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Sanktionen gegen Russland
"EU gewinnt an Glaubwürdigkeit"

Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland haben eine große Signalwirkung, sagte der Politikwissenschaftler Klaus Segbers im DLF. Es sei wichtig, klarzumachen, dass die Verletzung der "Nach-Kalte-Kriegs-Ordnung absolut inakzeptabel" sei. Gleichzeitig müsse die EU aber grundsätzlich gesprächsbereit bleiben.

Klaus Segbers im Gespräch mit Marina Schweizer | 30.07.2014
    Die Flagge der Europäischen Union weht vor wolkenverhangenem Himmel.
    "Etwas zu spät" habe die EU sich endlich geeinigt, Sanktionen auf der Stufe drei zu verhängen, meint Klaus Segbers vom Osteuropa-Institut der FU-Berlin. (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
    Dirk-Oliver Heckmann: Der Westen dreht also weiter an der Sanktionsschraube, die Europäer verhängen dabei erstmals Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Meine Kollegin Marina Schweizer, die hat mit Klaus Segbers gesprochen, er ist Politikwissenschaftler am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin.
    Marina Schweizer: Herr Segbers, wird dieser Beschluss Präsident Putin beeindrucken?
    Klaus Segbers: Er wird ihn auf jeden Fall beeindrucken. Das ist etwas, was er seit Wochen und Monaten befürchtet hat, Sanktionen auf der sogenannten Stufe drei, das heißt, die Wirtschaftssektoren betreffen und nicht nur einzelne Personen, die mit Visabehinderungen zu rechnen haben oder mit Kontensperrungen.
    Endlich, nach vielen Wochen – aus meiner Sicht etwas zu spät – hat die EU sich dazu verstanden, einen Einstieg in die Sanktionen auf der Stufe drei zu verhängen. Die russische Wirtschaft schwächelt – sie hat mit einer erheblichen Kapitalflucht zu leben, mit einer Investitionszurückhaltung schon vor den Sanktionen, sie rechnet eventuell sogar mit leichtem Negativwachstum in diesem Jahr – und diese Sanktionen werden zumindest die Auseinandersetzung in der russischen Führung verstärken, die jetzt schon seit einigen Wochen zu beobachten ist.
    "Russische Wirtschaft wird definitiv beeinträchtigt"
    Schweizer: Auch die EU ist sich ja relativ sicher, dass die Sanktionen die russische Wirtschaft schmerzen werden, die USA auch. Wenn wir einmal drauf schauen, was da im Einzelnen abgemacht worden ist: Was davon wird Russland denn am Meisten wehtun?
    Segbers: Ich denke vor allen Dingen zwei Punkte, zum einen die Verunmöglichung des Bezuges von Gerät zur Erschließung neuer Öl- oder Gasfelder, vor allen Dingen in der Antarktis. Dazu sind die Russen bisher aus eigener Kraft nicht in der Lage. Und das Zweite ist die Frage der Refinanzierung von staatlichen, überwiegend staatlich geführten russischen Banken auf EU-Kapitalmärkten bei Anleihen, die über 90 Tage hinausreichen. Einerseits hat Russland zwar immer noch sehr starke Devisenreserven, etwas über 400 Milliarden Dollar, auf der anderen Seite haben sie in diesem Jahr aber auch normalerweise etwa ein Viertel davon zurückzuzahlen aufgrund von Schulden, die dieses Jahr fällig werden.
    Das heißt, es sieht da nicht so ganz rosig aus. Und wenn diese Banken sich jetzt nicht mehr wie bisher Geld besorgen können, frisches Geld auf den europäischen Kapitalmärkten, wird das auch bedeuten, dass viele russische Betriebe Schwierigkeiten haben werden, größere als bisher, für neue Investitionsprojekte. Das heißt, die russische Wirtschaft wird dadurch definitiv beeinträchtigt.
    Schweizer: Welches Gewicht hat denn da der Gleichschritt mit den USA?
