Der Einbruch bei den deutschen Reiseveranstaltern infolge der Coronakrise wird mit großer Wahrscheinlichkeit über 20 Milliarden Euro ausmachen, rund 60 Prozent aller Reisebüros und Reiseveranstalter stehen vor der Pleite. Nach einem kurzen kleinen Aufatmen machen die jüngsten Reisewarnungen für die Kanaren beispielsweise, aber auch für Paris, die Provence, Côte d’Azur vieles wieder zunichte, und Ungarn beispielsweise sperrt deutsche Urlauber generell aus. Brüssel wiederum ist Risikogebiet für die Deutschen, aber kein Risikogebiet für die Franzosen.
Unklarheiten gibt es auch bei der Quarantänezeit. Die EU hält seit gestern zehn Tage für angemessen, andere fordern jetzt sogar die Reduzierung auf fünf Tage. Verwirrung, Unsicherheit, Chaos und drohende Insolvenzen. Norbert Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbandes (DRV) klagt im Dlf ein "wahnsinniges Durcheinander", dass das Geschäft behindere. Er forderte im Dlf auch klare Regelungen bei den Reisewarnungen. Die Politik sollte nur Reisewarnungen auszusprechen für lokale Riskogebiete und nicht komplette Länder oder Inselgruppen. "Wir müssen wirklich genauer reingucken, da, wo es noch die wenigen Möglichkeiten gibt, Geschäfte zu machen, das auch zu machen", sagte Fiebig.
"Wir brauchen differenziertere Reisewarnungen"
Dirk Müller: Herr Fiebig, gibt es für Sie nur Hiobsbotschaften?
Norbert Fiebig: Im Moment ist das leider so, und der letzte Schlag ins Kontor war in der Tat – Sie haben das angesprochen – die Reisewarnung für die Kanaren, für die gesamten Kanaren, da haben wir sieben Inseln, das Infektionsrisiko, das erhöhte, haben wir auf zwei Inseln, aber wir haben da Reisewarnungen für fünf. Was wir immer eingefordert haben, wir brauchen differenziertere Reisewarnungen. Wir haben einen Widerspruch zwischen Risikogebieten und Ländern, wo Reisewarnungen ausgesprochen worden sind. Wir haben noch 160 Länder auf der Welt, wo eine Reisewarnung besteht, aber wir haben auch Reisewarnungen für Länder, die nicht als Risikogebiet ausgewiesen sind, beispielsweise Tunesien. Das behindert unser Geschäft, und es ist ein wahnsinniges Durcheinander, es ist eine Verwirrung bei dem Kunden. Wenn Sie die Kanaren sehen, viele hatten gerade von Mallorca umgebucht auf die Kanaren, jetzt erwischt es sie hier. Wir brauchen differenziertere, wir brauchen – um ein Bild zu sagen –, wir müssen hier mit dem Skalpell vorgehen und nicht mit dem groben Schlachtmesser, um entsprechend festzulegen, was können wir noch machen, immer natürlich unter dem Primat, was gesundheitlich auch zu akzeptieren ist.
Quarantäneregelung behindere auch den Geschäftsreisebereich
Müller: Bleiben wir, Herr Fiebig, noch mal dabei, was Sie gerade gesagt haben, also Differenzierung zwischen Reisewarnung und Risikogebiet. Also die Reisewarnung gilt für 160 Länder weltweit, damit können Sie leben, wenn ich Sie richtig verstanden habe.
Fiebig: Nein, damit kann ich nicht leben, weil da Länder dabei sind, die nicht Risikogebiet sind. Ich nehme nur ein Beispiel, Tunesien. Tunesien ist nach Robert Koch-Institut kein Risikogebiet, aber wir haben eine Reisewarnung, und dann werden die Reiseveranstalter da keine Reisen hin anbieten, könnten sie aber. Da gibt es andere Beispiele: Kanada, Vietnam, Thailand, was auch immer. Es gibt viele Spezialisten. Nehmen Sie mal Vietnam: Viele kleine Veranstalter, die sind spezialisiert auf Vietnam. Vietnam ist kein Risikogebiet, aber die können kein Geschäft da anbieten.
