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Russland
Hotline für festgenommene Demonstranten

Nach den Demos in Russland hat es wieder mehr als hundert Festnahmen gegeben. Eine Organisation bietet den Demonstranten erste juristische Hilfe an - per Hotline. Sie sammelt auch Daten darüber, wie viele Menschen tatsächlich festgenommen werden.

Von Thielko Grieß |
    Der Junge im Tiger-Shirt wird mit unbewegter Miene von drei Polizisten in Kampfausrüstung abgeführt. Dahinter stehen weitere Demonstranten.
    Polizisten nehmen während einer Antikorruptions-Demonstration am 12.06.2017 in Moskau (Russland) ein Kind fest. (Alexander Zemlianichenko /AP / dpa)
    In einem kleinen Raum eines Moskauer Altbaus stehen vier, fünf Tische. An der Wand stapeln sich Süßigkeiten – Nervennahrung für lange Stunden. Auf den anderen ist Platz für Laptops und ein paar Schreibtischlampen. Das ist die Zentrale von OWD-Info. Über die Hotline kommt ein Anruf. Eine Mitarbeiterin nimmt erste Daten auf und übergibt ihr Headset dann an einen Juristen.
    Festgenommene oder Verwandte rufen an und fragen, wie sie sich am besten verhalten, welche Angaben sie machen müssen, welche nicht. Manche rufen mit ihren Handys direkt aus den Polizeistationen an, erklärt Daniil Beilinsson, einer der Gründer:
    "Wir fragen den Anrufer, unter welchen Umständen er festgenommen worden ist. Fragen, wer noch bei ihm ist. Wir sprechen mit allen, die bei ihm sind, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie viele Leute es sind. Wie sie heißen, ob wir ihren Namen veröffentlichen dürfen. Und wir nehmen ihre Kontaktdaten auf. Und vielleicht noch einige zusätzliche Daten, damit Anwälte ihre Mandate ausfertigen können. Und danach rufen wir sie zurück, solange sie nicht auf freiem Fuß sind beziehungsweise bis die Polizei ihnen ihre Handys wegnimmt."
    Einige hundert Anrufe sind am Tag der Demonstration eingegangen, aber auch danach hat es weiter geklingelt.
    "Ich und zwei meiner Kollegen, die hier anwesend sind, wir sind um halb sechs Uhr morgens nach Hause gegangen. Und dann waren einige von uns heute Morgen schon wieder hier."
    Juristische Beratung für Festgenommene und Verwandte
    Juristische Beratung für Festgenommene und Verwandte ist nur der eine Teil ihrer Arbeit. Der andere ist: Daten sammeln und veröffentlichen. Denn das tun die Behörden entweder gar nicht oder nur unzureichend; so gibt es immer wieder Hinweise darauf, dass die amtlichen Angaben zu niedrig ausfallen. Inzwischen stützen sich so gut wie alle seriösen russischen Medien auf die Daten, die in diesem Büro gesammelt werden. Dabei geht es nicht nur um Moskau, sondern um ganz Russland, sagt Grigorij Ochotin, einer der Gründer von OWD-Info.
    "Der wichtigste Gedanke ist, dass wir keine Aktivisten sind. Wir sind Mittler zwischen Aktivisten und Medien. Wir sammeln und überprüfen Informationen, die uns Festgenommene mitteilen, und stellen sie für Medien bereit. Die vertrauen unseren Angaben, weil wir im Laufe von fünf Jahren ihr Vertrauen gewonnen haben, dass unsere Angaben überprüft und genau sind. Das ist ein guter Service."
    Spendenaufrufe im Internet
    Grigorij Ochotin ist eigentlich Journalist, hat früher für Zeitungen geschrieben. Jetzt schreibt er Berichte für die Seite ovdinfo.org. Insgesamt arbeiten für die Organisation 15 junge Menschen permanent. Sie verdienen hier nicht viel, sagen sie, aber es reiche zum Essen, auch mal für ein Bier und gelegentlichen Urlaub. Das Geld stamme zu einer Hälfte aus Zuschüssen, sagt Ochotin, etwa von der Europäischen Kommission in Brüssel. Die andere Hälfte komme über Spendenaufrufe im Internet zusammen.
    "Erstens sehen wir, dass die Gesellschaft uns unterstützt. Zweitens ist es ein direktes Feedback: Wenn wir gut arbeiten, sehen wir, dass wir mehr Geld durch Crowdfunding bekommen. Wenn wir Fehler machen, dann weniger. Das ist etwas sehr Lebendiges. Es motiviert unser Team sehr. Wir sehen, dass jemand, nur als Beispiel, 300 Rubel gespendet hat."
    300 Rubel, das sind etwas weniger als fünf Euro. Eine tatsächliche Spenderin heißt Tamara Eidelman. Sie ist in Moskau Gymnasiallehrerin für Geschichte und hat umgerechnet knapp 16 Euro überwiesen.
    "Die Informationen, über die OWD-Info berichtet, sind sehr wichtig für Verwandte und Freunde der Festgenommenen. Sie helfen, sich mit Rechtsanwälten in Verbindung zu setzen. Sie helfen politischen Gefangenen, sie verschicken Briefe. Sie machen eine enorm wichtige Arbeit."
    Die Lehrerin weiß, wovon sie spricht, weil sie selbst einmal nach einer Demonstration festgenommen worden ist. Dann komme es darauf an, sich richtig zu verhalten:
    "Zeigen Sie Ausdauer. Sagen Sie nichts ohne Anwalt. Glauben Sie nichts, was ihnen die Polizisten sagen. Halten Sie Stand und bewahren Sie Ruhe."
    Viele andere Spender bleiben anonym. Wieder andere stellen technische Hilfe bereit, etwa um die Internetseite vor digitalen Angriffen zu schützen. Eidelman will weiter spenden, denn sie ist sich sicher: Es wird weitere Demonstrationen und weitere Festnahmen geben.