Dienstag, 19. März 2024

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Schimon Peres' Vermächtnis
"Es gab eine Wende in seinem Leben"

Es habe zwei verschiedene Perioden im Leben von Schimon Peres gegeben, sagte Avi Primor, ehemaliger Botschafter Israels in Deutschland, im DLF. Die erste Phase habe er den Streitkräften und der Sicherheit Israels gewidmet, die zweite der Zukunft seines Landes - und die sei nur durch Frieden mit Palästina zu gewährleisten. Diese Grundlage gelte bis heute, so Primor.

Avi Primor im Gespräch mit Sarah Zerback | 28.09.2016
    Der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor
    Avi Primor, ehemaliger Botschafter Israels in Deutschland, spricht über die Wende im Leben des verstorbenen Politikers Schimon Peres. (dpa / picture-alliance / Henning Kaiser)
    Avi Primor: Es bleibt unheimlich viel. Das ist wirklich sehr schwer, in einem Satz zu sagen, weil er so lange an der Spitze der israelischen Politik saß, so oder so. Selbst als Chef der Opposition hat er immer eine große Rolle gespielt.
    Aber ich würde sagen, dass der Friedensprozess mit unseren Nachbarstaaten, der immer noch laufen soll oder bei dem er noch nicht ans Ziel gekommen ist, zum Großteil seine Arbeit war, seine Vorbereitung war und seine Begleitung war. Und ich glaube, dass wir auch noch weiter von seinem Erbe da genießen werden.
    "Um die Zukunft zu gewährleisten"
    Sarah Zerback: Was ist das denn für ein Erbe? Wovon kann man jetzt zehren? Was bedeutet sein Verlust für den Friedensprozess und wer könnte an seine Stelle rücken?
    Primor: Sagen wir es so: Zunächst einmal nicht sein Leben lang hat er für einen Friedensprozess gearbeitet. Er hat zuerst für die Sicherheit gearbeitet, für die Streitkräfte, für die Aufrüstung, und das war auch der Grund, weshalb er im Geheimen Beziehungen zu Deutschland aufgenommen hat.
    Erst später in seinem Leben ist er zur Schlussfolgerung gekommen, dass die Sicherheit Israels gewährleistet ist, und um die Zukunft zu gewährleisten brauchen wir Frieden mit den arabischen Staaten, und das hat ja mit Ägypten und dann mit Jordanien begonnen. Aber vor allem musste es mit den Palästinensern sein und deshalb hat er den Kompromiss mit dem Palästinenser-Chef Arafat aufgesucht.
    Leider kam nach ihm die Regierung des Likuds, die es anders gesehen hat, aber die Grundlage ist geblieben, weil es immer noch eine palästinensische Regierung gibt, eine palästinensische Autonomie und einen palästinensischen Gesprächspartner, und das kann keine Regierung mehr abschaffen.
    "Zwei verschiedene Perioden in seinem Leben"
    Zerback: Da klingt jetzt schon die Ambivalenz durch. So wurde seine Politik ja vielfach umschrieben. Einerseits wollte er eine Zwei-Staaten-Lösung, aber er war auch der Erste, der Siedlungen im Westjordanland zum Beispiel errichten ließ. Wie passte das denn Ihrer Meinung nach zusammen?
    Primor: Klar, weil das zwei verschiedene Perioden in seinem Leben waren. Wie gesagt war sein Leben der Sicherheit und der Streitkräfte gewidmet. Danach als Nationalist - und das war er auch: Ein großer Nationalist - hat er an Siedlungen gedacht und hat Siedlungen ermutigt, und er war vielleicht der erste, der wirklich für die Siedlungen gesorgt hat, ist aber später zur Schlussfolgerung gekommen, dass das ein falscher Weg war und dass die Zukunft Israel gewährleistet werden kann nur durch Frieden, und zwar mit den Palästinensern, nicht nur mit den arabischen Staaten. Das heißt, es gab eine Wende in seinem Leben. Es waren zwei verschiedene Perioden.
    Zerback: Und diese Wende, wie wurde die eingeleitet?
    Primor: Ja, mit dem Friedensprozess, mit dem Friedensprozess, den er zunächst mit den Ägyptern versucht hat, das hat dann aber Begin gemacht, dann mit Jordanien und vor allem mit den Palästinensern - dadurch, dass er Arafat anerkannt hat, die PLO anerkannt hat und mit denen zunächst im Geheimen Kontakte aufgenommen hat, nachdem jahrelang man uns erklärt hat, dass man nie, nie, nie mit den Palästinensern, mit der PLO sprechen würde. Diese Wende haben wir ihm zu verdanken.
    "Es gibt keinen Rückzug von diesem Friedensprozess"
    Zerback: Diesen Friedensprozess, den hat Schimon Peres eingeleitet vor mehr als 20 Jahren, in Oslo mit den Osloer Verträgen. Aber der Frieden, Sie haben das angesprochen, der bleibt bislang immer noch aus. Ist das denn nun sein größter Erfolg, oder seine größte Niederlage?
