder genauer zu untersuchen, nicht nachgegeben, wenn ich das richtig sehe, mit der Begründung, dass es in dem Prozess, wenn ich das richtig sehe, um Schuld oder Nichtschuld der Angeklagten geht und nicht um ein mögliches Versagen von Behörden. Haben Sie dafür kein Verständnis?
    Bliwier: Nein. Weil es eine Verkürzung des Anliegens des Prozesses ist. Natürlich ist das kein parlamentarischer Untersuchungsausschuss. Aber die Frage, ob beispielsweise Verfassungsschutzorgane von dem Mord an Halit Yozgat etwas gewusst haben, ob der Verfassungsschützer, der ja zur Tatzeit am Tatort war, möglicherweise dienstlich dort war, das sind natürlich alles Aspekte, die in so einem Verfahren auch aufgeklärt werden müssen. Und zum Teil haben wir darüber ja auch Beweis erhoben. Wir haben ja Herrn Temme allein, glaube ich, sechsmal als Zeuge gehabt, diesen Verfassungsschützer. Der Senat ist bestimmten Dingen auch nachgegangen und eben irgendwann dann nicht mehr, mit der Begründung, es spiele für die Schuld von Frau Zschäpe ebenso wenig eine Rolle wie die Frage, ob der Verfassungsschutz damals hätte zugreifen können, ob der Verfassungsschutz den NSU mitfinanziert hat über V-Leute. Irgendwann hat der Senat eben eine weitere Beweiserhebung abgelehnt. Und dadurch kann auch nach unserer Auffassung kein Rechtsfrieden hergestellt werden. Der Familie Yozgat ging es nie darum, eine bestimmte Strafe für Frau Zschäpe zu verlangen. Es ging immer darum, das hat Frau Yozgat ja auch im Verfahren, mal direkt an Frau Zschäpe gewandt, gesagt, es ging darum, aufzuklären, warum ist Halit Yozgat als Opfer ausgewählt worden? Gab es Kontakte in eine Kasseler Unterstützerszene? Wie sind die Anwesenheiten von Herrn Temme am Tatort, wie ist das zu erklären? Und darauf wird die Familie nach dem Willen der Bundesanwaltschaft und des Senats wohl in diesem Verfahren keine Antwort mehr erhalten.
    Zagatta: Das heißt, Sie sind auch enttäuscht vom Vorsitzenden Richter da, von Manfred Götzl?
    Bliwier: Er hat das schon eigentlich ganz gut gemacht. Ich will das nicht kritisieren. Das ist eine Frage, wie weit man die Aufklärungspflicht des Gerichts steckt. Nach unserer Auffassung hätte man es aufklären müssen, weswegen wir ja auch als Nebenklägervertreter in diesem Prozess mit vielen Anträgen versucht haben, dazu beizutragen, genau diese Rolle des Verfassungsschutzes zu beleuchten, die Anwesenheit von Herrn Temme am Tatort zu beleuchten, die Akten zu verlangen, die immer noch im Archiv des Verfassungsschutzes in Hessen stehen, die möglicherweise eine weitere Aufklärung bringen. Es ist immer der ewige Streit um die Aufklärungspflicht des Gerichts. Das Gericht entscheidet das letztlich. Der Prozess muss irgendwann auch zu Ende gebracht werden, das ist völlig richtig. Man hätte aber bestimmte Dinge – die Glaubwürdigkeit von Herrn Temme und Ähnliches – weiter beweiserheben müssen, weil wir die Aufklärungspflicht in diesem historischen Verfahren einfach anders definieren.
    "Es ist eine Art Persilschein"
    Zagatta: Die Bundesanwaltschaft hat ja gesagt, wenn ich das richtig gelesen habe, Anhaltspunkte für die strafrechtliche Verstrickung staatlicher Behörden in die Taten des NSU sind nicht aufgetreten, sonst wären sie strafrechtlich verfolgt worden. Ist das eine Art Persilschein?
