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Schweden
Eine Stadt zieht um

Die kleine Industriestadt Kiruna im Norden Schwedens soll einer Mine weichen. Ohne die Mine kann Kiruna nicht existieren, deshalb sind die Bewohner bereit, im großem Stil umzuziehen - und denkmalgeschützte Gebäude erst ab- und dann vier Kilometer weiter östlich wieder aufzubauen.

Von Simonetta Dibbern |
    Arbeitersiedlung vor der Eisenerzmine von Kiruna im schwedischen Lappland im Abendlicht.
    Weil nach dem schwedischen Mineraliengesetz der Ausbau der Rohstoffe allererste Priorität hat, soll Kiruna einer Mine weichen. (imago / derifo)
    Thermohose, Anorak, Pudelmütze: Die junge Frau ist gut ausgerüstet, wenn sie ihre Stadtspaziergänge unternimmt:
    "Wenn du die Leute fragst, was siehst du, wenn du an Kiruna denkst? Dann sagen viele: Das da! Dieses Gebäude. Die Leute mögen es, es ist hübsch und es hat eine Geschichte."
    Clara Nyström steht vor dem alten Feuerwehrhaus. Der rote Turm mit dem weißen Geländer ist auch einer ihrer Lieblingsbauten in Kiruna. Die 30-Jährige ist Spezialistin für Baugeschichte und Denkmalschutz: Vor 6 Monaten ist sie hergezogen, um Gutachten zu erstellen über das architektonische Erbe der Stadt. Der Turm wird wohl abgerissen. Die berühmte Holzkirche dagegen, 1912 von Gustav Wickmann erbaut aus Holzziegeln im für Schweden typischen Falunrot - sie soll ab- und vier Kilometer weiter östlich wieder aufgebaut werden. Stück für Stück:
    "Du siehst, dass wir zur Kirche bergauf gehen. 1910 haben sie hier den Boden um neun Meter angehoben, weil eine Kirche höher stehen muss, damit man sie sieht. Hier ist es sowieso etwas hügelig. Aber die neue Innenstadt wird im Tal liegen, da müssen wir uns also etwas ausdenken. Auch das ist mein Job. Andere Leute sehen nur die Kirche."
    1 Milliarde Euro für den Stadtumzug
    Kirunas Umzug ist aufwendig – und er wird kostspielig. Mehr als 1 Milliarde Euro hat die Minengesellschaft bisher offiziell dafür bereitgestellt. Das ist nicht viel für einen kompletten Stadtumzug. Insgesamt 34 denkmalgeschützte Gebäude sollen erhalten werden. Eine neue Innenstadt wird entstehen, nach den Plänen eines großen Architekturbüros aus Stockholm. Schienen, Stromversorgung, Kanalisation: alles neu in Kiruna. Und das, sagt Anders Lundgren, bei der Minengesellschaft LKAB zuständig für Stadtentwicklung und Kompensationszahlungen, ist erst der Anfang.
    "Das ist im Moment die drängendste Frage: wie wir den Wert von Wohnungen, Häusern und Grundstücken ermitteln. Und an wen wir die Bauaufträge für die Neubauten vergeben. Darüber diskutieren wir schon seit einem Jahr."
    Die Bebauungspläne werden von der Gemeinde erstellt. Doch sämtliche Umzugskosten muss die staatliche Minengesellschaft übernehmen: Infrastruktur, Neubauten. Und Entschädigungen.
    "Wir haben noch nicht mit den Leuten gesprochen, sie kommen zu uns und fragen. Doch vieles muss erst noch entschieden werden, wo sie bauen können, wie viel Geld sie von uns bekommen. Natürlich sollen sie es nicht aus der Zeitung erfahren. Doch wir können sie auch noch nicht einfach anrufen und sagen: Das und das ist der Plan."
    Viel Zeit bleibt nicht: Die erste Umzugsphase soll in zehn Jahren abgeschlossen sein. Doch die Verhandlungen zwischen Kommune und Minengesellschaft gestalten sich zäh.
    "Die Minen-Schließung wäre das Ende von Kiruna"
    "Wir sind uns einig, dass der Umzug notwendig ist. Wenn wir die Innenstadt nicht verlegen, müssen wir die Mine schließen. Und das wäre auch das Ende von Kiruna. Ohne die Arbeitsplätze würden viele wegziehen. Aber bei den Details kämpft natürlich jeder für seine Interessen."
    Viele Arbeitsgruppen treffen sich täglich im alten Rathaus von Kiruna zu Sitzungen, Besprechungen, Konferenzen. Auch Clara Nyström ist meistens dabei. Eine 180-seitige Dokumentation hat sie erstellt über die architektonischen Besonderheiten von Kiruna. Und dabei geht es ihr nicht nur um den Denkmalschutz:
    "Jeder redet nur von den Gebäuden, die umziehen sollen. Ich dagegen habe auch die ganze Umgebung im Blick, Stadtviertel, Nachbarschaften. Mir geht es nicht nur um die 14 Häuser, die umziehen sollen. Es geht auch um Aspekte, die man nicht sieht: Gefühle wie Trauer zum Beispiel."
    Was etwa mit den Gräbern hinter der Kirche passieren soll, auch das ist eine der Fragen, mit denen sie sich gerade beschäftigt. Und sie hofft, so schnell wie möglich eine Lösung zu finden.