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Pathos und Patina in Alexandria
Im Kokon der Vergangenheit der Zukunft abgewandt

Bis in die 50er-Jahre war Alexandria eine mondäne Metropole. Europäische Migranten zog es zu Tausenden in das "Paris des Mittelmeeres". Doch der Glanz der Vergangenheit verblasst.

Von Anna Osius | 24.06.2018
    Angler an der Uferpromenade von Alexandria
    Angler an der Uferpromenade von Alexandria (Deutschlandradio / Anna Osius)
    "Alexandria ist eine Stadt der Erinnerungen, der Nostalgie. Wir reden über die Vergangenheit, weil wir die Gegenwart ablehnen. Vor fünf, sechs, sieben Jahren haben wir über die Zukunft nachgedacht. Wir hatten Hoffnung auf eine neue kosmopolitische Stadt, ein neues Ägypten. Das ist verschwunden. Jetzt wissen wir, dass uns die Zukunft verschlossen bleibt. Deshalb wenden wir uns der Vergangenheit zu."
    Alexandria. Weltstadt und eigener Kosmos, Schönheit und Elend. Wie die ägyptische Künstlerin Jasmine und der Soziologe Amro Ali es beschreiben.
    "Einmal sollte ich Alexandria in weniger als zehn Worten beschreiben. Ich sagte: Lass dich nicht von der Nostalgie überwältigen, lass dich nicht von ihr quälen. Es ist eine Stadt, deren Schicksal die eigene Vergangenheit ist. Jedes Kind wächst in Alexandria mit dem Spruch auf: Alexandria war einmal schön, in der Vergangenheit. Du fühlst immer: Einst war es schön, einst war es reich. Aber du erlebst nur die traurigen Überreste."
    Einst kosmopolitisches Idyll am Mittelmeer
    Vergangenheit und Gegenwart prallen ganz im Norden Ägyptens aufeinander. Heute ist Alexandria die zweitgrößte Stadt des Landes mit mehr als fünf Millionen Einwohnern und allen Problemen, die eine ägyptische Großstadt mit sich bringt: Überbevölkerung, Müll, Verkehr, eine starke Staatsmacht und erdrückende Armut. Damals – vor nicht mal 100 Jahren – war diese Stadt ein kosmopolitisches Idyll am Mittelmeer, das Paris des Nahen Ostens. Aber wo ist das geblieben?
    In Alexandrias Bahnhofsviertel herrscht dichtes Gedränge. Vor dem historischen Bahnhof preisen Händler ihre Waren an: Plastikspielzeug, Sonnenbrillen, Getränkedosen. Klingelnd rattern Straßenbahnen über Kopfsteinpflaster. Sie stammen wohl aus derselben Zeit wie Alexandrias klapprige, schwarz-gelbe Taxis, die hupend anhalten, um die Straßenbahn passieren zu lassen. Vereinzelte Prachtbauten, stuckverziert, mit Türmchen und Säulen erinnern an längst vergangene Zeiten, Putz blättert von den Fassaden.
    Bahnhof von Alexandria - Tor nach Ägypten
    Bahnhof von Alexandria - Tor nach Ägypten (Deutschlandradio / Anna Osius)
    Vor einem Kaffeehaus an der Straße sitzt Mohammed Sayyed und trinkt Tee. Der alte Mann stammt aus Iskandariyya – Alexandrien – und er kann sich noch gut an die Stadt seiner Kindheit erinnern: "Die alten Häuser hatten sechs Meter hohe Decken. Da gab es Luft, wenn man die Fenster aufmachte. Heute kann man die Decken fast mit der Hand berühren. Man hat viele der alten Häuser, der Villen abgerissen – dort sind jetzt Hochhäuser entstanden."
    "Ein einfaches Leben, aber ein schönes"
    Auch die Bewohner Alexandrias waren andere, erinnert sich Mohammed. Die Stadt war bis in die 50er-Jahre voller Ausländer: Italienern, Griechen, Spaniern, Menschen aus dem Mittelmeerraum, die die Weltstadt Alexandria zu ihrer neuen Heimat erklärten.
    "Es war ein einfaches Leben, aber ein schönes. Wir waren zufrieden. Leider sind die meisten Ausländer, die hier gewohnt haben, jetzt weg gezogen oder gestorben. Es gibt nur noch wenige."
    In einer kleinen Seitenstraße hat Mohammed Awad sein Büro. Der Architekt lehrt an der Universität von Alexandria – und hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Erbe der Mittelmeerstadt zu bewahren.