    Bliwier: Ja, das ist grotesk. Es ist eine Art Persilschein, es ist aber grotesk, weil entweder bin ich dann so konsequent und sage, es hat in diesem Verfahren nichts zu suchen. Die Bundesanwaltschaft wollte zum Beispiel Herrn Temme eigentlich als Zeugen gar nicht vernommen haben. Wir haben ja zum Teil aus Eigeninitiative Akten beschaffen müssen. Entweder sagt man, es gehört nicht in diesen Prozess, gut, dann ist das so, dann kann man sich darüber streiten. Aber zu sagen, dieser Prozess hätte das ergeben in der Beweisaufnahme, das ist in einer seltenen Weise inkonsequent, wundert mich aber bei der im Prinzip feststehenden Aufgabe der Bundesanwaltschaft nicht. Die schützen eben auch in dieser Rolle staatliche Institutionen.
    Zagatta: Welchen Verdacht haben Sie denn da? Kann es da sein, dass ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in einen Mord verstrickt ist oder zumindest Zeuge eines solchen Mordes gewesen wäre, das bestreitet? Oder welchen Verdacht haben Sie da?
    Bliwier: Das ist eigentlich relativ einfach. Herr Temme war ja mal Beschuldigter. Das ist ja nicht irgendein Zeuge, der war mal Beschuldigter. Er war nach Feststellung des Senats in München zum Tatzeitpunkt am Tatort. Die Bundesanwaltschaft hat nochmal ausgeführt in ihrem Schlussvortrag, dass andere Zeugen, die im Internetcafé gewesen sind, Wahrnehmungen gemacht haben, Geräusche gehört haben, die mit der Tat zu tun gehabt haben. Und ausgerechnet der Verfassungsschützer, der darauf ja auch geschult ist, der will von alledem nichts mitbekommen haben. Wir haben unter Beweis gestellt, dass er dienstlich dort war, dass er Kenntnis von der Mordserie hatte. Das soll alles nicht mehr aufgeklärt werden. Und dann habe ich schon den Standpunkt, dass der Verfassungsschützer nicht die Wahrheit gesagt hat, dass er etwas verschweigt. Und wenn er etwas verschweigt – und das sind nicht meine Feststellungen, das haben die Kasseler Kriminalbeamten im Prozess auch ausgesagt –, ist er entweder beteiligt, hat vorher gewusst, was da passieren würde, oder er schützt und deckt Leute, die er bei der Tat gesehen hat. Und wenn das nicht Böhnhardt und Mundlos sind, die tot sind, sondern möglicherweise andere Leute, dann bringt das auch die Beweisführung der Bundesanwaltschaft ins Wanken. Deshalb ist es für uns so zentral gewesen, sich mit diesen Fragen intensiv zu beschäftigen und dazu auch Anträge zu stellen.
    "Dass das zu einer Verurteilung als Täterin führt, daran habe ich wenig Zweifel"
    Zagatta: Wenn wir jetzt den Prozess in seiner Gesamtheit sehen, da haben ja Ihre Mandanten, da hat die Mutter von Halit Yozgat sich in dem Prozess an Frau Zschäpe ja gewandt mit der Bitte, zur Aufklärung beizutragen. Ist sie denn sehr enttäuscht, ist die Familie sehr enttäuscht, dass Frau Zschäpe das nicht getan hat?
