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Pro-iranische Schiitenpartei im Libanon
Im Griff der Hisbollah

Im Libanon formiert sich zunehmend Widerstand gegen die pro-iranische Schiitenpartei Hisbollah. Doch noch mobilisiert diese neben Kritikern viele Anhänger. Was bringt junge Leute dazu, sich ihr anzuschließen und für sie in Stellvertreterkriege zu ziehen?

Von Marc Thörner |
Pro-iranische Hisbollah-Kämpfer halten während des Trauerzuges von fünf ihrer Kollegen, die bei Zusammenstößen mit der türkischen Armee in der syrischen Provinz Idlib getötet wurden, Fahnen in der Hand.
International und auch in ihrem Stammland Libanon wächst die Macht der Hisbollah, die sich selbst "Partei Gottes" nennt (picture alliance / Marwan Naamani)
4.Februar 2021, unweit dem Dorf Tufahta im Südlibanon. Auf einer Überlandstraße steht ein Auto. Darin: ein lebloser Körper. Es ist der Journalist Lokman Slim, bekannt als einer der schärfsten Kritiker der proiranischen Partei Hisbollah. Bereits am Vorabend hatte seine Familie vergeblich versucht, ihn zu erreichen.
"Und dann war irgendwo klar, dass wirklich etwas nicht stimmt."
So Slims deutsche Ehefrau, die Autorin und Filmemacherin Monika Borgmann.
"Wir haben dann irgendwie diese Nacht abgewartet und wollten dann eben am frühen Morgen zur Polizei gehen. Und dann kamen halt die Nachrichten, dass das Auto gefunden wurde, mit ihm gefunden wurde."

Die Macht der Hisbollah wächst

Slim war mit mehreren Schüssen in Hinterkopf und Rücken regelrecht hingerichtet worden. Während sich zur Trauerfeier für den Ermordeten auch Freunde und Kollegen versammeln, klingen andere Stimmen triumphierend.
"Der Verlust einiger Leute ist in Wahrheit ein Gewinn und eine unvorhergesehene Güte."
Das twitterte unter dem Hashtag "Not Sorry" Jawad Nasrallah, der Sohn von Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah.
"Ja, für mich ist das eine Art Schuldeingeständnis. Lokman ist von Hisbollah seit Jahren bedroht worden. Es gab 2012 in einer libanesischen Tageszeitung, die Hisbollah-hörig ist, die al Akhbar heißt, eine immense Kampagne gegen ihn und es gab immer Drohungen."
Die Hisbollah selbst wies jede Verbindung zur Tat zurück. Und der Post unter dem Hashtag ‚Not Sorry‘ war bald wieder gelöscht. Dennoch, so Monika Borgmann, reiht sich die Äußerung ein in einen Chor von Stimmen mit eindeutiger Ausrichtung. Etwa in der Hisbollah-Zeitschrift al Akhbar.
"Wenn man die Artikel liest, die auch irgendwo al Akhbar jetzt zum Tod von Lokman veröffentlicht hat, dann kann ich als Deutsche nur noch an den ‚Stürmer‘ denken."
International und auch in ihrem Stammland Libanon - in allen Sektoren der libanesischen Gesellschaft - wächst die Macht der, wie sie sich nennt: "Partei Gottes". Sie nimmt in Anspruch, nicht nur für die rund 30 Prozent der libanesischen Schiiten zu kämpfen, sondern für alle Schiiten auf der Welt.
Anhänger der Hisbollah vor dem Regierungsgebäude in Beirut (November 2019)
Elmar Brok: Hisbollah ist eigentlicher Machthaber im Libanon
Die schiitische Hisbollah-Miliz sei der eigentliche Machthaber im Libanon und habe als einzige Bürgerkriegspartei ihre Waffen nicht abgegeben, sagt Elmar Brok (CDU) - und warnt vor deren großen Einfluss.
"Wenn Sie zur Hisbollah gehören, können Sie viele Dinge tun, die normalerweise illegal sind."
Sagt Ayman Mhanna, Leiter der Sami Kassir-Stiftung für Presse- und Meinungsfreiheit, benannt nach dem ebenfalls ermordeten Journalisten Kassir.
"Andernfalls könnten Sie nicht einfach Waffen in den Libanon hineinbringen, ohne dass der Staat Sie dazu ermächtigt hat. Die Partei schafft ihr eigenes Telekommunikationsnetzwerk, parallel zu dem des Staates, obwohl der Staat auf Telekommunikation ein Monopol hat - und niemand kann sie dafür zur Rechenschaft ziehen. Es geht soweit, dass Hisbollah-Anhänger denken, es wäre völlig normal, wenn sie in Restaurants gehen und die Besitzer auffordern, dort keine Musik mehr zu spielen."

