Zum 40. Geburtstag der Grünen wollte die Partei eigentlich dort zusammenkommen, wo sie am 13. Januar 1980 gegründet wurde: in Karlsruhe. Wegen Corona findet der Parteitag nun hybrid statt – nur Vorstand und Präsidium sind in einer Halle in Berlin.
Auf dem Parteitags-Programm steht keine Wahl über die Führung. Im Fokus steht ein neues Grundsatzprogramm – das alte stammt aus dem Jahr 2002. Viele Änderungsvorschläge zielen auf eine Radikalisierung der vom Vorstand vorgebrachten Vorschläge ab: So steht die Forderung eines bedingungslosen Grundeinkommens im Raum, strittig ist die Förderung der Gentechnik. Auch zum 1,5-Grad-Klimaschutzziel gibt es unterschiedlich harte Formulierungen.
Anna Peters, eine Sprecherin der Grünen Jugend, fordert vor allem beim Thema Wirtschaft nochmals nachzuschärfen und den Menschen stärker in den Mittelpunkt zu stellen. "Ich glaube, dass wir uns als Partei nochmal Gedanken darüber machen müssen, was auch für negative Seiten diese Schaffenskraft der Märkte hat", sagte Peters im Dlf. Eine Koalition mit der Union sieht sie kritisch.
Jasper Barenberg: Frau Peters, wo sehen Sie denn die größten Unterschiede, die größte Veränderung zum bisherigen Programm aus dem Jahr 2002?
Anna Peters: Wir haben uns in vielen Themen weiterentwickelt und die größte Veränderung sehe ich darin, dass wir uns als Partei vor allem dazu entscheiden wollen, noch mal das Pariser Klimaschutzabkommen in den Fokus zu stellen und die 1,5-Grad-Grenze noch mal hier zu betonen. Ein weiterer Punkt, der sich auch seit dem letzten Programm entwickelt hat, ist natürlich, wie wir zum Beispiel zum Thema Wahlalter uns positionieren wollen, und – das wurde gerade ja auch schon gesagt – wie wir uns zum Beispiel mit unseren Sicherheitsorganen und der Polizei aufstellen wollen. Ich glaube, dieses Programm ist mutig und auf jeden Fall ein richtiger Schritt und ein richtiger Weg in die richtige Richtung, und am Wochenende werden wir dann noch ein bisschen was verändern wollen als Grüne Jugend und da auch stark mit rausgehen.
Barenberg: Sie wollen ein bisschen was verändern. Ein paar Themen haben Sie jetzt angeschnitten. Wo haben Sie denn die größten Bauchschmerzen? Oder anders gesagt: Wo haben Sie den größten Bedarf noch an Korrekturen?
Peters: Das ist einmal zum Beispiel im Teil des Wirtschaftsteils. Da geht es darum: Da wird über Wachstumsparadigmen gesprochen und da wird vor allem darüber gesprochen, was auch Wachstumszwänge für Fehler für uns bringen können, und da wünschen wir uns als Grüne Jugend natürlich noch mal eine Betonung und auch vor allem noch mal eine Diskussion rund darum, warum wir überhaupt Wirtschaft brauchen und warum wir auch als Grüne Jugend sagen, Wirtschaft soll für Menschen da sein und deswegen sollen auch die Menschen im Mittelpunkt des Wirtschaftens stehen.
Negative Seiten der Schaffenskraft der Wirtschaft
Barenberg: Frau Peters! Wenn ich da gerade einhaken darf? – "Die Dynamik und Schaffenskraft von Märkten ist unverzichtbar, um die großen Herausforderungen der ökologischen Krisen zu bewältigen." So steht der Satz im Entwurf. Tragen Sie den mit?
Peters: Diesen trage ich mit. Ich glaube aber, dass wir uns generell als Partei vor allem noch mal darüber Gedanken machen müssen, was auch für negative Seiten diese Schaffenskraft der Märkte hat, und da wünschen wir uns an anderer Stelle auf jeden Fall noch mal eine Betonung, was für negative Seiten diese Schaffenskraft hat, und wünschen uns da vor allem auch noch mal das Mitdenken der planetaren Grenzen, der sozialen Teilhabe und der Vorsorge, die unserer Meinung nach im Mittelpunkt des Wirtschaftens stehen muss.
Barenberg: Sie haben natürlich ein zentrales Thema auch angesprochen: die Klimapolitik. Gehören Sie zu denjenigen, die sagen, 1,5-Grad-Ziel in das Programm zu schreiben, das reicht eigentlich nicht?
Peters: Natürlich reicht es nie, einfach nur das 1,5-Grad-Ziel ins Programm zu schreiben, wenn wir danach wieder weitermachen wie bisher. Das Problem ist aber, dass wir als Grüne in den letzten Jahren nicht regiert haben und im nächsten Jahr hoffentlich Veränderungen schaffen können. Das heißt, wir brauchen eine starke Grenze und wir brauchen vor allem ein starkes Ziel, das wir auch in der Politik ab dem nächsten Jahr mit uns tragen, und da kämpfen wir natürlich dafür, dass wir auch klare Bekenntnisse zum 1,5-Grad-Ziel, aber auch zu einem Emissions-Budget haben, damit wir gut anfangen können, im nächsten Jahr auch gute Klimapolitik im Bund zu machen.
Barenberg: Ich verstehe Sie richtig? Da wünschen Sie sich schon noch etwas schärfere Formulierungen, klarere Formulierungen?
Peters: Ja!
