Ibragim Jaganow hatte einen langen Tag. Er züchtet Pferde. Nicht irgendwelche. Tscherkessische Pferde, heute bekannt als Kabardiner Pferde. Eine besonders ausdauernde Rasse. Andere kämen nicht in Frage. Denn Jaganow ist Tscherkesse und glüht für die tscherkessische Sache. Er lebt in Naltschik in der russischen Teilrepublik Kabardino-Balkarien im Nordkaukasus.
"Ich hege leider keine patriotischen Gefühle für Russland, denn die russische Macht verhält sich völlig unangemessen gegenüber den nationalen Minderheiten. Ich bin ein Patriot Tscherkessiens."
Tscherkessien gibt es aber gar nicht. Die Tscherkessen leben heute außer in KabardinoBalkarien in den russischen Teilrepubliken Karatschajewo-Tscherkessien und Adygien sowie im Gebiet rund um Sotschi. Sie sind einige hunderttausend. Weitere leben im Ausland, vor allem in der Türkei. Ein großer Teil der tscherkessischen Bevölkerung wurde im russisch-kaukasischen Krieg im 19. Jahrhundert vertrieben.
Ignoriert Russland die Bedürfnisse der Tscherkessen?
Dieser Krieg endete 1864 mit einer russische Siegesparade in Krasnaja Poljana. Ausgerechnet dort beginnen am Wochenende die Olympischen Skiwettbewerbe. Tscherkessische Organisationen in Russland und weltweit haben den Anlass genutzt, um auf die Geschichte ihres Volkes hinzuweisen. Denn der russische Staat ignoriere die Bedürfnisse der Tscherkessen, meint Jaganow.
"Als die Spiele in Sotschi geplant wurden, wurden die Interessen der angestammten Bevölkerung übergangen. Russlands Präsident Putin hat öffentlich erklärt, dass in der Gegend von Sotschi Armenier und Griechen gelebt haben. Tscherkessen hat er nicht erwähnt. Das hat die Tscherkessen sehr verärgert. So eine ignorante Einstellung zu uns und unserer Heimat, unserer Kultur und Geschichte, können wir nicht akzeptieren."
Im Internet haben tscherkessische Organisationen zum Olympiaboykott aufgerufen. Das kommt bei den Behörden nicht gut an. Im Dezember durchsuchten Ermittler die Wohnungen von rund einem Dutzend tscherkessischer Olympia-Gegner. Es folgten stundenlange Verhöre. Der Vorwurf: Unterstützung von Terroristen. Nach Ansicht von Beobachtern waren diese Vorwürfe konstruiert.
Das Problem ist, dass auch Jaganow maßlos übertreibt. Seine Behauptung, die Geschichte der Tscherkessen werde in Sotschi komplett ignoriert, stimmt schlichtweg nicht.
Das historische Museum in Sotschi. Ausgestopfte Tiere, ein Aquarium, Vitrinen mit Alltagsgegenständen aus verschiedenen Jahrhunderten, der Zweite Weltkrieg. Tscherkessen kommen sehr wohl vor. In einer Vitrine sind ihre Säbel und Kriegsgewänder zu sehen.
Die Ausstellung zeigt aber auch: Tscherkessische Stämme kamen erst im 12. Jahrhundert in die Region. Vor ihnen waren Griechen da, die erste Besiedelung erfolgte vor rund hunderttausend Jahren von Kleinasien aus.
"Verlasst Russland."
Alla Guseva, stellvertretende Direktorin des Museums, spricht die Vertreibung der Tscherkessen von selbst nicht an, antwortet dann aber bereitwillig.
"Moralisch betrachtet, ist es natürlich furchtbar, dass Menschen, die hier einige hundert Jahre gelebt haben, gezwungen wurden, umzusiedeln. Aber Moral ist das eine, Politik ist das andere. Es ging darum, den Krieg zu beenden. Der Kaukasuskrieg dauerte 47 Jahre und war sehr blutig. Um ihn zu stoppen, bot man den Tscherkessen an, in die Ebenen umzusiedeln, und sich den Russen zu unterwerfen. Wer das nicht wollte, dem wurde gesagt: Verlasst Russland."
Alla Guseva kann die Entrüstung einiger Tscherkessen über die Olympischen Spiele nicht verstehen. Natürlich werde die Volksgruppe im Programm berücksichtigt. Und tatsächlich wurde im Olympischen Park ein tscherkessisches Kulturzentrum errichtet. Dort werden während der Olympischen Spiele tscherkessische Folkloregegenstände zu sehen sein. Möglicherweise ist das eine Reaktion auf die Protestaktionen der Tscherkessen.