    "Alexandria war ein Symbol des kosmopolitischen Lebens. Ein hübsches kleines Paris, ein Dolce Vita."
    Flüchtlinge kamen übers Mittelmeer
    Alte Fotos belegen, dass auch schon damals Flüchtlinge übers Mittelmeer kamen – nur andersherum: Menschen aus Griechenland und Italien landeten zu Tausenden mit Booten in Alexandria.
    "Ägypten war das Paradies. Die Leute kamen hierher, wie sie heute nach Amerika gehen oder nach Europa. Wir zogen Migranten an und jetzt verjagen wir sie wieder."
    Verfall einer Weltstadt
    Es gebe viele Gründe für den Verfall der ehemaligen Weltstadt, erzählt Awad. Die beiden Weltkriege beendeten das kosmopolitische Miteinander der Europäer. Und der im Ägypten der 50er- und 60er-Jahre aufkommende Kommunismus ließ das Land verarmen. Stattdessen brachten kurz darauf die ersten aus Saudi-Arabien zurückkehrenden Ägypter eine andere Kultur mit: einen strengen Islam. Mini-Röcke, wie sie noch in den 60er-Jahren in Alexandria und Kairo auf den Straßen zu sehen waren, verschwanden. Ägypten veränderte sich. Das alte Alexandria zu bewahren, sei eine große Herausforderung, erzählt Architekt Awad.
    "Es ist eine sehr traurige Geschichte. Wir kämpfen verzweifelt gegen diesen Vandalismus, der das kulturelle Erbe der Stadt zerstört. In den vergangenen zwei, drei Jahren haben wir mindestens zwei sehr wertvolle Gebäude verloren, die Villa Guillaumes und die Villa Securelle, beide im Art Deco Stil. Sie wurden einfach abgerissen. Es gibt zwar eine Denkmalschutzliste, aber hier herrscht Korruption, so dass es nicht unter Kontrolle ist. Wir versuchen unser bestes."
    Alte Villen werden in Alexandria platt gemacht und Hochhäuser schnell hochgezogen
    Alte Villen werden in Alexandria platt gemacht und Hochhäuser schnell hochgezogen (Deutschlandradio / Anna Osius)
    Das Drama von Abriss und Verfall ist in Alexandria an vielen Stellen sichtbar. Überall in der Stadt werden Hochhäuser schnell hochgezogen, oft ohne jede Stadtplanung. Denn jedes Jahr wächst die Bevölkerung Ägyptens um rund zwei Millionen Menschen. Mittlerweile gibt es mehr als 100 Millionen Ägypter. Und die Menschen brauchen Wohnraum – vor allem in den Städten, die stetig wachsen.
    In manchen Vierteln Alexandrias sind die alten Villen nahezu komplett verschwunden. So auch nahe des Wabour el Maya, einem eigentlich recht ruhigen Innenstadtviertel. Jetzt gibt es im ganzen Viertel nur noch eine alte Villa, und die gehört der Bundesrepublik Deutschland.
    Eine Oase in der lauten Stadt
    Zu Besuch bei Markus Schildhauer und seine Frau Karin. Sie leiten das Seemannsheim, die deutsche Seemannsmission in Alexandria. Finanziert von der Evangelischen Kirche Deutschland werden hier bereits seit den 50er-Jahren Seeleute aus aller Welt betreut, die im Hafen von Alexandria ankommen. Das alte Haus ist eine Oase in der lauten Stadt, im Garten wachsen Bananenstauden und Bougainvilleen, Vögel zwitschern. Neben dem Seemannsheim ragt eine 60 Meter hohe Backsteinmauer in den Himmel.
    "Hier neben uns war eine tolle alte Villa, im Kolonialstil gebaut. Alles mittlerweile nur noch Hochhäuser. Was das wirklich schlimme an der ganzen Sache ist, die Infrastruktur zieht dem ganzen nicht nach. Wir haben hier weder eine neue Stromleitung bekommen, noch sind neue Abwasserleitungen gelegt worden. Früher waren hier alles kleine Villen wie unsere und jetzt sind das alles große Hochhäuser mit 30, 40, 50 Wohnungen. Dass da die Kanalisation nicht nachkommt, muss eigentlich jedem klar sein."
