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"Sie wird für diese Politik werben"

In Hinblick auf eine funktionierende europäische Finanzpolitik sei es richtig, dass Bundeskanzlerin Merkel auch zur französischen Innenpolitik klare Position beziehe. Das sagt Andreas Schockenhoff (CDU), Leiter der deutsch-französischen Parlamentariergruppe. Er wünscht sich zudem, dass beide Staaten eine einheitliche Unternehmensbesteuerung bekommen.

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Friedbert Meurer | 06.02.2012
    Friedbert Meurer: Am 22. April wird in Frankreich die erste Runde der Präsidentschaftswahlen stattfinden. Die beiden Bestplatzierten machen dann 14 Tage später die Entscheidung in einem zweiten Wahlgang unter sich aus. Würde heute in Frankreich gewählt, dann würde der Sieger eindeutig Francois Hollande von den Sozialisten heißen. Der konservative derzeitige Präsident Nicolas Sarkozy genießt dagegen nur noch sehr wenig Vertrauen im eigenen Land. Er hat sogar noch nicht einmal offiziell erklärt, ob er überhaupt ein zweites Mal antreten will. In dieser Situation finden heute die deutsch-französischen Regierungskonsultationen in Paris statt, inmitten der großen internationalen Schulden- und Finanzkrise. Der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion Andreas Schockenhoff leitet die deutsch-französische Parlamentariergruppe und er ist auch Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit. Guten Tag, Herr Schockenhoff!

    Andreas Schockenhoff: Guten Tag.

    Meurer: Fangen wir mal an mit dem Thema Euro und Wirtschaft. Haben Sie den Eindruck, dass Deutschland in Frankreich im Moment so eine Art Modell ist?

    Schockenhoff: Ja, natürlich! Vor allem wird in Frankreich darauf verwiesen, dass in Deutschland seit 2003, seit den Hartz-Reformen von Bundeskanzler Gerhard Schröder, eben drei verschiedene Regierungen einen Grundkonsens gehabt haben in Bezug auf Wettbewerbsfähigkeit, in Bezug auf die Sicherung von Arbeitsplätzen. Dieser Grundkonsens fehlt in Frankreich. Im Gegenteil: der sozialistische Präsidentschaftsbewerber Hollande hat angekündigt, den EU-Gipfelbeschluss vom 9. Dezember 2011 so nicht zu ratifizieren, sondern erneut zu verhandeln. Er will das Rentenalter nicht erhöhen wie in Deutschland, sondern von 62 auf 60 Jahre senken. Deswegen ist die Frage, ob es eine gemeinsame Wirtschafts- und Sozialpolitik, eine gemeinsame Politik zur Stabilität des Euro gibt, eine Grundfrage des französischen Wahlkampfes und damit eben keine reine innenpolitische Frage mehr.

    Meurer: Aber hat damit gerade Hollande eine Chance in Frankreich, dass er sagt, dieser Fiskalpakt ist zu deutsch, da müssen wir noch mal ran?

    Schockenhoff: Es ist sicher nicht ohne Risiko für Sarkozy, dass er sich so auf ein deutsches Modell beruft. Auf der anderen Seite geht es um eine grundsätzlich unterschiedliche Politik. Hollande imitiert Mitterrand aus dem Jahr 1981, und Mitterrand hat, als er damals Präsident wurde, in den ersten 18 Monaten dreimal den französischen Franc abgewertet. Er hat die Banken und Versicherungen verstaatlicht, so etwas gibt es heute nicht mehr, weil es rein nationale Banken in dieser Art eigentlich nicht mehr gibt, und das Instrument der Abwertung steht nicht mehr zur Verfügung. Deswegen sind wir in einer anderen Zeit. Wir merken hier, dass eine nationale Wahl ganz erheblichen Einfluss auf die Entwicklung Europas und damit auf die internationalen Finanzmärkte nehmen wird.

    Meurer: Darf die Kanzlerin Wahlkampf machen für einen der Kandidaten, für Nicolas Sarkozy?

    Schockenhoff: Es ist natürlich eine rein innenpolitische souveräne Entscheidung des französischen Wählers. Aber wenn es dabei um eine Grundsatzfrage geht, welche Politik gemacht wird, ob eine Politik, die in Deutschland seit zehn Jahren Früchte trägt, weitergemacht wird, oder imitiert wird, oder ob Frankreich in Europa eine völlig andere Ausrichtung will, dann muss die Kanzlerin sich dazu äußern und dann ist es richtig, hier nicht für die Person Sarkozy, aber für eine klare Politik, die die Rolle Europas in der Weltwirtschaft behauptet, einzutreten.

    Meurer: Manche sagen, heute Abend das gemeinsame TV-Interview im französischen Fernsehen von Merkel und Sarkozy ist schon der Auftakt von Wahlkampfhilfe. Wissen Sie, wie das in den nächsten Wochen aussehen soll? Wird die Kanzlerin da auf irgendwelchen Marktplätzen in Frankreich stehen?

    Schockenhoff: Die Bundeskanzlerin wird sich klar äußern zu einer bestimmten Politik, die Europas Rolle in der Welt stärkt, und darum geht es. Manche haben ...

    Meurer: Es ist Wahlkampf, sie wird Wahlkampf machen.

    Schockenhoff: Sie wird für diese Politik werben. Manche sagen, die Euro-Rettung sei zu wenig demokratisch, sie werde nur von den Regierungen ohne Beteiligung der Bevölkerung gemacht. Jetzt ist es so, dass es einen echten, bei einem Wahltag zu beobachtenden Wettstreit um die richtige Politik gibt; dann ist es richtig, dass man dafür wirbt, das ist mehr Demokratie.

