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Spannungen in der Türkei
Das Gespenst PKK ist wieder zurück

Die Fronten zwischen dem türkischen Staat und den Kurden des Landes verhärten sich von Tag zu Tag. Das schlägt sich auch im Alltag der Menschen in der Millionenstadt Istanbul nieder, wo Angst, Gewalt und Schuldzuweisungen wieder zunehmen. Die Sorge vor Anschlägen wächst.

Von Luise Sammann |
    Ein türkischer Polizist sichert den Bereich vor der Polizeiwache in Istanbul.
    Ein türkischer Polizist sichert den Bereich vor der Polizeiwache in Istanbul. (Sedat Suna, dpa picture-alliance)
    Man kann wieder atmen in Istanbul. Ein leichter Abendwind weht durch den Fischmarkt im asiatischen Stadtteil Kadiköy, vertreibt die Schwüle des Tages. Die Kellner der Restaurants haben Tische und Stühle nach draußen gestellt, servieren eiskalten Raki zu Fisch und Meeresfrüchten. Die jüngsten Anschläge und Morde, die Luftangriffe der türkischen Armee - all das scheint hier keine Rolle zu spielen. Und doch. Wer in diesen Tagen in Istanbul versucht, mit gezücktem Mikrofon über Politik zu sprechen, der erntet so viel Schweigen, wie sonst nie. Von den Gästen in Kadiköy möchte sich keiner äußern. Nur ein Restaurantbesitzer klagt: "Das alles wird sich schlecht aufs Geschäft auswirken! Niemand will noch entspannt Geld ausgeben, wenn das Land im Chaos versinkt. Alle kaufen dann nur noch das, was unbedingt nötig ist."

    Auch, wenn der Alltag in Istanbul scheinbar weitergeht. Die Ereignisse der letzten Tage hinterlassen Spuren. Es könnte Anschläge in öffentlichen Verkehrsmitteln geben, hieß es kürzlich aus Polizeikreisen. Auch wenn das nur ein Gerücht war, die Sicherheitskontrollen an Metro- und Fährstationen, die jahrelang niemand erst nahm, machen für viele plötzlich wieder Sinn. Yalcin, mit wirrem Lockenkopf und ausgefransten Shorts, demonstrierte vor Kurzem noch gegen den "Überwachungsstaat", in den die AKP das Land in seinen Augen verwandelt. Jetzt verfolgt er mit besorgtem Blick, wie ein Mann mit großer Reisetasche versucht, die Bosporusfähre zu besteigen, die ihn nach Hause bringen soll. Als zwei Sicherheitsleute den Mann auffordern, die Tasche zu öffnen, wirkt Yalcin erleichtert. "Ich habe wirklich Angst. Ich benutze jeden Tag öffentliche Verkehrsmittel und halte mich an überfüllten Orten auf, die zum Anschlagsziel werden könnten. Ich habe meinen Militärdienst absolviert. Als Soldat kann ich nicht in diesen Konflikt verwickelt werden. Aber als Bombenopfer schon."
    "Die Regierung muss hart reagieren!"
    Das Gespenst PKK war in den letzten Jahren aus den meisten türkischen Städten verschwunden. Nun ist es zurück. Mit aufmerksamem Blick besteigt Yalcin die Fähre. Der 34-jährige Architekt ist nicht nur besorgt, sondern auch sauer. Dass es soweit kommen konnte, ist für ihn allein die Schuld der AKP, die auf einen Wahlsieg bei möglichen Neuwahlen setzte. "Das ist alles Kalkül. Sie tun jetzt so, als hätte es die Verhandlungen mit den Kurden nie gegeben, um nationalistische Wähler auf ihre Seite zu kriegen. Denn welches Thema ist für diese Kreise entscheidend? Härte gegenüber den Kurden!"

    Doch das sehen längst nicht alle Istanbuler so. Zwanzig Minuten dauert die Fährfahrt hinüber ins europäische Istanbul. Direkt am Anleger steht der 25-jährige Caner, verkauft Sesamkringel an Passanten und Touristen. Wenn die bald nicht mehr kommen, dann sind daran allein die Kurden schuld, schimpft er. "Die PKK bringt unschuldige Menschen um. Die Regierung muss hart reagieren! Wir wollen nicht wieder in Kriegszuständen leben."
    Wieder einmal ist die Gesellschaft tief gespalten
    Selbst die prokurdische Partei HDP hält er inzwischen für einen Arm der PKK. So, wie es Regierungsmedien in diesen Tagen verbreiten. Anhänger der Partei sprechen zwar von einer Verleumdungskampagne, mit der die zuletzt überraschend starke Partei mundtot gemacht werden soll. Doch davon will auch Mehmet, der gleich nebenan gekochte Maiskolben anbietet, nichts wissen. "In den Nachrichten sagen sie, es habe 121 PKK-Anschläge in den letzten zwei Monaten gegeben. Da sind diese Militäroperationen jetzt doch nur logisch! Und ich finde, die HDP sollten sie auch gleich verbieten, die verbreitet doch die selbe Ideologie."
    Militär gegen PKK, Türken gegen Kurden, AKP-Anhänger gegen HDP-Wähler, wieder einmal ist die türkische Gesellschaft tief gespalten. Und auch wenn die meisten Menschen in den Straßen Istanbuls sich ihre Feierabendlaune nicht verderben lassen wollen, so sind doch viele besorgt. Auch Mehmetali, der einzige Gast im Fischmarkt von Kadiköy, der schließlich doch noch bereit ist, sich zu äußern. "Ich bin einfach nur schockiert. Der Friedensprozess, der seit Jahren als das wichtigste Thema des Landes beschworen wurde, ein Prozess, der alle Menschen in diesem Land betrifft, ist in wenigen Tagen zerstört worden. Und wenn die Menschen erst einmal anfangen, sich wieder gegenseitig umzubringen, gibt es kein Zurück mehr. Dann versinken wir wieder in endloser Gewalt."