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Präsidentschaftswahl in Frankreich
"Das ist eine ganz schwierige Aufgabe für Macron"

Der Politologe Hans Stark geht davon aus, dass Emmanuel Macron die Stichwahl am 7. Mai für sich entscheiden wird. Danach stehe er jedoch vor der schwierigen Aufgabe, eine Art große Koalition zwischen Mitte-Links und Mitte-Rechts zu schaffen. Nur so könne Macron Reformen angehen, die das Land dringend brauche, sagte er im DLF.

Hans Stark im Gespräch mit Christine Heuer |
    Emmanuel Macron nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses der ersten Wahlrunde um die französische Präsidentschaft.
    Emmanuel Macron nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses der ersten Wahlrunde um die französische Präsidentschaft. (dpa/picture alliance/ Alexey Vitvitsky)
    Christine Heuer: Ein Riss, ein immenser Schlamassel für die etablierten Parteien nämlich, ein politisches Erdbeben, ein fataler Schlag für die 5. Republik, wie die Franzosen sie bisher kannten – jedenfalls so in der Art kommentieren heute die französischen Zeitungen die erste Runde der Präsidentschaftswahl gestern. In der Stichwahl sind danach der Parteilose Emmanuel Macron mit knapp 24 Prozent der Stimmen und Marine Le Pen vom extrem rechten Front National mit knapp 22 Prozent. Bei der Stichwahl in zwei Wochen werden Le Pen nur geringe Chancen eingeräumt. Die meisten Beobachter in Frankreich sehen es so, dass damit das Schlimmste zumindest vorerst verhindert wurde. Jürgen König berichtet aus Paris.
    Jürgen König berichtete aus Paris, und dort begrüße ich Hans Stark vom Französischen Institut für Internationale Beziehungen. Guten Tag, Herr Stark!
    Hans Stark: Guten Tag!
    "Der Front National ist nicht k.o"
    Heuer: Der "Figaro" schreibt heute, die Rechte ist k.o. Stimmt das, Herr Stark, ist der Front National faktisch schon aus dem Rennen bei dieser Präsidentschaftswahl?
    Stark: Der Front National ist nicht k.o. Das sind eher die bürgerlichen Rechten, die zurzeit k.o. sind. Der Front National auf der einen Seite, glaube ich, wird jetzt eine gewisse Enttäuschung dann doch verspüren, weil Marine Le Pen sich erhofft hatte, als Wahlsiegerin aus diesem ersten Wahlgang hervorzugehen. Das tut sie nicht, sie ist nur an zweiter Stelle. Sie hat gut zwei Prozent weniger bekommen als Macron. Das ist für sie eigentlich kein sehr gutes Ergebnis. Auf der anderen Seite hat aber der Front National oder zumindest jetzt Marine Le Pen, sie hat zugelegt, sie hat über eine Million Stimmen mehr bekommen als gegenüber 2012. Das bedeutet, dass die Dame, mit der wir sicherlich noch viele Jahre rechnen müssen, peu à peu, von Wahl zu Wahl immer mehr Stimmen bekommt und dann möglicherweise – ich will es jetzt nicht beschreien –, aber möglicherweise irgendwann dann doch im Elysee landen wird.
    Heuer: Jean-Luc Mélenchon, der Linke, der verloren hat bei dieser Wahl, aber der wie Le Pen gegen die EU war, der hat als Einziger nicht zur Wahl von Macron in der Stichwahl aufgefordert von den unterlegenen Parteien. Heißt das, er unterstützt jetzt die Rechte?
    Stark: Nein, das tut er auf keinen Fall. Das wäre sein politisches Todesurteil. Das wird er auf keinen Fall tun.
    "Mélenchon überlässt es seinen Wählern, zu wählen, wie sie das wünschen"
    Heuer: Aber faktisch vielleicht. Wie werden seine Anhänger sich verhalten?