Schiiten stellen weltweit nur um die 20 Prozent aller Muslime

Was verschafft der Hisbollah dieses Selbstbewusstsein, diese quasi-Unangreifbarkeit? Dieses Überlegenheitsgefühl gegenüber staatlichen Gesetzen? Nirgends wird das so klar wie im Herzen ihrer spirituellen Macht, im Schiitenviertel Südbeiruts – und zu keinem anderen Zeitpunkt lässt sich das so gut verstehen wie alljährlich im Spätsommer, zu Aschoura, dem zentralen religiösen Fest der Schiiten.
Jeder, der zur Feiertagspredigt in die zentrale Moschee der Hisbollah eintritt, muss zuerst an ihren Milizionären vorbei: Junge, bärtige Männer mit Springerstiefeln, in schwarzen Kampfmonturen, mit schwarzen Baseballkappen oder den gelben Stirnbändern mit dem Schriftzug der Organisation. Um zur Predigt kommen zu dürfen, müssen Beobachter sich bereits vorher beim parteieigenen Pressebüro um einen Badge beworben haben. Per Walkie-Talkie melden die Schwarzuniformierten die Daten dann an ihre Vorgesetzten weiter.
Schiitische Pilger beten im November 2017 in Kerbela (Irak) - Sie tragen ein Bild des Imam Hussein, eines Enkels Mohammeds, der im 7. Jahrhundert in Kerbela getötet wurde
Sunniten und Schiiten - Machtkampf oder Religionskrieg?
Auf der einen Seite das sunnitische Saudi-Arabien, auf der anderen der schiitische Iran. In diesem Konflikt gehe es aber mehr um Macht als um Religion, sagt ARD-Korrespondent Björn Blaschke.
Begrüßt von der Gemeinde, betritt Scheich Naim das Rednerpult, einer der prominentesten Hisbollah-Geistlichen. In seinen Rezitationen lässt er die zentrale Leidensgeschichte der Schia aufleben, das Jahr 680 rund 50 Jahre nach dem Tod Mohammeds. Er schildert, wie sich im irakischen Kerbela rund 70 treue Krieger um den Prophetenenkel Hussein sammeln. Sie sind die ersten Schiiten, übersetzt: Parteigänger. Parteigänger der Gerechtigkeit, so sehen sie es. Denn sie wollen verhindern, dass die Aristokraten eines Mekkaner Großclans den Islam in eine Monarchie verwandeln. Doch dank ihres Reichtums hat die Machtelite eine Tausendmann-Armee ins Feld gestellt. Hussein, der Gerechte, und seine Handvoll Anhänger fallen unter den Pfeilen der Übermacht. So siegen in den Augen der Schiiten die Tyrannen. Die Schiiten bleiben in der Minderheit. Bis heute stellen sie weltweit nur um die 20 Prozent aller Muslime. Die Zeit der Ungerechtigkeit beginnt.

Das Hauptzentrum der Tyrannei ist für die Hisbollah: Israel

Als die Erzählung diesen Punkt erreicht, scheint die Gemeinde noch einmal die Trauer und die Panik zu durchleben, die damals Husseins Anhänger befiel. Die Kameraleute des Hisbollah-eigenen Manar TV sinken schluchzend hinter ihren Stativen zusammen. Frauen beginnen laut zu weinen. Und selbst die martialischen Milizionäre, die das Gebet bewachen, holen Taschentücher aus den Kampfanzügen.
Draußen, vor der Moschee, versammeln sich die jungen Mitglieder der Organisation, auch sie in schwarz gekleidet.
"Für Hussein und seine Anhänger war es nicht schwer. Was sie in Kerbela auf sich genommen haben, war für sie ein Leichtes. Sie starben aus dem gleichen Grund, aus dem sie lebten. Für Gott. Ich weiß nicht … ich hoffe, ich werde das auch können. Jeden Tag wünsche ich, dass mir so etwas passiert. Es kann so einfach sein zu sterben."
Die Verantwortung für Husseins Opfertod, vor 1.400 Jahren, verschuldet von der damaligen Machtelite, wird zeitgemäß umgemünzt. Auf alle die laut Hisbollah heutzutage Ungerechtigkeit und Tyrannei verkörpern: Politiker, Regierungen oder auch Publizisten und Medienschaffende.
"Es gibt eine Menge Tyrannen. Einige sind in den Medien, im Auftrag von Ländern, von Regierungen. Andere sind mitten unter uns. Und heute, ich kann es klar und deutlich sagen: Das Hauptzentrum der Tyrannei weltweit ist heute: Israel. Das ist eine Tatsache, die niemand bestreiten kann."