″Guten Kontakt zu Leuten der Klimaliste″
Barenberg: Ich frage das auch deswegen natürlich, weil es in Baden-Württemberg mittlerweile – das ist in dem Vorbericht auch deutlich geworden – mit der Klimaliste eine neue Öko-Gruppierung gibt, die zur Landtagswahl antreten wird in Baden-Württemberg und möglicherweise dem grünen Ministerpräsidenten wichtige Stimmen abluchsen könnte. Wieso sind die Leute, die sich dort engagieren, nicht bei den Grünen?
Peters: Wir haben in den letzten Jahren, im letzten Jahr besonders noch mal Streitpunkte auch mit unserer Partei gesehen und Konflikte gesehen. Der jüngste Konflikt ist natürlich der Dannenröder Wald und natürlich nehmen wir das auch als Grüne Jugend wahr. Wir haben guten Kontakt auch zu Leuten, die jetzt auf der Klimaliste stehen. Es ist natürlich schade, dass die nicht zu uns Grünen gekommen sind, aber wir werden den Kontakt nicht zu denen aufgeben und wir werden auch versuchen, mit ihnen zusammen danach zu arbeiten. Ich glaube, es ist ein gutes Zeichen, um noch mal Druck auf uns Grüne aufzubauen, auch in Baden-Württemberg, aber natürlich wünsche ich mir, dass auch meine Partei genau diesen Menschen ein Angebot macht, und hoffe, dass das in Zukunft wieder so ist.
″Brauchen einen unabhängigen Polizeibeauftragten″
Barenberg: Sie haben noch ein anderes Thema angeschnitten, auf das ich eingehen möchte: die Sicherheitsbehörden. "Polizei und Sicherheitsorgane garantieren die Sicherheit im Inneren." – Ein weiterer Satz aus dem Entwurf. Da hört man ja von Ihnen auch Kritik, gerade wenn es um den Umgang mit der Polizei geht, oder?
Peters: Genau. Wir stimmen diesem Satz total zu. Wir haben aber noch mal Änderungen und vor allem wollen wir darüber reden, wie überhaupt dieses sichtbare Gewaltmonopol der Polizei auch bürgernah sein kann, Transparenz auch in der Polizei aktiv ist und die demokratische Kontrolle auch bei der Polizei stattfindet. Dafür brauchen wir einen unabhängigen Polizeibeauftragten, wir brauchen Ermittlungsstellen, wir brauchen Kennzeichnungspflichten für alle Polizistinnen, aber wir brauchen vor allem den Diskurs darüber, was gerade auch Fehlverhalten in der Polizei sind, wo Fehler stattfinden und wie institutionelle Bedingungen dazu führen, dass es Fehlverhalten in der Polizei gibt. Da wünschen wir uns noch mal einen besseren Umgang mit diesem Fehlverhalten und vor allem mit dem polizeilichen Handeln, das in den letzten Monaten immer wieder zu Skandalen, zu Chat-Gruppen und zu anderem Handeln in der Polizei geführt hat. Da wünschen wir uns wie gesagt noch eine Änderung.
Barenberg: "Zu achten und zu schützen – Veränderung schafft Halt" – So lautet ja vorläufig jedenfalls der Titel für dieses neue Grundsatzprogramm. Soll uns das sagen, das ist nicht mehr ein Gegenentwurf zu den Verhältnissen, wie das in früheren Zeiten oft bei den Grünen war, sondern das Signal ist, wir sind mit dieser Gesellschaft und ihrer Ordnung in den wesentlichen Punkten einverstanden?
Peters: Für mich bedeutet das vor allem, dass wir nicht mehr zurückkommen können zu der Gesellschaft, wie sie vor der Corona-Krise war, und wir brauchen diese Veränderung in der Gesellschaft, um weitreichend gut voranzukommen. Deswegen ist für mich das wichtigste Wort in diesem Titel Veränderung. Ich glaube, wir können nicht mehr zurück zu vor Corona-Zeiten. Corona hat uns gezeigt, in wie vielen Krisen wir eigentlich auch schon davor steckten, und genau deswegen müssen wir jetzt mutig vorankommen und diese Veränderungen auch in die Gesellschaft bringen.
Kanzlerkandidat? ″Wir haben zwei super Kandidierende″
Barenberg: "Veränderung schafft Halt" – Dieser Titel klingt im Grunde genommen ja schon wie gemacht als Überschrift für eine Koalition mit der Union. Oder wie sehen Sie das?
Peters: Es ist, glaube ich, klar, dass die Grüne Jugend eine Koalition mit der Union kritisch sieht, und das werden wir auch im nächsten Jahr. Aber natürlich werden wir im nächsten Jahr erst mal darum kämpfen, als Grüne und als Grüne Jugend auch stark in dem Wahlkampf sichtbar zu sein, starke Programme zu setzen und auch starke Veränderungen auf die Straße zu bringen. Natürlich wünschen wir uns als Grüne Jugend ein progressives Bündnis, ein Bündnis links der CDU/CSU, und wir werden im nächsten Jahr alles dafür tun, mit Bewegungen zusammen, mit Bündnispartnerinnen zusammen Veränderungen in diese Gesellschaft zu bringen und die Union endlich aus dem Kanzleramt zu kicken.
Barenberg: Ganz kurz noch, Frau Peters. Mit Annalena Baerbock an der Spitze?
Peters: Das wird sich noch entscheiden. Wir haben zwei super gute Kandidierende. Ich finde, es ist auch total cool, dass wir zwei tolle Kandidierende haben, die sich dann noch entscheiden können, wer Kanzlerin oder Kanzler macht. Und ich freue mich, dass das im nächsten Jahr dann beschlossen wird und wir dann mit einer tollen Person an die Spitze in den Wahlkampf ziehen werden.
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