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Partei-Kritik an Sahra Wagenknecht
"Flüchtlinge sind nicht mehr kriminell als Deutsche"

Sahra Wagenknecht steht nach ihren Aussagen zur Flüchtlingspolitik parteiintern in der Kritik. Die Aussagen der Fraktionschefin seien zu kritisieren und müssten diskutiert werden, sagte Linken-Innenpolitikerin Ulla Jelpke im DLF. Wer die Sicherheitsfrage einzig und allein mit Flüchtlingen verbinde, gebe Rechtspopulisten die Möglichkeit zur Hetze.

Ulla Jelpke im Gespräch mit Rainer Brandes | 26.07.2016
    Ulla Jelpke (Die Linke) spricht im Bundestag.
    Ulla Jelpke (Die Linke) spricht im Bundestag. (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
    Rainer Brandes: Nach den Gewalttaten der letzten Tage hat sich die Diskussion um die innere Sicherheit längst verknüpft mit der Diskussion um die Flüchtlingspolitik. Darüber spreche ich jetzt mit Ulla Jelpke. Sie ist innenpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion. Frau Jelpke, Sahra Wagenknecht, Ihre Fraktionsvorsitzende, die hat gestern in der "Tagesschau" Merkels Flüchtlingspolitik scharf angegriffen. Hören wir uns das noch mal an:
    O-Ton Sahra Wagenknecht: "Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass die Aufnahme und Integration einer sehr großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern zumindest mit erheblichen Problemen verbunden und sehr viel schwieriger ist, als Frau Merkel uns das mit ihrem "Wir schaffen das!" im letzten Herbst einreden wollte."
    Brandes: Das sagt Sahra Wagenknecht und Ihr außenpolitischer Sprecher, Jan van Aken, fordert jetzt ihre Ablösung. Sie auch?
    Ulla Jelpke: Nein, ich fordere nicht ihre Ablösung, auch wenn ich die Aussagen kritisiere. Auch andere Fraktionsvorsitzende haben Positionen vertreten, die nicht unserer Programmatik entsprechen. Das muss man kritisieren und man muss natürlich hier auch eine Auseinandersetzung führen. Aber zum Beispiel Gregor Gysi hat auch oft in der Friedenspolitik abweichende Positionen vertreten.
    "Frau Wagenknecht nimmt eine doch unzulässige Vermischung vor"
    Brandes: Aber es ist ja jetzt auch nicht das erste Mal, dass Frau Wagenknecht hier gegen die Flüchtlingspolitik schießt.
    Jelpke: Das ist wohl wahr, zumindest, sagen wir mal, unsere Programmatik nicht vertritt. Es ging einmal um das sogenannte Gastrecht, was Asylsuchende angeht, und es ging aber auch um die Obergrenzen. Und jetzt geht es darum, dass Frau Wagenknecht im Grunde genommen eine doch unzulässige Vermischung vornimmt vor dem Hintergrund der Anschläge, der Gewalttaten in den letzten Jahren, die zweifellos schlimm sind, aber die meines Erachtens mit Flüchtlingspolitik überhaupt gar nichts zu tun haben. Und wer das macht, gibt eigentlich Rechtspopulisten die Möglichkeit, hier wieder erneut zu hetzen, Strafverschärfungen, Abschiebestimmen loszuwerden, und das finde ich nicht gut.
    Brandes: Aber wenn wir uns die Fakten angucken: Der Attentäter von Würzburg, er war ein Flüchtling. Der Attentäter von Ansbach war auch ein Flüchtling. Hat Frau Wagenknecht da nicht recht? Haben wir uns mit der Aufnahme so vieler Flüchtlinge den Terror ins Land geholt?
    Jelpke: Na ja, ich bin schon der Meinung, dass man genau differenzieren muss. Der Attentäter von München war einer, der auch seit Langem in Deutschland gelebt hat und aufgewachsen ist.
    "Das sind Gewalttaten. Unter Terrorismus verstehe ich noch was anderes"
    Brandes: Das war auch kein Terroranschlag. Aber jetzt speziell die Terroranschläge von Würzburg und von Ansbach.
    Jelpke: Ich würde sagen, das sind Gewalttaten. Unter Terrorismus verstehe ich jedenfalls noch was anderes. Da unterscheide ich auch schon mal, was Ihre Einschätzungen angeht. Das sind schlimme Gewalttaten, keine Frage, aber…
    Brandes: Das heißt, wenn jemand aus islamistischen Gründen Menschen ermordet, oder ermorden möchte, dann ist das für Sie kein Terrorakt?
    Jelpke: Da haben wir überhaupt keine Beweise im Moment. Wenn das so wäre, oder der Auftrag besteht durch den Islamischen Staat, den sogenannten, dann muss man natürlich diese Verbindung auch herstellen. Aber erst mal haben wir es hier mit Amokläufern zu tun. Wir haben es mit Leuten zu tun, die schlimme Gewalttaten veranstaltet haben. Das will ich einfach mal klarstellen. Das Zweite ist: Bei dem Flüchtling, der aus Bulgarien kam, beziehungsweise nach Bulgarien zurück abgeschoben werden sollte, …
    "Hier sind tatsächlich auch Fehler gemacht worden von den Behörden"
    Brandes: Der von Ansbach.