1982 auf iranische Initiative gegründet

Feindliche Medien - und immer wieder Israel: Gipfel der Tyrannei und Inbegriff der Ungerechtigkeit. Darin trifft sich die Sichtweise der Hisbollah mit der offiziellen Staatsdoktrin des Iran. Kein Zufall, so Guido Steinberg, Nahost-Experte an der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, der Denkfabrik des Auswärtigen Amtes:
"Es sind die iranischen Revolutionsgarden, die im Jahre 1982 die Hisbollah gründen, damit sie den Kampf gegen die israelische Besetzung von Teilen des Südlibanon aufnimmt. Die Hisbollah ist eine hundertprozentige iranische Gründung. Und bis heute gibt es kein Beispiel dafür, dass die Hisbollah in irgendeiner großen politischen oder strategischen Frage von der iranischen Linie abgewichen wäre."
Chamenei spricht vor Anhängern in Teheran
Teherans Einfluss - Wie der Iran Macht in arabischen Ländern ausübt
Der Iran hat politisch starken Einfluss in der arabischen Welt. Beispiele sind etwa der Irak und Syrien. Und auch ihre Zahlungen an die Hamas im Gaza-Streifen haben die Machthaber in Teheran erhöht.
Im November 1982, nachdem sie auf iranische Initiative gegründet worden war, begann die Hisbollah ihre Aktionen. Ein erst 15-jähriger Selbstmordattentäter sprengte sich im südlibanesischen Tyros, im damaligen Hauptquartier der israelischen Besatzungs-truppen, in die Luft.
Weitere Selbstmordattentate folgten. Zum Beispiel vor der US-Botschaft im Libanon. Und das schwerwiegendste im Oktober 1983 vor dem Hauptquertier der US-Marines und der französischen Fallschirmjäger in Beirut. Nahost-Experte Guido Steinberg:
"Die Hisbollah ist in den 80er Jahren schon sehr stark geworden. Sie war ein wichtiger Akteur im Bürgerkrieg. Und in den 90er Jahren kann sie für sich den großen Erfolg verbuchen, die Israelis aus dem Land vertrieben zu haben. Im Jahr 2000 ziehen sich die Israelis, hauptsächlich unter Feuer der Hisbollah zurück und daraus gewinnt diese Organisation auch ihr großes Ansehen, nicht nur im Libanon, sondern auch in weiten Teilen der arabischen Welt."

In den Krieg ziehen für schiitische Heiligtümer in Syrien

Heute verfügt die Hisbollah über Waffen und Material, die vielen Armeen in der Region weit überlegen sind. Und sie setzt diese Macht auch ein: im Irak, im Jemen, vor allem aber in Libanons Nachbarland Syrien. Dort stellt sie die wichtigste Bodentruppe des Iran-Verbündeten Baschar al Assad. Für einige der jungen Hisbollah-Anhänger vor der Moschee ist "Syrien" der wichtigste Kampf. Und es ist, wie einer meint, der gleiche den Imam Hussein im Jahr 680 in Kerbela führte.
"Was sich vor Jahrhunderten ereignete und was sich heute abspielt, das ist ein und Dasselbe! Wenn wir die Geschichte von damals auf die heutigen Ereignisse projizieren, dann sehen wir die Überschneidung."
"Es gibt einen Grund, weshalb die Hisbollah nach Syrien gegangen ist, weshalb sich die Schiiten diese Sache zu eigen gemacht haben. Der Grund ist, dass das Grab von Zeynab, der Schwester von Imam Hussein, sich dort befindet. Und es geht um den Krieg gegen die Tyrannen in Syrien.
"Es ist tatsächlich so, dass die Hisbollah 2011 und in den folgenden Jahren immer wieder darauf verwiesen hat, dass das Grab von Zeynab in Gefahr ist. Das ist eine Verwandte des Propheten in einem südlichen Vorort von Damaskus. Und die offizielle Darstellung bei der Hisbollah war immer: ‚Wir haben es hier mit sunnitischen Terroristen zu tun und die versuchen, unsere Heiligtümer in Syrien zu zerstören.‘
Vorne eine große Gruppe junger Männer mit Kopftüchern in Tarnfarben, dann die große Plastik einer Faust mit einem Maschinengewehr in der Hand, dahinter eine große Gruppe Männer mit grünen Kopftüchern und in schwarzen Hemden.
Libanon - Warum immer mehr Sunniten zur Hisbollah gehen
Die libanesische Hisbollah ("Partei Gottes") gilt als schiitisch geprägt. In jüngster Zeit treten allerdings immer mehr sunnitische Muslime in die Partei ein. Viele sind enttäuscht von der Partei des Regierungschefs Saad al-Hariri.
Und um diese schiitischen Heiligtümer in Syrien zu schützen, ziehen viele junge libanesische Schiiten auch bereitwillig in den Tod. So beobachtet es auch Ayman Mhanna, der Leiter der Samir-Kassir-Stiftung für Presse- und Meinungsfreiheit in Beirut.
"Die Zahl der – in Anführungsstrichen – registrierten Märtyrer in Syrien geht weit in die Hunderte, wenn nicht mehr. Immer wenn ein Tod verkündet wird, wird auch das Geburtsjahr des Betreffenden genannt. Und wenn Sie sehen würden, wie jung die Leute sind, dann wären Sie geschockt. Sie denken, sie sterben für die Gerechtigkeit, für ihre Art von Religion, für den Kampf der Schwachen gegen die Starken. Für all diese religiösen Mythen und Konzepte, die sie so tief verinnerlicht haben. Wir wissen um den Einfluss von Propaganda und Gehirnwäsche, wenn es darum geht, junge Menschen in solche paramilitärischen Gruppen hinein zu locken."