    Primor: Niederlage würde ich es auf jeden Fall nicht nennen. Ich glaube, dass das ein Erfolg war, der aber nicht sein Ziel erreicht hat. Das bedeutet nicht, dass das Ziel ewig verloren ist; er hat es eingeleitet. Es gibt keinen Rückzug von diesem Friedensprozess, auch wenn er ins Stocken geraten ist, wie es jetzt der Fall ist, auch wenn wir heute eine Regierung haben, die diesen Friedensprozess gar nicht haben will. Sie kann diesen Friedensprozess aber nicht mehr loswerden, weil eine palästinensische Autonomie entstanden ist, eine palästinensische Regierung entstanden ist, die mit den meisten Ländern der Welt verbunden ist. Das ist nicht mehr rückgängig zu machen, was Peres gemacht hat. Aber er wollte natürlich viel weiter gehen und das ist offengeblieben. Das wird schon ein anderer machen müssen.
    "Die Jahre, wo Israel ganz total von der arabischen Welt isoliert war"
    Zerback: Wenn wir auf die aktuelle Situation mal schauen. Sie selber haben ja immer wieder betont, dass Frieden im Nahen Osten nur möglich ist, wenn Israel da seinen arabischen Nachbarn auch entgegenkommt. Sehen Sie diese Annäherung?
    Primor: Wir müssen gestehen, dass mit manchen arabischen Nachbarstaaten wir gute Beziehungen heute haben, mit Ägypten zum Beispiel und Jordanien vor allem. Das heißt nicht nur einen offiziellen Frieden, sondern auch eine echte Zusammenarbeit, wenn auch oft im Geheimen. Das gilt auch für die Golf-Staaten und selbst für Saudi-Arabien, weil wir heute gemeinsame Interessen haben. Also wir haben schon einen großen Schritt vorwärts erzielt, wenn wir das mit den Jahren vergleichen, wo Israel ganz total von der arabischen Welt isoliert war und mit keinem arabischen Staat irgendeinen Kontakt hatte.
    Aber die Hauptsache, der Palästinenser-Staat, das palästinensische Volk, das ist noch immer das große Problem. Ich glaube, dass die Palästinenser darunter leiden, dass sie heute weniger internationale Unterstützung bekommen, weil die Welt sich für andere Probleme heute interessiert. Es gibt andere Prioritäten, auch für die Europäer. Aber was schon erreicht worden war, ist nicht rückgängig machbar. Das bleibt und irgendwann werden wir vorwärtsgehen müssen.
    Zerback: Sie haben die Wende in Peres‘ Leben schon erwähnt. Wenn wir jetzt international hören, wie er gewürdigt wird nach seinem Tod, dann ist es ja kaum zu glauben, dass er zeitweise zu den meist gehassten Politikern seines Landes gehört hat. Wie ist er denn damit ganz persönlich umgegangen?
    Primor: Na ja. Vergessen Sie nicht, wie lange er an der Macht war. Der Mann war der zweite Mann der israelischen Verteidigungspolitik seit Entstehung des Staates. Er war Mitarbeiter von Ben Gurion, von dem ersten Regierungschef. Man nennt ihn oft den Gründer des Staates. Er war sein engster Mitarbeiter, er war zunächst sein Staatssekretär und dann Vizeminister der Verteidigung, danach Minister der Verteidigung. Also er war mit der Geschichte Israels seit 60 Jahren verbunden, dem Beginn der Unabhängigkeit. Es gab Politiker, die gekommen sind und weggegangen sind und neu gekommen sind. Der einzige, der seit Entstehung des Staates immer noch da war und immer noch ein Wort hatte und immer noch einen Einfluss hatte, war Peres. Das ist eine Seltenheit in der Geschichte.
    "Er war ein Pragmatiker"
    Zerback: Sein privates, sein ganz familiäres Verhältnis zu Deutschland, das war ja mehr als belastet, und das des Landes ist natürlich historisch sowieso schwierig. Wie würden Sie das denn heute beschreiben?
    Primor: Er war ein Pragmatiker. Er hat einen Kontakt zu Franz-Josef Strauß damals aufnehmen können, im Geheimen natürlich, weil wir damals nicht durften, irgendeinen Kontakt zu den Deutschen aufzunehmen. Er hat mit Franz-Josef Strauß damals gesprochen, der Bundesverteidigungsminister war, und hat mit ihm einen sehr engen Kontakt aufgebaut für die Verteidigung. Und ich sagte Ihnen: In seinen ersten Jahren war die Verteidigung seine Hauptbeschäftigung und das interessierte ihn. Und er sagte: Ist mir egal, die Vergangenheit und die Rechnungen, die wir mit Deutschland noch haben, und was wir alles noch mit den Deutschen tun müssen, ich sorge für die Verteidigung, das heißt, für das Überleben Israels, und wenn die Deutschen mir da helfen können, dann brauche ich die deutsche Hilfe. Also alle pragmatisch, er war ein Pragmatiker und natürlich hat er auch seine Gefühle gehabt, aber in dieser Sache sagte er, die Verteidigung Israels wäre das Allerwichtigste für ihn, für sein Leben, für das Land. Und deshalb hat er das mit Franz-Josef Strauß zusammen gemacht, der allerdings keine Nazi-Vergangenheit hatte, Strauß. Das hat die Sache ermöglicht.
    Zerback: … sagt Avi Primor, der ehemalige Botschafter Israels in Deutschland. Ich danke Ihnen für das Gespräch heute im Deutschlandfunk.
    Primor: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.