Dienstag, 19. März 2024

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Störgeräusche
Cochlea-Implantate können Tinnitus-Symptome dämpfen

Tinnitus verschwindet, wenn ein sogenanntes Cochlea-Implantat ins Ohr eingesetzt wird. Darauf deuten Studienergebnisse hin. Allerdings betrifft dies nur Menschen, die ertaubt waren und deshalb ein Cochlea-Implantat bekamen. Für normal hörende Tinnitus-Patienten ist dies im Moment aber noch keine Lösung.

Tobias Kleinjung im Gespräch mit Arndt Reuning | 19.03.2018
    Patient mit Hörimplantat: Der Mann hat sich ein sogenanntes Cochlea-Implantat einsetzen lassen. Dabei wird hinter der Ohrmuschel ein Elektrodenträger in das Innenohr eingesetzt. Über ein kleines Mikrofon am Ohr werden die Töne und Laute über ein Kabel von außen zum Elektrodenträger geleitet - und der Hörnerv elektrisch stimuliert. Das Gehirn erkennt dann den Schall.
    Patient mit Hörimplantat (picture alliance / dpa / Birgit Reichert)
    Arndt Reuning: Ein Cochlea-Implantat ist ein Hörgerät für nahezu taube Menschen, bei denen die feinen Haarzellen, die Sinneszellen im Innenohr, abgestorben sind, bei denen der Hörnerv aber noch funktioniert. Die Prothese nimmt Schallwellen mit Hilfe eines Mikrofons auf. Diese Signale werden dann weitergeleitet an eine feine Elektrode, die den Hörnerv stimuliert. Sie kann das Hörvermögen in gewissen Grenzen wiederherstellen, aber sie kann offenbar auch noch mehr: Sie können Tinnitus-Geräusche unterdrücken. Das war Thema auf einer Tinnitus-Konferenz, die am Freitag in Regensburg zu Ende gegangen ist. Darüber vorgetragen hat Tobias Kleinjung, Professor am Universitätsspital Zürich. Vor der Sendung wollte ich von ihm wissen, worum es dabei im Detail geht.
    Tobias Kleinjung: Es geht letztlich darum, dass man beobachtet hat, dass bei Patienten, die ein Cochlea-Implantat eingesetzt bekommen haben aus Gründen der Taubheit auf einem oder beiden Ohren eine Verbesserung ihrer Tinnitus-Wahrnehmung stattgefunden hat. Das ist eine Sache, die man schon seit langer Zeit beobachtet hat und die nun immer mehr in den Fokus rückt, vor allen Dingen im Bereich der sogenannten einseitigen Taubheit.
    Reuning: Das heißt, nur für solche Patienten würde sich ein Cochlea-Implantat als Therapieansatz überhaupt eignen?
    Für eine Studie wurden Menschen mit Tinnitus implantiert
    Kleinjung: Genau. Die Voraussetzung, ein Cochlea-Implantat zu erhalten, ist ein Ohr, das so schlecht hört oder taub ist, dass es mit einem konventionellen Hörgerät nicht mehr versorgt werden kann. Das ist eine altbekannte, sicherlich schon seit 30 Jahren durchgeführte Routineoperation, die aber überwiegend dann zum Einsatz gekommen ist, wenn beide Ohren nichts mehr gehört haben und dann sozusagen die Kommunikationsfähigkeit vollkommen erloschen war.
    In der Situation allerdings der einseitigen Ertaubung hat man ja immer noch ein gutes Ohr, mit dem man zumindest so einigermaßen über die Runden kommt, aber auf dem tauben Ohr häufig ein sehr unangenehmes Ohrgeräusch. Und man hatte ursprünglich gedacht, dass eine Kombination von normalem Hören auf der einen Seite und einem elektronischen Gehör auf der anderen Seite eigentlich nicht funktionieren kann.
    Kollegen in Antwerpen in Belgien haben vor zehn Jahren dann erstmals eine Studie aufgesetzt, wo sie einseitig Ertaubte auf ihrem tauben Ohr hauptsächlich aufgrund ihrer Tinnitus-Beschwerden implantiert haben, und es war sehr faszinierend zu erkennen, wie nach der Aktivierung des Implantats die Ohrgeräusche teilweise vollständig supprimiert oder stark unterdrückt waren und gleichzeitig aber auch eine Verbesserung des Gehörs stattgefunden hat.
    Reuning: Diese ganz spezielle Gruppe von Patienten, die für diese Therapieoption überhaupt in Frage kommt, wie schneidet die denn ab im Vergleich zu herkömmlichen Therapien, eben die kognitive Verhaltenstherapie?
    Kleinjung: Interessanterweise ist der Benefit, den diese Patienten haben, wenn man die konventionellen Messinstrumente anlegt wie etwa Fragebögen oder visuelle Analogskalen, in der Regel deutlich größer als das mit konventionellen Therapieverfahren zu erzielen ist. Das liegt auch sicherlich daran, dass man mit diesem Verfahren zumindest in der Zeit, wo das Implantat aktiviert ist, in einer doch hohen Prozentzahl, ich würde mal sagen, um die Hälfte aller Patienten eine komplette Unterdrückung der Ohrgeräusche erzielt. Und dementsprechend verbessern sich die Fragebogenwerte oder die visuellen Analogskalen um ein Vielfaches mehr, als Sie das mit konventionellen Mitteln erreichen können.
    "Man müsste eine spezielle Tinnitus-Elektrode designen"
    Reuning: Würde sich denn ein Cochlea-Implantat als Therapieoption anbieten bei Menschen, die ansonsten ein gesundes Gehör haben?
    Kleinjung: In der jetzigen Form natürlich nicht, weil ein Cochlea-Implantat wird ja operativ in die Hörschnecke eingebracht. Und wenn wir ein gesundes Ohr haben und stecken dann diese Elektrode in die Hörschnecke hinein, zerstören wir sozusagen große Teile des gesunden Gehörs. Das heißt, in dieser Form macht es sicherlich keinen Sinn, aber es gibt Forschungen, wo man mit einer extrem kurzen Elektrode, zum Beispiel nur im Bereich des runden Fensters stimuliert und auch eine Verbesserung der Tinnitus-Beschwerden bekommt. Also sprich man müsste in der Routine dann eine spezielle Tinnitus-Elektrode sozusagen designen, die nicht das normale Gehör, das vorhandene Gehör zerstört.
    Reuning: Wie weit sind solche Instrumente denn noch entfernt vom klinischen Alltag?
    Kleinjung: Derartige Geräte existieren bisher nur in klinischen Studien. Es gab vor einigen Jahren eine Studie, wo ein entsprechendes Implantat auf die Runde-Fenster-Membran aufgesetzt wurde und bei weitgehend normal hörenden Patienten angewendet wurde und auch hier eine Verbesserung der Ohrgeräuschbeschwerden vorhanden war. Aber diese Studien beziehungsweise auch diese Firmen haben sich in der Zwischenzeit wieder verändert. Und bisher, glaube ich, sind wir da noch einen ganzen Schritt von entfernt, dass es eine spezifische Tinnitus-Elektrode etwa im Sinne einer dauerhaften elektroakustischen Stimulation geben wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.