    Vogelzwitschern und laute Schreie
    Im Garten des Seemannsheims hört man nicht nur Vogelzwitschern, sondern auch laute Schreie, Gebrüll, vor allem abends. Direkt hinter dem Grundstück, jenseits einer Bahnlinie liegt eines der Gefängnisse Alexandrias. Die Haftbedingungen in Ägypten gelten als äußerst schwierig. Ohne Versorgung von außen ist ein Gefängnisaufenthalt kaum zu überstehen. Deshalb schreien die Insassen, brüllen ihren Angehörigen außerhalb der Gefängnismauern zu, was sie brauchen, und versuchen auf diesem Weg mit ihrem Anwalt zu kommunizieren.
    "My name is Mahienour el Massry, I am a lawyer …" Eine, die all das aus nächster Nähe erlebt hat, ist Mahienour El-Massry. Die junge Anwältin und bekannte Menschenrechtsaktivistin lebt in Alexandria und kämpft seit Beginn des sogenannten Arabischen Frühlings vor sieben Jahren für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte in Ägypten. Ein schwerer Kampf, sagt sie.
    "Die Situation momentan in Ägypten ist sehr schwierig. Viele von uns Aktivisten sitzen im Gefängnis, manche haben ihr Leben verloren, viele sind ins Ausland geflohen. Das Problem ist, dass viele Ägypter jede Hoffnung auf Veränderung verloren haben."
    Hoffnung auf eine zweite Runde der Revolution
    Die 32-Jährige war selbst dreimal im Gefängnis, erzählt sie, insgesamt fast zwei Jahre lang. Hinter Gittern habe sie das Grauen erlebt.
    "Ich bin über den Punkt hinweg, Angst zu haben. Ich habe im Gefängnis mit das schlimmste gesehen, was vorstellbar ist. Ich kämpfe weiter für ein besseres, humaneres System. Es gibt keinen Weg zurück. Der Traum von Freiheit ist da und er wird sich durchsetzen. Vielleicht gibt es eine zweite Runde der Revolution, oder eine dritte?"
    Doch derzeit gibt es dafür keine Anzeichen. Der starke Mann im Staat ist und bleibt Präsident Abdel-Fatah al-Sisi. Das erklärte oberste Ziel der ägyptischen Regierung ist der Kampf gegen den Terror. Und diesem Kampf, so sagen Kritiker, werde alles untergeordnet – auch Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Demokratie.
    Der starke Mann im Staat, Ägyptens Präsident Al-Sisi, ist omnipräsent
    Der starke Mann im Staat, Ägyptens Präsident Al-Sisi, ist omnipräsent (Deutschlandradio / Anna Osius)
    Es gibt ihn in Ägypten, den Terror. Auch Alexandria hat ihn erlebt. Vor gut einem Jahr zündete nach der Palmsonntagsmesse ein Attentäter seine Bombe vor der koptischen Markus-Kathedrale, dem Papstsitz mitten in Alexandrias Innenstadt. Die Terrororganisation Islamischer Staat bekannte sich zu dem Attentat und zu einem noch blutigeren Anschlag wenige Stunden zuvor in der nordägyptischen Stadt Tanta. Bei den beiden Attentaten starben fast 50 Menschen. Ein schwarzer Tag für Ägypten.
    Wir verabschieden uns von Mahienour, und machen uns auf den Weg zur Markus-Kathedrale. Der Zugang zum Kirchengelände gleicht einem Hochsicherheitstrakt mit Absperrungen, Metalldetektoren, Dutzenden Polizisten. Am schmiedeeisernen Tor sind immer noch die Dellen und Löcher zu sehen, die der Sprengsatz hier vor einem Jahr hinterlassen hat. Ein großes Plakat erinnert an die Opfer. Gerade werden Kirche und Gemeindehaus umfassend renoviert. Einer, der den Anschlag vor gut einem Jahr erlebt hat, ist Abanub Girgis. Der junge Kopte hatte die Messe kurz zuvor verlassen.
    "Als ich die Explosion hörte, wusste ich sofort: Das war an der Kirche. Da bin ich sofort losgerannt. Ich wollte wissen, was passiert war, ob meinen Freunden etwas passiert ist. Onkel Nassim, den jeder hier kannte, lag auf seinem Gesicht und war tot – ich hatte ihn eben noch gegrüßt. Nur zehn Minuten vorher war ich dort. Überall lagen Leichen, verstreute Palmwedel, überall war Blut. Das jüngste Opfer war ein gerade mal zweijähriges Mädchen."
    Abanub kann den Tag des Anschlags nicht vergessen. Und doch kommt er weiter in die Kirche. Der Staat hat die Sicherheitsvorkehrungen nochmals erhöht.