    Segbers: Ein Großes, weil es ja bisher immer so war, dass die russische Führung aus ihrer Sicht durchaus rational versucht hat, sowohl wahrgenommene reale oder vermutete Gegensätze zwischen der EU und den USA auszunutzen wie auch Gegensätze zwischen einzelnen europäischen Ländern, die es gab. Also zum Beispiel waren Frankreich und Italien in einigen Fragen von Sanktionen sehr viel zurückhaltender als etwa Schweden, die baltischen Staaten, Polen, während Deutschland so eine vermittelnde Position eingenommen hat.
    Und dass die EU sich nun endlich dazu durchgerungen hat, hier im Gleichschritt zu reagieren, das hat, glaube ich, auch eine große Signalwirkung und es bedeutet auch, dass die EU an Glaubwürdigkeit gewinnt, denn es ist keine gute Situation, wenn man Linien im Sand zieht und sagt, wenn, dann ziehen wir Konsequenzen und führen Sanktionen ein – und es dann doch nicht tut. Es ist nun endlich geschehen und das ist auch ein Gewinn an Glaubwürdigkeit für die EU.
    "Klare Verletzung der Nachkriegsordnung"
    Schweizer: Herr Segbers, Sie haben ja auch gerade schon angesprochen, wie stark diese Sanktionen Russland treffen könnten, und sie könnten ja möglicherweise, nachdem sie die Wirtschaft erst mal trifft, ja dann auch die Gesellschaft treffen. Wird der Druck auf die Politik von dort aus dann auch stärker werden?
    Segbers: Das ist im Augenblick ganz schwer zu sagen, weil da viele unbekannte oder nicht genau kalkulierbare Variablen im Spiel sind, dass wir nicht genau sagen können, ob und wann genau auch gesellschaftliche Gruppierungen eventuell umdenken und anfangen zu protestieren. Was wir aber sicher sagen können ist, dass das feingewobene Netz im Machtapparat selber, wo zigtausende von Bürokraten bisher abhängig sind von den Energierenten, das heißt, von dem Export russischen Öl und Gas, und wenn diese Exporteinnahmen zurückgehen in der Tendenz, dann wird dieses Abhängigkeitsnetz auch geschwächt werden. Und das hätte eine erhebliche Bedeutung für das ganze System Putin und die Art und Weise, wie dort bisher in den vergangenen, sagen wir mal, etwa acht Jahren regiert worden ist.
    "Doppelstrategie Druck plus Gesprächsangebote"
    Schweizer: Die Sanktionen der EU, die sind ja jetzt auf ein Jahr befristet. Nach drei Monaten sollen sie überprüft werden. Wie wichtig ist denn dieses Signal der Dialogbereitschaft von der EU an Russland?
    Segbers: Es geht um beides. Es geht darum, jetzt klarzumachen, dass die klare Verletzung der Nach-Kalte-Kriegs-Ordnung absolut inakzeptabel ist. Das begann mit der Annexion der Krim, das hat sich fortgesetzt mit dem Einmischen in der Ostukraine und der Unterstützung eines Teils der Milizen und Separatisten. Es hat sich fortgesetzt über die Beihilfe zum Abschuss eines Flugzeuges und der Verhinderung der Aufklärung und dem Abschuss von Militärflugzeugen der Ukraine. Und das ist eine klare Verletzung der Nachkriegsordnung.
    Genauso wichtig ist aber auch, dass man weiter grundsätzlich gesprächsbereit bleibt, und wenn die russische Führung umdenkt und sagt, wir sind bereit, einen neuen Weg zu finden, uns aus der Ukraine, aus der Ostukraine in der Weise zurückzuziehen, wie wir bisher dort versucht haben, mit Marionetten zu spielen und einen neuen Anlauf zu nehmen für eine neue Post-Kalte-Kriegs-Ordnung, zusammen mit der EU, dann, denke ich, sollte man diese Chance nutzen. Diese Doppelstrategie Druck plus Gesprächsangebote ist in ihrer Gesamtheit sehr wichtig.
    Heckmann: Der Politikwissenschaftler Klaus Segbers war das, das Gespräch führte meine Kollegin Marina Schweizer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.