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Prozesse gegen türkische Akademiker
"Das Leben der Wissenschaftler hat sich maßgeblich verändert"

In der Türkei stehen rund 150 Wissenschaftler von Universitäten wegen eines Friedensappells für die Kurdengebiete vor Gericht. Auch die Germanistin Dilek Dizdar von der Universität Mainz hat den Appell unterschrieben. Der türkischen Regierung warf sie im Dlf vor, die Gruppe der Unterzeichner auseinander reißen und deren Solidarität zerschlagen zu wollen.

Dilek Dizdar im Gespräch mit Regina Brinkmann | 05.12.2017
    Eine Delegation von Akademikern und Menschenrechtsaktivisten aus Deutschland demonstriert vor einem Gericht in Istanbul und hält dazu ein Banner hoch, auf dem sie Solidarität mit den Angeklagten fordern..
    Eine Delegation von Akademikern und Menschenrechtsaktivisten aus Deutschland demonstriert vor einem Gericht in Istanbul, weil dort türkische Akademiker wegen eines Friedensappells vor Gericht stehen. (Lefteris Pitarakis / AP / dpa )
    Regina Brinkmann: Nur eine einzige Unterschrift hat das Leben zahlreicher türkischer Wissenschaftler und Akademiker auf tragische Weise verändert. Im Januar 2016 unterzeichneten insgesamt 1.128 einen Appell der Initiative der Akademiker für den Frieden. In dem offenen Brief forderten sie die türkische Regierung auf, die militärischen Einsätze in kurdischen Gebieten einzustellen. Die türkische Regierung reagierte scharf, nach dem Putsch im Sommer sogar noch schärfer. Akademiker, die sich an der Aktion beteiligt hatten, verloren ihre Jobs, erhielten Todesdrohungen. Doch damit nicht genug. Seit heute müssen sich 150 von ihnen vor Gericht in Istanbul verantworten. Dilek Dizdar ist eine von 120 in Deutschland lebenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die den Appell unterzeichnet hatten. Sie ist an der Universität Mainz Professorin für Interkulturelle Germanistik und Translationswissenschaft. Frau Dizdar, was will die türkische Regierung mit diesem Prozess, dem ja noch eine Reihe von Prozessen gegen Wissenschaftler folgen soll, erreichen?
    Dilek Dizdar: Ja, Frau Brinkmann, die türkische Regierung möchte vor allem mit diesem Prozess die Gruppe auseinanderreißen, so wirkt es jedenfalls, weil sie mit Einzelprozessen begonnen hat. Das heißt, sie nimmt die Gruppe auseinander und isoliert die einzelnen Unterzeichnerinnen von der Gruppe und möchte damit wohl die Solidarität zerschlagen und vermeiden, dass die Gruppe geschlossen auftritt. Die Prozesse haben heute begonnen und werden bis April andauern, teilweise liegen zwischen den einzelnen Prozessen zehn Minuten und es geht eigentlich immer um die gleiche Sache, um diesen selben Text, der unterzeichnet wurde im Januar 2016. Und es werden wohl die, die jetzt heute vor Gericht stehen, da ging es um das Antiterrorgesetz und man vermutet, dass es auch in den nächsten Prozessen so folgen wird und die Anklageschriften, die noch entstehen oder im Entstehen sind, ähnlich werden. Aber es ist nicht auszuschließen, weil es ja unterschiedliche Gerichte sind und unterschiedliche Richter, dass ganz unterschiedliche Ergebnisse dabei herauskommen und so weiter. Also es ist schon sehr abstrus.
    "Das Leben der Wissenschaftler hat sich maßgeblich verändert"
    Brinkmann: Mit welchen Strafen müssten Sie denn schlimmstenfalls rechnen?
    Dizdar: Antiterrorgesetz bedeutet eine Haftstrafe bis zu siebeneinhalb Jahren.
    Brinkmann: Wie hat sich das Leben der Wissenschaftler schon vor ihrer Anklage verändert?
    Dizdar: Das Leben der Wissenschaftler hat sich ganz maßgeblich verändert, eigentlich kurz nach dem Friedensappell und der Presseerklärung beziehungsweise nachdem der Präsident persönlich in den Medien die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angegriffen hat, haben sie Todesdrohungen bekommen – Sie haben das eben schon erwähnt – und wurden von den Universitäten selbst entlassen oder suspendiert, sie haben Disziplinarverfahren bekommen. Das heißt, bevor der Staat da aktiv tätig wurde, wurden teilweise die Universitäten tätig in vorauseilendem Gehorsam und im Anschluss daran haben dann die Anklagen begonnen, die Prozesse. Es genügte ja im Grunde schon, dass die Kolleginnen und Kollegen arbeitslos wurden, sie haben dann aber teilweise keine Pässe bekommen beziehungsweise Ausreiseverbote erhalten, sodass sie dann eben nicht nur arbeitslos waren, sondern auch nicht mehr ausreisen konnten.
    "Mich hat bisher jedoch nichts erreicht"
    Brinkmann: Aber einige haben es dennoch auch nach Deutschland geschafft. Welche Art von Unterstützung erwartet sie hier?
    Dizdar: Es gibt in Deutschland … Also das Erste, was eigentlich entstanden ist, ist die Philipp Schwartz-Initiative, initiiert von der Humboldt-Stiftung, und ähnliche Programme wurden aufgelegt. Allerdings zählen weitgehend noch die Strukturen, einzelne Universität sind auch tätig geworden, die meisten Kolleginnen und Kollegen sind natürlich zunächst mal unter Schock, das kann man wohl so sagen, und sind froh, dass sie, wenn sie hier gelandet sind oder wenn sie hier auch eine Möglichkeit zum Anschluss gefunden haben … Es gibt eine Gruppe von Kolleginnen und Kollegen, die hier sehr aktiv sind, das sind die Academics for Peace in Deutschland, BAK Deutschland heißt die Gruppe, die jetzt auch sich organisiert quasi und eine Internetseite hat und auf die Situation aufmerksam macht und sich auch zu Projekten zusammenbündelt beziehungsweise an unterschiedlichen Universitäten auch vorübergehend, meistens vorübergehende Anstellungen gefunden haben.
    Brinkmann: Nun sind Sie ja auch selbst, und auch andere in Deutschland lebende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler … haben den Friedensappell unterzeichnet. Rechnen Sie auch mit Konsequenzen, mit einer Anklage beispielsweise?
    Dizdar: Es heißt, oder das wurde jedenfalls angekündigt, dass alle mit einer Anklage versehen werden sollen. Und dazu gehören auch diejenigen, die im Ausland tätig sind. Mich hat bisher jedoch nichts erreicht, also … Im Moment sind das die ersten 15 Universitäten, die betroffen sind, es sind 148 Kolleginnen und Kollegen, die jetzt vor Gericht stehen, aber insgesamt sind wir 1.128. Das heißt, es wird wohl eine ganze Weile dauern, bis alle dann drankommen.
    Brinkmann: Dilek Dizdar, Professorin für Interkulturelle Germanistik und Translationswissenschaft an der Universität Mainz, vielen Dank für das Gespräch!
    Dizdar: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.