    Bliwier: Ja, das ist natürlich eine Enttäuschung, wobei wir immer auch natürlich den Standpunkt vertreten haben auch der Familie Yozgat gegenüber, dass Frau Zschäpe dazu nicht verpflichtet ist. Was passiert ist, ist, dass Frau Zschäpe uns hier eine Einlassung aufgetischt hat, die ja zum Teil skurril war. Zu sagen, ich habe von diesen ganzen Mordtaten nichts mitbekommen, 14 Jahre lang im Untergrund. Das ist einfach Unsinn. Das hat die Bundesanwaltschaft auch sehr schön, sehr akribisch dargelegt, dass das widerlegt ist. Und das ist natürlich das Gegenteil davon, zur Aufklärung beizutragen. Das ist das gute Recht von Frau Zschäpe, Geschichten zu erzählen. Sie wird die Konsequenzen dafür tragen müssen, denn dass das im Endeffekt zu einer Verurteilung als Täterin führt, daran habe ich wenig Zweifel. Aber das ist dann unbefriedigend für die Familie Yozgat, wenn da von der einzigen, die das möglicherweise leisten könnte, nichts weiter beigetragen wird. Aber es ist das gute Recht von Frau Zschäpe.
    Zagatta: Frau Zschäpe hat ja zumindest eine schriftliche Erklärung abgegeben, in der sie sich bei Opfern und Angehörigen entschuldigt hat. Hat das für Ihre Mandanten irgendeinen Wert?
    Bliwier: Nein, null. Das hat überhaupt keinen Wert, weil das korrespondiert mit einer Erklärung zur Sache, die vollständig unglaubhaft ist. Das passt nicht zusammen. Ich kann nicht auf der einen Seite jede Verantwortung an den mir vorgeworfenen Taten bestreiten und dann so eine merkwürdige Entschuldigung richten an die Angehörigen. Das funktioniert nicht.
    "Ich glaube, dass ein bitterer Beigeschmack bleiben wird"
    Zagatta: Nach dem Plädoyer hat man ja den Eindruck, das läuft eindeutig jetzt auf eine lebenslange Strafe für Frau Zschäpe hinaus. Haben Sie daran – da gibt es keine Zweifel für Sie?
    Bliwier: Ich habe daran überhaupt keinen Zweifel. So gründlich, wie die Beteiligung von Frau Zschäpe jetzt – und das ist die Stärke des Plädoyers, das muss man einfach auch mal sagen –, so gründlich, wie das seziert worden ist, wie die Einlassung widerlegt worden ist – ich habe überhaupt keinen Zweifel, auch nach den bisherigen Entscheidungen des Senats zu Haftfragen von anderen Beteiligten, dass das genau so im Ergebnis zu einer antragsgemäßen Verurteilung führen wird. Daran habe ich null Zweifel.
    Zagatta: Herr Bliwier, so ein Prozess kann ja keine Mord gutmachen oder dem Schmerz der Familie gerecht werden. Aber glauben Sie denn, diese vier Jahre, das Verfahren, hat das dazu beigetragen, dass die Familie, dass die Hinterbliebenen da irgendwie jetzt Frieden finden, oder überwiegt das, was Sie da vorhin auch angedeutet haben, überwiegt da ein bitterer Beigeschmack?
    Bliwier: Ich glaube, dass ein bitterer Beigeschmack bleiben wird, weil eben die Möglichkeiten, die es gegeben hätte – wir haben ja zahlreiche Beweisanträge dazu gestellt und Beweismittel benannt –, dass die Möglichkeiten nicht ergriffen worden sind, das ist sicherlich ein bitterer Nachgeschmack. Ich gehe sicher davon aus, dass die Familie Yozgat im Prozess nochmal das Wort ergreifen wird und sich dazu auch erklären wird. Das hat der Prozess nicht geleistet, und von daher ist es eben tatsächlich so, dass ein Rechtsfrieden – auch Aufgabe des Strafprozesses, diesen herzustellen –, dass der wahrscheinlich nicht hergestellt werden wird, sondern dass Fragen offen bleiben.
    Zagatta: Zum NSU-Prozess der Hamburger Anwalt Thomas Bliwier, der die Familie von Halit Yozgat vertritt, der 2006 im Alter von 21 Jahren damals in seinem Internetcafé in Kassel erschossen worden ist. Herr Bliwier, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Bliwier: Sehr gern, Herr Zagatta!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.