Das heißt, wir müssen wirklich genauer reingucken, vielleicht mal etwas mehr Mut entwickeln, auch in der Politik entsprechend, da, wo es noch die wenigen Möglichkeiten gibt, Geschäfte zu machen, das auch zu machen. Ich will noch einen anderen Aspekt nennen: Es geht ja nicht nur ums Reisen. Wenn wir jetzt gerade über die Quarantäne sprechen, ob wir zehn Tage oder vierzehn Tage Quarantäne haben, macht keinen Sommer und keinen Winter aus meiner Sicht, weil wenn Sie sich den Geschäftsreisebereich angucken, der ja auch enorm wichtig ist für unsere Wirtschaft, dann wird ein Unternehmen seinen Mitarbeiter nicht in irgendein Land schicken, wenn er anschließend zehn oder vierzehn Tage oder nur acht Tage aus dem Rennen ist.
Quarantäneregelung bedeute "Lockdown der Reisewirtschaft"
Müller: Jetzt wird ja aber über fünf Tage diskutiert. Wäre das was? Könnte man sich dann überlegen, eher überlegen.
Fiebig: Ja, müssen Sie mal Ihren Chef fragen im Sender, wenn Sie fünf Tage aus dem Rennen sind, ob der Sie dann noch irgendwo hinschickt. Das ist …
Müller: Das ist genauso unrealistisch, sagen Sie.
Fiebig: Mit dieser Quarantäneregelung haben wir einen faktischen Lockdown der Reisewirtschaft, für die Touristen, aber auch insbesondere für den Geschäftsreisebereich, und da muss uns was Schlaueres einfallen, schlauere Teststrategien, die sicherstellen, dass das gesundheitliche Risiko hier ganz hart begrenzt wird. Wenn Sie sich mal Quarantäneregelungen angucken, gucken Sie mal da rein, was das sein soll. Da ruft Sie, wenn es gut geht, einmal am Tag ein Gesundheitsamt an, und wenn Sie dem eine Mobilnummer hinterlegt haben, dann wissen die noch einmal nicht, ob der dann auch wirklich zu Hause war. Ob wir wirklich das Risiko der Ansteckung reduzieren durch die Quarantäne, das hängt sehr stark von der Leistungsfähigkeit der Gesundheitsämter ab und der wirklich ganz harten Kontrolle hier, und die Konzepte habe ich noch nicht gesehen.
Müller: Herr Fiebig, die Politikreisewarnungen, habe ich jetzt immer noch ein bisschen im Magen, wo Sie sagen, viel zu viele Länder, eben viele Länder, die eine Reisewarnung haben, aber kein Risikogebiet sind, das heißt wiederum umgekehrt, mit dem Risikogebiet, wenn das kommt, die Definition, diese Vorwarnung quasi auf die Problematik dort, die Vorsorge, die die Politik treffen muss, die die Gesundheitsämter, Behörden treffen müssen, das ist für Sie nachvollziehbar und akzeptabel, da sagt auch die Reisebranche, das müssen wir dann erst mal so hinnehmen, alles andere darüber hinaus ist völlig übertrieben.
Fiebig: Also wenn wir ein ausgewiesenes Risikogebiet haben, ist nur die Frage, wie gehe ich damit um. Muss ich dann Quarantäne machen oder kann ich durch eine intelligente Testkonzeption …
"Wir brauchen überzeugende Testsysteme"
Müller: Wird ja beides versucht, Testkonzeption ja auch.
Fiebig: Ja, aber im Moment diskutieren wir Quarantäne, und ich kann aus der Quarantäne – das ist das, was im Moment diskutiert wird –, nach fünf Tagen kann ich mich testen lassen, dann bin ich nach sieben Tagen aus der Quarantäne raus. Ich habe aber weiter die Quarantäne. Das heißt, jeder muss entscheiden, wenn er reist, ob er eine Woche blockiert werden will oder nicht.
