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Protest
Polnische Nachwuchsärzte fordern Regierung heraus

Mit ihrem Hungerstreik haben polnische Ärzte in diesem Sommer für Aufsehen gesorgt. Jetzt kündigen Ärzte in Ausbildung scharenweise ihre Zusatzvereinbarungen mit Krankenhäusern auf, wonach sie länger als gesetzlich vorgeschrieben arbeiten können. Das wird die Regierung in Not bringen, denn schon jetzt fehlt es an Medizinern.

Von Florian Kellermann | 11.12.2017
    Jungen Frauen und Männer sitzen auf Luftmatratzen, im Vordergrund ein banner mit der Aufschrift "Hungerstreik"
    Bereits im Sommer haben polnische Ärzte durch Hungerstreik auf die Zustände im Gesundheitswesen aufmerksam gemacht (Florian Kellermann - Deutschlandradio)
    Ein Behandlungszimmer in einem Warschauer Krankenhaus. Die Stühle und die Liege sind abgewetzt, die Geräte, die herumstehen, wirken alt, teilweise noch aus kommunistischer Zeit. Bis auf eines: "Das da links ist ein neues Ultraschallgerät, eine echte Revolution für uns. Seit ich hier bin, ist das eine der wenigen größeren Investitionen. Die Direktion hatte keine andere Wahl. Im vergangenen Jahr hatten wir vier Monate lang gar kein Ultraschallgerät, das funktioniert hat. Dabei ist das für uns die Grundlage für eine Diagnose."
    Grzegorz, 31 Jahre alt, will seinen Nachnamen nicht nennen. Denn er möchte den bevorstehenden Konflikt mit der Klinikleitung nicht noch anheizen.
    Schlechte Bezahlung
    Dieser Konflikt dreht sich um die Zustände im polnischen Gesundheitswesen. Darum, dass er als Arzt in Ausbildung nur 500 Euro netto im Monat verdient, wenn er keine Extra-Dienste übernimmt, dass er durch Sonderschichten oft völlig übermüdet ist und dass Patienten monatelang auf einen Termin beim Facharzt warten müssen.
    "Wie alle habe ich vor vier Jahren eine sogenannte Opt-out-Klausel unterschrieben. Damit habe ich mich dazu bereit erklärt, mehr als 48 Stunden pro Woche zu arbeiten, also mehr als im Arbeitsrecht vorgesehen. Weil andere Formen des Protests nicht erfolgreich waren, haben sich alle Jungärzte in unserer Abteilung entschieden, diese Opt-out-Klauseln aufzukündigen."
    Mit anderen Worten: Vom kommenden Jahr an werden diese Ärzte nur noch die Dienste übernehmen, die in ihrem Arbeitsvertrag vorgesehen sind. Dass er im Durchschnitt 75 Stunden pro Woche arbeitet, wie bisher, ist für Grzegorz dann Geschichte. Und das Krankenhaus wird händeringend nach Ersatz suchen müssen für seine Sonderschichten.
    Im Sommer hatten die jungen Ärzte einen Hungerstreik organisiert, etwa 200 nahmen landesweit teil. Das Gesundheitswesen wurde so zu einem Topthema in Polen.
    Die neue Form des Protests - Dienst nach Vertrag - dürfte die Regierung noch stärker unter Druck setzen. Denn schon jetzt fehlt es an allen Ecken und Enden an Ärzten. Die Verantwortlichen appellieren an das Gewissen der Mediziner, so auch Stanislaw Karczewski, Präsident des Oberhauses im polnischen Parlament:
    "Auch ich bin Arzt und werde es immer sein. Ein Arzt sollte aufopfernd zum Wohl der Kranken arbeiten. Ich kann nicht verstehen, wie ein Arzt die Kranken im Stich lassen kann. Ich appelliere an die Ärztekammer, das nicht weiter zu unterstützen. Wenn sich die Mitglieder der Kammer politisch engagieren wollen, dann sollen sie das bei der Parlamentswahl in zwei Jahren tun."
    Auswandern als letzte Lösung
    Die Regierung hält den Protest der jungen Ärzte für nicht gerechtfertigt. Schließlich habe das Parlament gerade ein neues Gesetz beschlossen: Demnach sollen die Ausgaben im Gesundheitswesen steigen - auf sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis zum Jahr 2025.
    Zu wenig, zu spät, antworten die Ärzte. Die nächsten Wochen werden zeigen, wie viele bereit sind, aus Protest weniger zu arbeiten und zu verdienen. Die Marke von 1.000 Kündigungen der Opt-out-Klauseln sei bereits überschritten, so ihre Vertreter.
    Vom Erfolg des Protests hänge auch seine persönliche Zukunft ab, sagt Arzt Grzegorz: "Am Ende meines Studiums habe ich schon begonnen, Deutsch zu lernen. Aber dann habe ich einen Arbeitsplatz gefunden, wo ich meine Ausbildung vertiefen konnte, und bin in Polen geblieben. Manchmal bereue ich das. Wenn ich mit meiner Ausbildung fertig bin, in zwei Jahren, und im Gesundheitswesen alles beim alten ist, dann werde ich bestimmt noch einmal über das Thema Emigration nachdenken."