    "Statt zwei Kontrollen gibt es jetzt vier. Doch die Leute hält das nicht vom Kirchenbesuch ab, im Gegenteil – es kommen immer mehr Gläubige. Wir haben keine Angst vor dem Terror. Die Kirche wird nicht geschwächt durch Verfolgung, sie wird immer stärker."
    Wunsch nach friedlichem Miteinander
    Die Kopten Ägyptens stehen Seite an Seite mit Präsident al-Sisi, sie fühlen sich durch ihn geschützt.
    Abanub wünscht sich vor allem eines: Ein friedliches Miteinander von Christen und Muslimen in Alexandria. Doch das ist schon längst nicht mehr selbstverständlich. Die religiösen Gegensätze sind in der Großstadt an jeder Ecke sichtbar. Alexandria gilt als Hochburg ägyptischer Salafisten.
    Starke Missionstätigkeit der Salafisten
    Der Basar in einem muslimischen Armenviertel, nur wenige Kilometer von der Markus-Kathedrale entfernt. Händler preisen ihre Waren an. Viele Frauen, die hier einkaufen, tragen den Niqab, den schwarzen Gesichtsschleier, viele Männer haben lange Bärte und traditionelle Gewänder. Die Salafisten sind hier präsent.
    Ahmed Mohammed ist einer von ihnen. Der ältere Mann mit dem langen Bart ist unser Taxifahrer. Seine Glaubensbrüder sind überall vertreten, betont er.
    "Gegenwärtig sind wir in vielen Vierteln Alexandrias stark. Am stärksten sind wir im Südosten der Stadt, aber auch die Nordküste entlang. In den 70er-Jahren gab es eine starke Missionstätigkeit der Salafisten hier in Alexandria. Es gibt verschiedene Strömungen, und die Jugend vergöttert vor allem einen religiösen Führer bis heute – sogar mehr als es sein soll."
    Eine Autorikscha, wegen ihres Motorengeräuschs auch Tuk Tuk genannt, fährt an einem Basar vorbei
    Eine Autorikscha, wegen ihres Motorengeräuschs auch Tuk Tuk genannt, fährt an einem Basar vorbei (Deutschlandradio / Anna Osius)
    Ahmed Mohammed sieht manche Entwicklungen in der Salafisten-Szene kritisch – die Politisierung des Glaubens, aktive Einmischung in die Politik. Die ägyptischen Salafisten gelten als regierungsnah, im Gegensatz zu den vom Staat bekämpften Muslimbrüdern. Ahmed Mohammed betont, er konzentriere sich auf die reine Lehre.
    "Die Salafiströmung, der ich angehöre, lehnt die Einmischung in die Politik ab. Wenn sie mich über meine persönliche Meinung über den heutigen Herrscher Ägyptens fragen, sage ich Ihnen, dass er ungerecht ist. Aber ich darf ihm nicht widersprechen. Wir dürfen uns nicht einmischen."
    Wunsch nach Freiheit inmitten von Unterdrückung
    Soll man sich raushalten aus der Politik? Oder seinen eigenen Weg suchen, mit Kritik umzugehen? Alexandria ist heute weniger zwischen den Religionen gespalten, als zwischen den Lebensweisen. Der Art, zu denken, dem Wunsch nach Freiheit inmitten von Unterdrückung und der Frage, wie diese Freiheit aussehen soll.
    Auf einer Dachterrasse mitten in Alexandrias Innenstadt treffen sich Andersdenkende zum Austausch. Künstler aus der freien Szene Alexandrias, Maler, Fotografen, Theaterregisseure; wir nennen sie aus Sicherheitsgründen nur beim Vornamen. Menschen, die eine Veränderung für das Land wollen und sich mehr und mehr in die Kunst flüchten.
    Künstler treffen sich in Alexandria zum Austausch
    Künstler treffen sich in Alexandria zum Austausch (Deutschlandradio / Anna Osius)
    Adel ist Regisseur. Er betreibt ein freies politisches Theater. "Es ist nur mit vielen Schwierigkeiten möglich hier Theater zu machen. Wir erleben Zensur und Selbstzensur. Ständig gibt es eine Schranke im Kopf, so dass du nicht sagen kannst, was du willst. In der letzten Zeit wurden viele Theaterstücke verboten, und in der freien Szene ist es sehr schwierig. Sie können uns jederzeit dichtmachen. Aber wenn wir gestoppt werden, können andere eines Tages weitermachen."
    Für die Fotografin Jasmine ist Alexandria angesichts der politischen Lage in Ägypten momentan vor allem eines: Eine Stadt der Nostalgie, in Gedenken an die alte kosmopolitische Weltstadt.