    Jelpke: Genau. Auch zweifellos dieser Suizidakt, hier entsprechend viele Menschen mitzunehmen, das ist schlimm. Aber ich glaube, hier sind tatsächlich auch Fehler gemacht worden von den Behörden, weil wer die Verhältnisse in Bulgarien kennt weiß, dass beispielsweise Menschen, die schwer traumatisiert sind, die angeschlagen sind, der Mann hat seine Frau verloren, sein Kind verloren im Krieg und ganz offensichtlich hat er dort auch keine Behandlung zu erwarten gehabt. Das hat man zwar versucht, in Deutschland etwas aufzuheben, indem man ihm auch Behandlung gegeben hat, aber eine Abschiebung ist dann natürlich auch eine schlimme Androhung.
    Brandes: Aber wie kann es sein, dass so jemand in einem Flüchtlingsheim wohnt und dort ungestört Bomben basteln kann?
    Jelpke: Das kann ich Ihnen auch nicht erklären. Gerade auch in Bayern kenne ich - ich bin im Frühjahr dort gewesen - überhaupt keine Einrichtung, wo ein Flüchtling eine Wohnung alleine hat. Der muss schon sehr lange in Deutschland gelebt haben. Ich habe auch kaum Flüchtlinge erlebt, die dort nicht mit mehreren in einem Zimmer leben. Ich habe da keine genauen Informationen, aber das scheint mir auch ziemlich seltsam, dass das überhaupt nicht aufgefallen ist.
    Brandes: Aber die Angst in der Bevölkerung ist ja jetzt da, dass mit den Flüchtlingen auch Gewalttäter zu uns gekommen sind, und wenn darauf die Politik nicht reagiert, überlässt man dann nicht der AfD und anderen rechtspopulistischen Kräften erst recht das Feld?
    Jelpke: Ja! Ich denke auch, bei der Angst in der Bevölkerung, da müssen wir was tun. Da wird ja auch ständig drüber diskutiert, was verbessert werden kann. Wir haben die Polizeidiskussion, den Abbau von Polizeikräften.
    "Unter einer Million Straftaten haben wir zwei schwere, die von Flüchtlingen begangen werden"
    Brandes: Das heißt, da würden Sie mit Innenminister Herrmann aus Bayern von der CSU mitgehen, dass wir jetzt massiv mehr Polizei brauchen?
    Jelpke: Das muss man in jedem Einzelfall gucken. Ich kenne die bayerischen Verhältnisse jetzt nicht so gut, ob man massiv mehr Polizei braucht. Aber dass man auf jeden Fall die Sicherheit für die Bevölkerung herstellen muss, ist für mich überhaupt keine Frage. Ich habe ein ganz großes Problem damit, dass jetzt alle im Grunde genommen die Sicherheitsfrage einzig und allein mit den Flüchtlingen verbinden, denn wir haben unter einer Million Straftaten zwei schwere, die von Flüchtlingen begangen werden. Flüchtlinge sind nicht weniger und nicht mehr kriminell als Deutsche auch, oder als andere auch. Deswegen warne ich davor, jetzt in einem Schulterschluss im Grunde genommen überall aufzurüsten beziehungsweise erneut eine Debatte zu führen, die sich gegen Flüchtlinge richtet. Wir sehen ja, dass gerade die Rechtspopulisten das gerne nutzen, um jetzt zu sagen, hier, da seht ihr, wir können es eben nicht schaffen, hier, da seht ihr, wir brauchen eine stärkere Abschiebepolitik, und die jetzt gegen Flüchtlinge hetzen, und das dürfen wir nicht zulassen.
    Brandes: Aber tatsächlich wissen wir ja sehr wenig über die Menschen, die zu uns gekommen sind. Sollten wir jetzt im Nachhinein alle Flüchtlinge noch mal überprüfen?
    Jelpke: Das halte ich ehrlich gesagt für einen ziemlichen Quatsch, weil der Großteil der Flüchtlinge, jedenfalls die, die einen Asylantrag hier stellen wollen, die sind registriert worden. Es mag vielleicht eine kleine Zahl geben. Ich glaube, das sind Kraftanstrengungen an der falschen Stelle. Ich würde eher sagen, wir brauchen wirkliche Integrationsmaßnahmen. Auch wenn Sie sagen, viele Menschen kennen wir nicht, dann müssen wir uns auch damit beschäftigen, aus was für einer Situation sie kommen. Wenn Menschen aus einem Kriegsland kommen, dann sind sie in der Regel schwer traumatisiert. Ich glaube schon, dass es richtig ist, wir müssen uns mit den Menschen beschäftigen und wir müssen ihre Probleme kennen. Aber das hat in erster Linie was damit zu tun, ihnen zu helfen und vor allen Dingen integrative Maßnahmen wirklich zu schaffen, damit diese Menschen auch hier eine Perspektive haben und nicht frustriert sind.
    Brandes: Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, im Interview mit dem Deutschlandfunk. Wir haben das Gespräch am Abend aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.