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Silicen
Tücken bei der Produktion

Materialforschung. - Silicen ist von etlichen Auguren als Wundermaterial der Zukunft bezeichnet worden. Doch die Herstellung der atomdicken Schichten aus Silizium hat offenbar ihre Tücken. Eine Forschergruppe in den Niederlanden scheiterte an der Produktion mehrschichtiger Silicenstücke, eine deutsche Arbeitsgruppe gelang es dagegen. Offenbar sind auf dem Weg zum Wundermaterial noch etliche Fragen zu beantworten.

Von Jan Rähm | 11.09.2014
    Die Redakteure der britischen Zeitschrift "Focus Science" sehen in Silicen das Material der Zukunft. Sie setzten es auf Platz 1 einer Liste der "Zehn Wundermaterialien, die die Welt verändern werden". Silicen besteht aus Siliziumatomen, deren räumliche Anordnung jener der Kohlenstoffatome im Graphen gleicht. Die Atome bilden eine wabenförmige Struktur aus sechseckigen Ringen, die gerade mal eine Atomlage dick ist. Wegen dieser Parallelen verspricht Silicen ähnlich revolutionäre Eigenschaften wie Graphen, allerdings mit einem entscheidenden Vorteil: Silicen kann nahezu problemlos mit Bauelementen aus Silizium kombiniert werden. Dadurch hat Silicen das Zeug dazu, die Welt der Mikroelektronik umzukrempeln, glauben Fachleute. Patrick Vogt von der Technischen Universität Berlin warnt jedoch vor überzogenen Erwartungen – und das, obwohl der Physiker einer der Entdecker des neuartigen Materials ist und zudem der Erste, dem es gelang, es herzustellen.
    "Es gibt eine sehr große Erwartungshaltung, die aber nicht wirklich durch das gestützt wird, was wir bisher haben. Und ein zu großer positiver Hype auf der anderen Seite produziert natürlich auch einen negativen Hype."
    Diesem negativen Hype schreibt Patrick Vogt auch eine Formulierung zu, die die niederländische Universität Twente veröffentlicht hat. Die schrieb auf ihrer Website, Silicen habe "suizidale Tendenzen". Deutlich sachlicher beschreibt Forscher Harold Zandvliet die Entdeckung. Der Professor der Universität Twente und sein Team beobachteten in Experimenten, dass sich Silicen anders verhält als sie vermuteten.
    "Wir starten, indem wir Silizium auf eine Silberschicht aufdampfen. Auf der Oberfläche entsteht dabei zunächst eine nahezu komplette Lage Silicen. Wenn wir dann weiter Silizium abscheiden, verwandelt sich das Material aber. Es bildet dann die diamantartige Struktur von kristallinem Silizium aus und zehrt die gewachsene Silicen-Schicht wieder auf."
    Die Forscher wiederholten die Experimente mehrmals, aber mehr als eine Lage Silicene blieb nie stabil.
    "All unsere Versuche, auf einer Silicen-Schicht eine weitere aufwachsen zu lassen, schlugen fehl. Stattdessen beobachteten wir immer den Übergang von Silicen zu gewöhnlichem Silizium."
    Durchwachsene Ergebnisse
    Sollten sich die Beobachtungen aus Twente bestätigen, würde das die Möglichkeiten einer künftigen Verwendung von Silicen deutlich einschränken. Patrick Vogt aus Berlin hat jedoch andere Erfahrungen gemacht. Auch er hat mit seinem Team versucht, mehr als eine Lage Silicen abzuscheiden. Und anders als die Niederländer hatte er Erfolg.
    "Wir haben eben gesehen, dass sich dann weitere Terrassen darauf abscheiden lassen, wie diese Terrassen weiter wachsen, wie groß die werden, von welchen Wachstumsparametern das abhängt und letztendlich dann diese Strukturen charakterisiert hinsichtlich ihrer elektronischen Eigenschaften. Dabei hat sich herausgestellt, dass die elektronischen Eigenschaften ähnlich wie die sind, die man für Silicen erwarten würde."
    Obwohl die Forscher in Berlin im Prinzip ganz ähnliche Experimente gemacht haben wie die in Twente, entstand bei ihnen kein kristallines Silizium, sondern eine mehrlagiges Sandwich aus Silicen-Schichten.
    Vogt: "Wir sehen mit atomar aufgelösten Bildern sehr wohl, dass sich einzelne Schichten bilden, dass sich solche Stacks aus einzelnen Schichten klar definieren lassen in den Bildern. Letztendlich wo der Unterschied ganz genau herkommt, kann ich natürlich nicht sagen, aber die Synthese oder das Wachstum aller dieser Silicenstrukturen hängt sehr von den Wachstumsparametern ab, zum Beispiel der Temperatur."
    Winzige Variationen der Produktionsparameter haben sichtbare Folgen. Darauf führt Patrick Vogt die unterschiedlichen Ergebnisse zurück. Ob mehrlagiges Silicen tatsächlich stabil ist oder zum Selbstmord neigt, müssen weitere Experimente nun zeigen. Ihren Ausgang werden Experten mit Spannung verfolgen. Noch ist es nämlich keinem gelungen, Silicen vom Trägermaterial zu trennen. Die Chance, dass dies gelingt, sind bei einem mehrlagigen Silicen-Sandwich aber allemal höher als bei einer fragilen, nur eine Atomlage dicken Schicht.