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Serie Luftverkehr: Bodenabwicklung
Flughäfen an der Kapazitätsgrenze

Ohne das sogenannte Ground Handling, die Abfertigung, läuft im Flugbetrieb gar nichts. Aber Privatisierung, mehr Wettbewerb, kürzere Standzeiten, harte Arbeit und schlechte Bezahlung erschweren das Geschäft. Die Mitarbeitersuche ist schwierig, die Airlines üben hohen Druck aus.

Von Dieter Nürnberger |
    Lange Schlangen am Flughafen Hamburg.
    Beim Check-in entstehen häufig lange Warteschlangen (picture alliance / dpa / Bodo Marks)
    Diesmal läuft alles glatt. Die Passagiere für den Flug von Berlin-Tegel nach Palma de Mallorca warten geduldig vor dem Check-in. Jetzt muss nur noch das Okay von der Gepäckabfertigung kommen. Martin Roll ist zufrieden. Der Geschäftsführer des Unternehmens "ahs" - das steht für "Aviation Handling Services" - weiß, dass das Bodenpersonal gerade in der Ferienzeit oft am Limit arbeitet.
    "Normalerweise machen wir zwei Stunden vorher den Check-in-Schalter auf. Jetzt dauert es einen kleinen Moment, weil unten im Gepäckkeller die Kollegen gerade etwas richten. Diese Schlange ist jetzt auch nichts Außergewöhnliches. Wir haben hier in Tegel eine relativ enge Situation. Von daher sieht es jetzt ein wenig mehr aus, aber die Schlange wird - wenn das Check-in losgeht - in wenigen Minuten abgearbeitet sein."
    Hohe Krankenstände beim Bodenpersonal
    Die Branche der Bodenverkehrsdienstleister gilt als relativ verschlossen. Nicht nur, weil viele Arbeitsschritte längst im Sicherheitsbereich eines Flughafens stattfinden. Arbeitnehmervertreter kritisieren vor allem schlechte Arbeitsbedingungen. Enrico Rümker leitet die Fachgruppe Verkehr bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Berlin. Rund 2.000 Mitarbeiter des Bodenpersonals gibt es an den beiden Flughäfen Tegel und Schönefeld.
    "Wir haben im Moment teilweise Krankenstände von 20 bis 30 Prozent in den Unternehmen. Was natürlich auch auf dem Rücken der Kollegen ausgetragen wird, weil die die Mehrarbeit dann einfach stemmen. Mit dem Effekt, dass das am Ende irgendwann einmal kollabieren könnte."
    Chaos an den Flughäfen
    Weshalb viele Luftverkehrsexperten auch die Branche selbst für die derzeit relativ hohe Zahl an Verspätungen und Flugstreichungen verantwortlich machen. Das Unternehmen "ahs" arbeitet in Berlin Tegel allein im Check-in- und Ticket-Bereich. Also nicht an der Rampe, dort wo die harte körperliche Arbeit des Be- und Entladens der Flugzeuge passiert. Doch ist "ahs" auch bundesweit an vielen Flughäfen als Bodendienstleister aktiv, seit 67 Jahren. Geschäftsführer Martin Roll nennt mehrere Gründe für das derzeitig oft beobachtete Chaos - er nennt das Wetter als Grund, auch die Fluglotsenstreiks in Frankreich. Und ja, bei einigen Anbietern an verschiedenen Standorten gebe es stets auch Personalengpässe.
    "Das ist ein Klimmzug - natürlich. Wenn dann dazukommt, dass da erhebliche Verspätungen sind, bringt das das System auch durcheinander. Wenn Sie dann beispielsweise statt einem geplanten Flug plötzlich zehn Flüge haben, dann haben Sie natürlich nicht auf einem Schlag zehnmal mehr Personal. Da ist eine sehr gute Personaldisposition notwendig, um es in den Griff zu bekommen."
    Vielerorts schlechte Löhne
    Und auch angemessene Löhne. Das Unternehmen "ahs" beziffert den Durchschnittsstundenlohn ihres Bodenpersonals in Berlin auf gut 15 Euro, inklusive Wochenend- und Nachtzuschlägen.
    Immerhin: Seit der letzten Tarifauseinandersetzung im Frühjahr 2017 wurden die Einstiegsgehälter in Berlin und Brandenburg spürbar angehoben. Von 9.30 Euro auf 11.80 Euro ab kommendem Jahr. Mehr als bei manch anderen Bodendienstleistern in Deutschland und hart erkämpft, sagt Verdi.
    Verantwortlich für vielerorts immer noch schlechten Löhne seien vor allem die Fluggesellschaften, sagt Gewerkschafter Enrico Rümker. Diese unterböten sich ständig mit billigen Flugtickets, die Gewinnmarge sei deshalb ohnehin gering.
    Subunternehmen senken das Lohnniveau
    Und der Kostendruck werde dann an die Unternehmen der Bodenabwicklung weitergegeben.

    "Ende dieses Jahres laufen beispielsweise die Lufthansa-Verträge aus. Würden die zu einem anderen Anbieter wechseln, hätte der neue Anbieter sofort einen Bedarf von mehreren hundert Mitarbeitern. Es ist bisher nicht gelungen, dort einen geordneten Prozess mit den Arbeitgebern ins Leben zu rufen, dass die Arbeitnehmer mit ihren bisherigen Bedingungen dann auch beim neuen unterkommen. Sondern es endet damit, dass man sich erstmal von Leiharbeitskräften trennt, dann weitere Stammbeschäftigte abgibt und diese sich dann wieder als Berufsanfänger bei dem neuen Unternehmen bewerben können."
    Weshalb sich die Branche auch durch immer wieder neu gegründete Subunternehmen auszeichnet. Jahrzehntelang war die Bodenabfertigung an den deutschen Flughäfen eine staatliche Aufgabe. Bezahlt wurde nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst. Doch seit der Liberalisierung der Branche Mitte der 90er-Jahre hat sich das geändert - es gibt mehr Unternehmen, doch das durchschnittliche Lohnniveau sei seitdem gesunken, klagen die Gewerkschaften. Doch daran wohl werden die wenigsten Passagiere denken, wenn sie am Flughafen einchecken.