Müller: Ist das nicht nachvollziehbar, zu sagen, das Risiko ist so groß, dass wir abwarten müssen, wenn der zurückkommt?
Fiebig: Nein, ich sage, wir brauchen überzeugende Testsysteme, die sicherstellen, dass hier kein gesundheitliches Risiko da ist bei denen, die dieses Virus dann in sich tragen und übertragen können. Nur die Quarantäne ist ja nicht die Lösung, sondern ich muss sicherstellen – und das, denke ich, kann man über entsprechende Testkonzepte machen –, hier sicherstellen, dass die Infizierten aus dem Verkehr gezogen werden, damit sie das Virus nicht übertragen können.
Müller: Die wir offenbar quantitativ – Entschuldigung, dass ich Sie da unterbreche –, ja offenbar noch nicht haben. Wir können das ja offenbar nicht leisten in der Schnelligkeit, wie Sie es fordern. Sie fordern ja im Grunde …
Fiebig: Ja, sie haben es gerade eingeführt. Ja, also vor 14 Tagen haben wir gerade eine Teststrategie eingeführt, die Flughäfen haben sehr aufwendig Infrastrukturen geschaffen, damit alles getestet werden kann. Zehn Tage später wird das Ding jetzt wieder abgeräumt. Wir brauchen …
"Eine politisch sehr, sehr vorsichtige Maßnahme"
Müller: Weil die Kapazitäten überfordert waren beziehungsweise nicht vorhanden waren.
Fiebig: Ja.
Müller: War die offizielle Begründung der Politik.
Fiebig: Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen zu. Hier gibt es Alternativen, Cluster-Verfahren entsprechend, um die Kapazitäten zu erhöhen.
Müller: Das würde aber bedeuten, Herr Fiebig, würde ja bedeuten, dass die Politik, der Bundesgesundheitsminister, alle, die daran beteiligt sind, auch die Virologen im Grunde das nicht wollten, dass bessere Methoden umgesetzt, eingeführt werden, damit es der Wirtschaft wieder bessergeht. Ist das denn realistisch?
Fiebig: Nein, nein, das unterstellt natürlich niemand, aber man geht hier einen Weg, der nicht eine Möglichkeit sucht, ich sage immer, unter der Voraussetzung, dass das gesundheitlich auch akzeptabel ist, um unser Geschäft insgesamt wirklich in den kleinen Teilen, in denen es noch möglich ist, auch entsprechend zu betreiben. Das ist das, was fehlt. Hier wird sehr vorsichtig vorgegangen, und Risiken werden pauschal vermieden. Das sehen Sie an der Reisewarnung für 160 Länder. Das deckt nicht das tatsächliche Risiko ab, sondern ist eine politisch sehr, sehr vorsichtige Maßnahme.
"Es fehlt im Moment aus meiner Sicht an der Strategie"
Müller: Sie reden mit der Politik regelmäßig, sind da in Kontakt. Wie lauten da die Antworten, wenn Sie das Argument einbringen, 160 sei viel zu viel?
Fiebig: Das Auswärtige Amt wäre in der Tat auch in der Lage, das haben die die letzten 30 Jahre gemacht, das differenzierter entsprechend auch vorzunehmen, und das ist eine im Moment politische Entscheidung, man will keine zusätzlichen Risiken eingehen. Was man damit entsprechend auch auswirkt, sind die wirtschaftlichen Folgen, von denen Sie in Ihrer Anmoderation gesprochen haben. Wenn wir hier nicht zu differenzierter Vorgehensweise kommen, haben wir einen Lockdown für die Reisewirtschaft. Wir unterstützen auf der einen Seite die Reisewirtschaft dankenswerterweise mit Subventionen, damit die Struktur erhalten bleibt. Wir müssen aber jetzt auch die Möglichkeit haben, unser Geschäft entsprechend wieder zu starten und die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, da, wo es möglich ist, und da fehlt es im Moment aus meiner Sicht an der Strategie, auch das entsprechend umzusetzen, dass auch unsere Reisewirtschaft, dass das Reisegeschäft da, wo es möglich ist, wieder starten kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.