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Premiere von "Es" vor 50 Jahren
Ulrich Schamonis beschwingtes deutsches Kino

Im Jahr 1966 wurde das deutsche Kino auf einmal ganz jung: Ulrich Schamoni war 26, als sein Erstling "Es" auf die Leinwand kam. In einer umwerfenden Mischung aus Leichtigkeit und Ernst erzählte er über das, was seine Generation damals bewegte: Sex und Liebe, Schwangerschaft und Familie, Musik und die Inselstadt Berlin.

Von Katja Nicodemus |
    Der deutsche Filmregisseur und Schauspieler Ulrich Schamoni in einer Szene seines Films "Chapeau Claque" (1974), in dem er einen Zylinderhut-Fabrikanten spielt, der seine Tage am liebsten faulenzend im Swimmingpool seiner Berliner Grunewald-Villa verbringt.
    Der deutsche Filmregisseur und Schauspieler Ulrich Schamoni in einer Szene seines Films "Chapeau Claque" von 1974 (picture alliance / dpa )
    (Hinweis: Das Video zum Kalenderblatt von Katja Nicodemus entstand in Zusammenarbeit mit Schamoni Film & Musik)
    Dieser Film ist so frei, unbeschwert und unbefangen wie das Zusammenleben der beiden jungen Menschen, die sich nicht entscheiden können, welche Musik sie an diesem Berliner Morgen hören wollen: Hilke und Manfred, eine Grafikerin und ein Immobilienmakler im Berlin der sechziger Jahre. Unverheiratet, unangepasst, glücklich verliebt.
    Dieser Film ist aber auch zugleich so unfrei, ernst und befangen wie das Thema, das er über einige Sommertage hinweg verhandelt. In Ulrich Schamonis "Es", der am 17. März 1966 in Berlin Premiere hatte, geht es um Geschlechterbilder zwischen Nachkriegsmuff und den Aufbrüchen und Neuanfängen der 60er-Jahre. Der Geschäftsmann, den Manfred am Tempelhofer Flughafen abholt, um ihm Baugrundstücke zu zeigen, glaubt jedenfalls zu wissen, wo es lang geht.
    "Frauen stören ja nur bei Geschäften. Geschäfte sind Männersache. Kurze, harte Entschlüsse. Frauen wollen immer erst abwägen und überlegen, und bis sie mit sich selbst einig sind, ist es schon zu spät."
    Ganz bewusst wollen sich Hilke und Manfred unterscheiden von der Generation ihrer Väter und Großväter. Berlin, die geteilte Stadt, ist für das Paar der Ort, an dem es sich scheinbar frei erfinden kann. Und während die beiden sich selbst genug sind, mit dem VW-Käfer Ausflüge zum Wannsee machen, gemeinsam in die Badewanne gehen, Sex haben, lachen, tanzen, trinken, setzt Ulrich Schamoni im Hintergrund Gegenakzente: Im Radio betreibt der Berliner Senat eine Vermischung von Wirtschafts- und Bevölkerungspolitik.
    "Deswegen haben wir dieses Darlehen geschaffen, damit ein Anreiz besteht, hier mit gutem Start eine Ehe in Berlin eingehen zu können. Ja, man muss das einfach noch mal erklären, dass auf zweierlei Art und Weise eben zurückgezahlt werden kann: Das Geld oder drei Kinder in der Ehe, so ist der derzeitige Stand."
    "Es" ist der erste Film von Ulrich Schamoni, einem der Mitbegründer der Regiebewegung des Neuen Deutschen Films. Der damals 26-jährige Regisseur arbeitet so, wie es zu dieser Zeit in Frankreich die Regisseure der Nouvelle Vague tun. Gedreht wird großteils an Originalschauplätzen, mit Originalton, Handkamera und mit unorthodoxen Schnitten. Ulrich Schamoni:
    "Vielleicht ist auch der Ausdruck für unsere Filme, die wir machen, also als Spielfilm nicht mehr ganz glücklich. Es sollen im Grunde Dokumente unserer Wirklichkeit sein."
    Auf der Leinwand ist dies die ganz besondere Wirklichkeit der Stadt Berlin. Schamoni lässt Manfred und die aus Westdeutschland angereisten Spekulanten an Mauergrundstücken und riesigen Brandmauern entlanggehen. Er schneidet in seinen Film dokumentarische Aufnahmen von Berliner Anglern ein. Von älteren Damen, die an den Gräbern ihrer im Krieg gefallenen Männer trauern. Und er erzählt einen Konflikt, an dem das Paar am Ende zerbrechen könnte: Hilke ist schwanger, verheimlicht dies aber vor Manfred. In ihrer Einsamkeit vertraut sie sich einer Freundin an.
    - "Warum redest du nicht mal endlich mal mit ihm?"
    - "Hat ja doch keinen Sinn. Ich muss einfach alleine damit fertig werden. Wahrscheinlich würde er mich sogar heiraten."
    - "Dann heiratet doch!"
    - "Wegen dieses Zufalls 'ne Zwangsehe?"
    Ulrich Schamoni, der später als Berliner Medienunternehmer Karriere machen und den Sender 100,6 gründen wird, wartete nicht auf staatliche Subventionen für seinen Film. Die 90.000 Mark lieh er sich von einem Immobilienmakler. "Es" traf den Nerv der Zeit und erreichte ein Millionenpublikum von vornehmlich jungen Menschen, sagt Schamoni:
    "Wenn ich einen ersten Film mache als Außenseiter, muss ich vom Thema her so interessant sein, dass er Millionen anspricht. Deshalb habe ich eben dieses 'Es'-Thema genommen, da kann man also vielleicht sagen, das ist kommerzielle Spekulation, aber unsere Chance ist es rein vom Thema her unsere Wirklichkeit zu zeigen und dann einfach Filme für unsere Generation zu machen."
    Es war auch Schamonis tabuloser Umgang mit dem Thema Abtreibung, der eine Nähe zur jungen deutschen Nachkriegsgeneration herstellte. Einmal folgt die Kamera der Hauptdarstellerin Sabine Sinjen bei ihren Gängen durch Berlin. Dazu hört man Stimmen von Medizinern, die noch aus einem anderen Deutschland zu stammen scheinen.
    "Sie können plötzlich in Depressionen hineingeraten. Und wenn Sie ein sehr labiler Typ sind, dann kann diese Depression so weit gehen, dass es zu Kurzschlusshandlungen kommen kann, zu Selbstmordideen, zu Verfolgungsideen, zu Versündigungsideen und dergleichen."
    Mit "Es", dieser Verbindung aus Leichtigkeit, Kommerzialität, beschwingten Generationengefühlen und ernsten Themen hat Ulrich Schamoni einen Weg gewiesen, dem im deutschen Kino der kommenden Jahrzehnte niemand folgen sollte - auch er selbst nicht. Aber wer heute etwas über das Lebensgefühl der deutschen Jugend vor 1968 erfahren möchte, sollte sich diesen Film unbedingt anschauen.