    Meurer: Aber ob das jetzt in Festzelten stattfindet, auf Marktplätzen oder so, Genaueres steht noch nicht fest?

    Schockenhoff: Nein. Es geht auch ganz klar darum, dass Frau Merkel für eine bestimmte Politik steht, die wir für richtig finden und die dafür gesorgt hat, dass wir in Deutschland eine in Europa beispiellos niedrige Arbeitslosigkeit und gutes Wachstum haben, dass diese Politik sich in ganz Europa durchsetzt.

    Meurer: Besteht, Herr Schockenhoff, nicht die Gefahr, dass etliche Franzosen sagen werden, was mischt sich die Kanzlerin bei uns ein, sollen wir Franzosen jetzt also tatsächlich Deutsch sprechen?

    Schockenhoff: Diese Vokabel würde ich in diesem Zusammenhang nicht verwenden. Aber Sarkozy hat vor wenigen Wochen Gerhard Schröder im Élysée-Palast empfangen; es geht also nicht nur um eine rein parteipolitische Ausrichtung, aber es geht um die Frage, warum die ...

    Meurer: Ein Empfang ist doch was anderes als Wahlkampf.

    Schockenhoff: Es geht um den Wahlkampf für eine Politik, die die wichtigste Volkswirtschaft in Europa, nämlich die deutsche, im Moment wesentlich wettbewerbsfähiger macht als die zweitgrößte Volkswirtschaft, die französische. Die Frage sich zu stellen und zu sagen, Europa wird nur dann seinen Platz behaupten, wenn alle eine gleichgerichtete Politik machen – es geht um den Euro. Das Problem ist ja die Staatsverschuldung und auf der anderen Seite, dass wir zwar eine einheitliche Währung haben, aber eben ganz unterschiedliche Wirtschafts- und Sozialpolitiken, Steuerpolitiken. Deswegen – das war in dem Beitrag vorher zu hören – wäre es ein sensationeller Neuanfang, wenn wir in den beiden größten Volkswirtschaften eine einheitliche Unternehmensbesteuerung haben. Das wäre ein klares und gutes Signal an die Märkte.

    Meurer: Es geht auch noch um ein anderes Thema heute – das haben wir eben in dem Beitrag gehört -, nämlich um Syrien, Herr Schockenhoff. Deswegen habe ich Eingangs erwähnt, Sie koordinieren die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit. Moskau hat sein Veto eingelegt in New York im UNO-Sicherheitsrat. Kann irgendetwas die Russen umstimmen?

    Schockenhoff: Russland ist zurzeit innenpolitisch, aber leider auch außenpolitisch eine reine Status-quo-Macht, die keine Antwort hat auf Veränderungen in der Welt. Ich glaube, man kann im Moment vor den Präsidentschaftswahlen Russland dort nicht zu einer grundsätzlich anderen Haltung bewegen. Man muss aber dessen ungeachtet die Demokratiebewegung in Syrien und in den anderen arabischen Ländern mit Nachdruck unterstützen.

    Meurer: Nehmen wir mal an, Putin gewinnt die Präsidentschaftswahl – das wird Anfang März sein -, gibt es dann eine Chance für eine neue Syrien-Politik?

    Schockenhoff: Die Frage ist zunächst, ob es einen zweiten Wahlgang gibt. Ich glaube eben, dass sich die russische Mittelschicht, die zu Hunderttausenden auf die Straßen gegangen ist, auch an diesem Wochenende, eine so dreiste Wahlfälschung wie bei den Duma-Wahlen nicht mehr bieten lässt. Wenn es einen zweiten Wahlgang gibt, eine Stichwahl, dann wird das die russische Politik nachhaltig verändern und dann wird sich Russland vielleicht auch außenpolitisch neu orientieren.

    Meurer: Es geht in Syrien offenbar um ganz handfeste Interessen: um Waffenlieferungen, um einen Marinehafen, den die sowjetische Marine benutzt. Diese handfesten Interessen bleiben aber auch nach der Wahl, oder?

    Schockenhoff: Die bleiben bestehen, aber Außenminister Lawrow hat bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Grunde genommen ein ganz traditionelles Vokabular verwandt. Er hat gesagt, nicht Einmischung in innere Angelegenheiten, wir dürfen in einem Bürgerkrieg keine Partei ergreifen. Das ist ein Status quo Denken, das nicht mehr adäquat ist, und Russland kann auch in Syrien auf Dauer seine Interessen nicht verteidigen, wenn es nicht zu einem kooperativen Partner wird, der internationale Entwicklungen mit gestaltet, anstatt sie zu verhindern.

    Meurer: Nehmen wir einmal an, rein hypothetisch, Moskau und Peking hätten zugestimmt am Wochenende, was wäre jetzt anders?

    Schockenhoff: Es wäre eine völkerrechtliche Legitimation dafür gegeben, auch die Opposition, auch die Transformation aktiv zu unterstützen. Man muss das jetzt ohne ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates machen. Man darf nicht die falschen Signale setzen und nun meinen, man müsse sich mit der Situation abfinden. Die Zeit von Assad ist vorbei, hoffentlich so schnell wie möglich, je früher er geht, desto weniger Tote wird es dort geben.

    Meurer: Andreas Schockenhoff, der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk. Herr Schockenhoff, besten Dank und auf Wiederhören.

    Schockenhoff: Danke! Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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