Eine Landbrücke für den Iran – bis in den Libanon

Hinter den Kulissen dürfte es beim Syrien-Einsatz der Hisbollah weniger um Religion gehen – und dafür mehr um Geostrategie, meint der Islamforscher Guido Steinberg. Aus seiner Sicht versucht der Iran durch die Kontrolle Syriens sich eine Landbrücke ans Mittelmeer zu schaffen.
"Landbrücke bedeutet, dass es das strategische Ziel der Iraner war eine Landverbindung zwischen Iran und dem Südlibanon zu schaffen, um auf diesem Weg Waffen mit Lkw transportieren zu können. Seit Ende 2017 gibt es eine solche Landbrücke. Also, Teheran kann Personal, Waffen, Ausrüstung, wenn es will auch Bargeld über Straßen im Irak, in Ostsyrien bis nach Damaskus und, wenn Teheran will, auch bis in den Libanon transportieren."
Auch innenpolitisch dominiert die Hisbollah im Libanon das Geschehen. Als einzige Miliz behielt sie nach dem Ende des Bürgerkriegs, 1990, ihre Waffen. Ihre Konkurrenz-Organisationen hingegen formten sich von Milizen zu politische Parteien um. Und dieses Missverhältnis beeinflusst das gesamte politische Leben, sagt Ayman Mhanna von der Samir-Kassir-Stiftung:
"Stellen Sie sich vor, Sie sitzen an einem Verhandlungstisch und unter den Verhandlungspartnern befindet sich eine Partei, die das gesamte Land ganz alleine mithilfe ihres Militärs unter Kontrolle nehmen könnte. Sie verhandeln mit einer Partei, die schwerer bewaffnet ist als die reguläre Armee des Landes und die Verbände aller anderer Parteien. Dann kann man nicht sagen, dass da gleichberechtigte Partner verhandeln. Keine wichtige Entscheidung, die Wahl eines Präsidenten, die Vertrauensfrage im Parlament, die Auswahl der Minister, kann in Kraft treten, ohne dass die Hisbollah sie vorher abgesegnet hat."
Taktisch verbündet ist die Hisbollah mit der "Freien Patriotischen Bewegung" des christlichen Präsidenten Michel Aoun. Zu ihrer Liste gehören außerdem noch eine kleinere christliche Rechtspartei und die ebenfalls schiitische Amal-Bewegung. Ihre Gegner sammeln sich um die Zukunftsbewegung des langjährigen sunnitischen Ministerpräsidenten Saad Hariri – in einer Allianz, zu der auch die christlich dominierte Kataeb – oder Phalange- Partei gehört. Serge Dagher ist Mitglied im Politbüro der Kataeb:
"Wir werden es nicht hinnehmen, dass eine lokale Partei sich an einen anderen Staat anschließt. Es gibt kein Beispiel dafür in der übrigen Welt. Stellen Sie sich vor, in Deutschland würde eine Partei erklären: ‚Unsere Loyalität gehört Frankreich oder England oder sonst einem Land. Oder: wenn England angegriffen wird, dann werden wir mobilisieren und England verteidigen‘. Das werden wir nie akzeptieren. Wir werden nicht akzeptieren, dass der Libanon in einen Krieg hineingezogen wird, der nicht unser Krieg ist, dass der Libanon Teil des iranischen Lagers wird durch seinen Stellvertreter namens Hisbollah."
Junge Frauen protestieren gegen die Hisbollah im Juli 2020 in Beirut  im Libanon mit Plakaten in den Händen. 
Wachsender Unmut gegen Irans Stellvertreterorganisation: Anti-Hisbollah-Proteste im Libanon (imago / Haitham Al-Mousawi)
Es ist sehr schwer, wenn nicht unmöglich, ein Interview mit einem Verantwortlichen der Hisbollah zu erhalten. Die Partei mit angeschlossener Armee gibt sich wortkarg, geheimnisumwittert, kultiviert die Aura des Schweigens und lässt eher die ihr nahestehenden Persönlichkeiten für sich sprechen.
Für Außenbeziehungen ist eher ihr Juniorpartner, die ebenfalls schiitische Amal-Partei, zuständig. Dort leitet Ali Hamdan das Büro für auswärtige Angelegenheiten und bemüht sich um gute Beziehungen zu Abgesandten der EU und den USA.
"Ja, wir haben solche Kontakte, mit allen von ihnen. Tagtäglich empfangen wir sie in unserem Büro. Als Amal-Bewegung ist das eine unserer wichtigsten Eigenschaften, als eine libanesische politische Bewegung, geführt vom libanesischen Parlaments-präsidenten.