    Stark: Faktisch ist das Problem einfach so, er hat so dezidiert antieuropäische Positionen eingenommen jetzt in den letzten – eigentlich sogar in den letzten Jahren. Und auch eine dezidiert antideutsche Haltung. Und er hat Macron praktisch beschrieben als eine Marionette aus Berlin. Das tut Le Pen übrigens auch. Das bedeutet, dass er Macron nicht unterstützen kann. Er würde dann wahrscheinlich jegliche Kredibilität verlieren. Das bedeutet aber nicht, dass er dazu aufrufen wird, Le Pen zu wählen. Das tut er auch nicht, sondern er überlässt es seinen Wählern, zu wählen, wie sie das wünschen. Das kann auch dann ein ungültiges Wahlbild sein, das sie in die Urne tun oder eine Enthaltung, wie auch immer. Er überlässt es seinen Wählern. Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit der Wähler von Mélenchon trotzdem gegen Le Pen stimmen wird, einfach weil die Linke in Frankreich gegen Le Pen ist.
    Heuer: Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass die sich enthalten, weil die weder Le Pen wollen noch Macron?
    Stark: Das wird man sehen. Ich denke, dass sich die Anhänger spalten werden zwischen einer Enthaltungsposition auf der einen Seite und einer Unterstützungsposition auf der anderen Seite, und vielleicht wirklich am Rand gibt es ein paar, die dann zu Le Pen übergehen wird. Aber das wird eine Minderheit sein.
    Heuer: Also Sie rechnen fest mit einem Sieg von Emmanuel Macron bei der Stichwahl am 7. Mai.
    Stark: Ich rechne fest mit einem Sieg. Jetzt muss man aber schauen, wie groß dieser Sieg ausfallen wird. Denn selbst ein knapper Wahlsieg oder eine knappe Wahlniederlage für Marine Le Pen wäre bereits ein sehr gutes Omen für sie für 2022. In fünf Jahren wird wieder gewählt. Sie haben selbst gesagt in Ihrem Beitrag, "Nach der Wahl ist vor der Wahl" oder umgekehrt. Was nämlich jetzt auf Frankreich zukommt, sind die Parlamentswahlen. Wenn Macron als gewählter Präsident keine parlamentarische Mehrheit bekommt beziehungsweise eine Kammer bekommt, eine parlamentarische Kammer, die gegen ihn steht, bedeutet das für Frankreich fünf Jahre weiteren Stillstand. Die Situation, insbesondere die wirtschaftliche Situation ist aber dermaßen angespannt, dazu kommt noch die sicherheitspolitische Lage, dass dann natürlich die Gefahr besteht, dass alle Dämme brechen und dann der Weg frei wird für Le Pen.
    "Das ist eine ganz schwierige Aufgabe für Macron"
    Heuer: Das heißt also, Emmanuel Macron hat aus Ihrer Perspektive nicht so gute Chancen, tatsächlich effektiv zu regieren.
    Stark: So ist es. Er hat gute Chancen, gewählt zu werden als Präsident, aber dann hat er eine ganz schwierige Aufgabe vor sich, die er auch schon längst angekündigt hat, auf der übrigens seine Kandidatur beruht, nämlich eine Art große Koalition in Frankreich zu schaffen zwischen Mitte-Links und Mitte-Rechts, also zwischen sogenannten zentristischen Kräften in Frankreich, um gemeinsam die Reformen anzugehen, die das Land braucht. Das mag in der Theorie sehr gut klingen, und viele Intellektuelle sind auch gerade für diese Tendenz, und übrigens, sonst wäre er auch nicht gewählt worden mit 24 Prozent beim ersten Wahlgang. Allerdings ist in Frankreich die Tradition die einer starken Bipolarität zwischen links und rechts. Das geht zurück bis zur Französischen Revolution.