    "Alexandria ist eine Stadt der Erinnerungen, der Nostalgie. Wir reden über die Vergangenheit, weil wir die Gegenwart ablehnen. Vor fünf, sechs, sieben Jahren haben wir über die Zukunft nachgedacht. Wir hatten Hoffnung auf eine neue kosmopolitische Stadt, ein neues Ägypten. Das ist verschwunden."
    "Wir sind so müde, einfach nur müde"
    Wo ist die Hoffnung geblieben, Hoffnung auf eine Zukunft, bei den vielen jungen Ägyptern?
    "Meine Generation, heute in den 30ern, wir sind so müde, einfach nur müde. Unsere meisten Freunde sind im Gefängnis oder haben das Land verlassen. Wir wollen nicht gehen und wir wollen nicht eingesperrt werden. Wir sitzen fest."
    Jasmine hofft auf die nächste Generation. Sie will die verschiedenen Gruppen an einen Tisch bringen – und auch die eigenen Vorurteile überwinden.
    "Auch wenn ich nicht die Ideen der Salafisten teile, muss ich es schaffen, sie zu akzeptieren. Was bringe ich sonst den Kindern bei? Ich mag die Salafisten nicht. Ich will nicht, dass sie mir vorschreiben, einen Schleier zu tragen. Aber trotzdem muss ich sehen, dass auch sie ein Recht haben zu existieren. Ich selbst, als Künstlerin und als Frau, arbeite an mir, diese Menschen zu akzeptieren. Ich kann nicht von der Meinungsfreiheit in Europa schwärmen und meinen Nachbarn ablehnen, weil er Salafist ist."
    Herkulesaufgabe für die Kreativen
    Sami, der ein Kulturzentrum in Alexandria leitet, ist überzeugt: Gerade die Kunst, die Kreativität Alexandrias könne verschiedene gesellschaftliche Gruppen wieder zusammenbringen, sie verbinden, um sich damit gegen den Terror zu stellen.
    "Die Kultur, die Kunst, die Schönheit kann eine Antwort sein auf all die Gewalt, die wir jeden Tag erleben. Deshalb müssen wir weitermachen. Wir müssen den Geist der Schönheit wieder in der Stadt verbreiten, und in der Welt. Ja, das ist eine Herausforderung, aber wir erreichen die jungen Menschen durch Kultur und sie entdecken Toleranz, weil sie die anderen Seiten kennenlernen. Das müssen wir fortsetzen."
    An Alexandrias Uferpromenade, der Corniche, taucht die Vergangenheit immer wieder auf
    An Alexandrias Uferpromenade, der Corniche, taucht die Vergangenheit immer wieder auf (Deutschlandradio / Anna Osius)
    Die alte Weltstadt Alexandria. Schafft sie den Weg in die Zukunft? Architektur-Professor Awad will weiter kämpfen – für die alten Gebäude, die Bewahrung des kulturellen Erbes, für ein Stadtbild, das noch an das alte Alexandria erinnert.
    Selbst der Salafist Ahmed Mohammed wünscht sich ein Stück des alten Alexandrias zurück, sagt er – die vielen Besucher und die Internationalität.
    Und Sayyed, ein Museumsführer hofft, dass am Ende trotz aller radikalen Strömungen in Alexandria wieder die Toleranz siegt.
    "Alexandria war ein Symbol der Toleranz und ist es bis heute. Ich bin Muslim, mein Nachbar Christ. Kein Problem, das Paradies gehört Gott allein. Man soll einfach sein Leben führen und gute Taten tun, denn das ist das, was bleibt."
    "Ich liebe die Vergangenheit"
    Der einfache Mann mit Schnauzbart strahlt vor Begeisterung, wenn er vom alten Alexandria erzählt. Seine Augen glänzen, als würde er die reiche Geschichte vor sich sehen.
    "Ich liebe die Vergangenheit. Die Geschichte ist der Schatten des Menschen auf der Welt. Und die Geographie ist der Schatten der Erde auf dem Menschen."
    Die Brandung des Mittelmeeres schlägt an die Ufermauern Alexandrias, Schatten legen sich auf den abblätternden Putz, die Patina dieser Jahrtausende alten Stadt. Ein Ägypter lächelt uns Ausländern freundlich zu und heißt uns willkommen in seinem Iskandariyya. Die verlorene Weltstadt – manchmal ist sie auch heute noch in Alexandria zu spüren.