Im Libanon wächst der Unmut gegen die Bürgerkrieg-Warlords

Die Amal-Partei beschränkt sich auf den Libanon. Gegründet wurde sie noch vor der Hisbollah und betrachtet sich deshalb im Land als traditionsreichste Vertreterin schiitischer Interessen. Anders als die Hisbollah, gab sie nach dem Bürgerkrieg, 1990, ihre Waffen ab. Während westliche Staaten – darunter auch Deutschland - die Hisbollah offiziell als Terrororganisation ächten, gilt die Amal als nicht Terror-orientiert und als möglicher Gesprächspartner. Amal-Politiker wie Ali Hamdan bemühen sich nach Kräften darum, dass westliche Staaten Sanktionen gegen die Hisbollah und ihre Verbündeten rückgängig machen.
"Unser Parteichef, der libanesische Parlamentspräsident Nabi Berri, schickt seit vier Jahren jedes Jahr wieder eine Delegation nach Washington, mit Mitgliedern aller politischen Blöcke, unmittelbar nachdem der US-Kongress das Sanktionsgesetz verabschiedet hatte. Und unser Parteichef hat in Washington immer wieder die Gefahren erklärt, die durch den Druck solcher Sanktionen bei uns entstehen. Vor allem auf die libanesische Wirtschaft und die Stabilität des Libanon.
Der Präsident, ein Christ. Der Premierminister ein Sunnit. Der Parlamentspräsident ein Schiit. Zu dem, was die libanesische Verfassung vorschreibt, gesellt sich auch ein ungeschriebener Faktor: die Hisbollah, die das gesamte politische Leben lahmlegen kann.
"Meine Regierung hat das gemacht", steht am Straßenrand vor der Ruine des Lagerhauses in Beirut, das Anfang August 2020 explodierte
Libanon - Zwischen Kreuz und Koran
Krise im Libanon: Die Bevölkerung traut ihrer Regierung nicht zu, einen Ausweg zu finden. Die Religionsgemeinschaften sind ein Teil des Problem.
Inzwischen demonstrieren im Libanon immer mehr, vor allem junge Leute, gegen die Korruption der zu Politikern mutierten Bürgerkriegs-Warlords. Und dabei richtet sich der Unmut immer mehr auch gegen Irans Stellvertreterorganisation. Die Journalisten Lokman Slim und Monika Borgman hatten bei einer Protestveranstaltung ein Diskussionsforum organisiert, das in einem Zelt untergebracht war.
"An einem Abend wurde dieses Diskussionszelt abgebrannt. Und in der Nacht darauf waren die Mauern beklebt mit Drohbriefen. Wir leben im Süden von Beirut in der so genannten Dahiya, die Hisbollah-kontrolliert ist. Und in diesem Moment fühlte Lokmann, dass das nicht nur noch ihn betrifft und ist dann mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit gegangen, wo er ganz klar gesagt hat: Wenn mir etwas passiert, dann mache ich Nabi Berry, der Parlamentspräsident ist, aber auch Vorsitzender einer schiitischen Partei, die Amal heißt, und Hassan Nasrallah, also Hisbollah, dafür verantwortlich.
Ähnliche Morde wurden in den letzten Jahren allerdings nie aufgeklärt.