    Und das Gewicht, das konstitutionelle Gewicht der Fünften Republik hat diese Spaltung zwischen links und rechts noch vertieft, eine Spaltung, die man übrigens auch in den USA sieht, wo es ja übrigens auch ein Präsidentschaftsregime gibt. Also da gibt es schon Parallelen zwischen Frankreich auf der einen Seite und den USA auf der anderen Seite. Also es hat in Frankreich seit der Gründung der Fünften Republik keine Mitte-Regierung gegeben, keine Art großer Koalition zwischen moderaten linken Kräften und moderaten rechten Kräften. Mit anderen Worten, das ist eine ganz schwierige Aufgabe für Macron.
    Heuer: Und könnte es passieren, Herr Stark, dass Macron, der Parteilose, dann im Regieren tatsächlich angewiesen wäre auf die jetzigen Wahlverlierer, nämlich auf die Traditionsparteien, auf die Konservativen und die Sozialisten?
    Stark: Ja, das kommt noch dazu, nämlich, dass Macron nicht nur die Hilfe braucht von den Sozialisten und von den Republikanern, sondern auch noch die Hilfe braucht von zwei Parteien, die abgestraft worden sind und jetzt an eigenen Problemen darben, nämlich mangelnder politischer Legitimität, Frust über das Resultat dieses Wahlausgangs und vor allen Dingen, die tief zerstritten sind. Die sozialistische Partei in Frankreich ist zwischen zwei Blöcken zerstritten. Die einen gucken Richtung Mélenchon und orientieren sich ins linksextreme Lager, und die anderen sind eher sozialdemokratisch, sozialliberal angehaucht und orientieren sich natürlich jetzt Richtung Macron.
    Das bedeutet, dass die Linke in Frankreich gespalten ist in zwei völlig unversöhnliche Lager. Und im rechten Lager natürlich, die Republikanische Partei hat jetzt keinen Parteichef mehr, sofern sich Fillon sehr wahrscheinlich aus dem politischen Leben zurückziehen wird, und die Republikanische Partei ist gespalten auch in drei Strömungen. Diese drei Strömungen sind die des ehemaligen Kandidaten Fillon, dazu kommt noch die Strömung von dem ehemaligen Präsidenten Sarkozy, der ja auch hinter den Kulissen die Fäden zieht, und dann auch noch der unglückliche Kandidat Alain Juppé, der bei den Primärwahlen ausgeschieden ist.
    "Es gibt natürlich auch ein optimistisches Szenario"
    Heuer: Herr Stark, ich muss jetzt doch noch mal ganz kurz, weil wir haben nicht mehr so viel Zeit. Aber das würde mich jetzt noch interessieren. Das Szenario, das Sie uns schildern, heißt, die Verlierer regieren durch die Hintertür mit, der Gewinner hat eine schlechte Ausgangslage, weil er keine eigene Partei hat, und Marine Le Pen kann unter diesen Gegebenheiten ganz in Ruhe abwarten, auf ihre nächste Chance, weil die Wähler frustriert sind und sie später wählen werden?
    Stark: Ich habe ein leider Gottes etwas pessimistisches Szenario jetzt aufgezeigt, das in diese Richtung geht. Es gibt natürlich auch ein optimistisches oder ein positives Szenario, das heißt, dass sich die Franzosen wirklich berappeln in Anführungszeichen, dass sie sehen, was die Stunde geschlagen hat, dass eine Schockwelle durch das Land geht in Anbetracht der Tatsache, dass die Populisten jetzt praktisch vor der Tür der Macht stehen, auch wenn sich das jetzt noch mal um fünf Jahre verzögert, und dass sie dann sagen, wir vergessen jetzt erst mal unsere Querelen und setzen uns um einen großen runden Tisch und versuchen das Land zu reformieren. Dann wäre Macron eine Art Messias.
    Heuer: Das müssen wir abwarten.
    Stark: Sollte es allerdings nicht so ablaufen, dann besteht die Gefahr, dass Frankreich sich dann erst mal fünf Jahre wieder mal blockieren wird gegenseitig, und das dann mit den Konsequenzen, die ich gerade geschildert habe für 2022.
    Heuer: Der Politologe Hans Stark.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.