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Syrien-Flüchtlinge
Mit Religion gegen Religionskriege?

Schiiten contra Sunniten, Alawiten oder Christen contra Muslime - durch die Fronten in Syrien ziehen sich auch religiöse Konflikte. Ein Problem auch für Flüchtlinge in Deutschland: Um die unterschiedlichen Konfessionen miteinander ins Gespräch zu bringen, organisiert die Katholische Akademie Berlin Treffen unter Flüchtlingen.

Von Manfred Götzke | 23.01.2018
    Geflüchtete aus Syrien und dem Irak im Berliner Museum Otto Weidt. 20 Frauen und Männer nehmen am Begegnungsprojekt der Katholischen Akademie teil und besuchen gemeinsam Erinnerungsorte wie diesen.
    20 Frauen und Männer, geflüchtet aus Syrien und Irak, nehmen am Projekt der Katholischen Akademie teil und besuchen Erinnerungsorte (Deutschlandradio / Manfred Götzke)
    "Ihr habt wie immer die drei Fragen, was war neu, was hat mich überrascht, was ..."
    Abdallah Abu Mohammad muss nicht lange überlegen, was ihn heute besonders überrascht hat, ihn bewegt hat, beim Besuch des Museums "Blindenwerkstatt Otto Weidt" in Berlin Mitte.
    "Ich habe in dieser Fabrik, die Menschlichkeit gefühlt."
    Der junge syrische Arzt sitzt mit drei Landsleuten in einer Seminarraumecke der Katholischen Akademie in Berlin. Bei Kaffee und Muffins sprechen die Muslime über den Christen Otto Weidt, der vor 80 Jahren seine jüdischen Arbeiter vor Verfolgung und Deportation rettete.
    "Ich habe mitgenommen, dass man Humanität zeigen muss. Auch wenn man dabei sein Leben riskieren könnte..."
    An fünf Wochenenden haben sich 20 Frauen und Männer, die aus dem Jemen, dem Irak, vor allem aber aus Syrien geflüchtet sind, hier in der Katholischen Akademie getroffen. Sie haben sich - wie an diesem Wochenende - mit Antisemitismus und dem Holocaust beschäftigt. Sie haben die Mauergedenkstätte besucht und über die deutsche Teilung diskutiert. Sie haben eine schiitische Moschee besucht. Um in der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Religionen - aber auch mit der jüngeren deutschen Geschichte - Ansätze für die Lösung der Konflikte in ihrer Heimat zu finden.
    Vorbereitung für den Wiederaufbau
    Ja, das Ganze sei schon ein wenig idealistisch, sagt der 29-jährige Arzt - und dennoch könne er hier etwas lernen für seine Rückkehr in die syrische Heimat.
    "Wir üben hier im Grunde ein, was wir umgehen müssen, damit wir in einem freien Syrien irgendwie zusammen leben können."
    Abdallah Mohammad hat bis vor zwei Jahren in einem Untergrundkrankenhaus in Ost-Aleppo die Opfer von Assads Fass-Bomben zusammengeflickt. Der sunnitische Muslim war und ist Unterstützer der "Freien Syrischen Armee". Als die Truppen des syrischen Diktators immer näher nach Ost-Aleppo vorrückten, ist er geflohen.
    "Assad hat die gesamte Region beherrscht, ich hatte keine Möglichkeit, da zu bleiben, und habe überlegt, nach Deutschland zu fliehen."
    Hier in der Katholischen Akademie sitzt er mit Landsleuten in einem Raum, die ihn und seine Mitstreiter in Syrien bekämpft haben - und die das Assad-Regime in Damaskus noch immer unterstützen.
    "Ich weiß, was passiert in Syrien. Ich habe Beweise und habe viele Massaker gesehen."
    Kriegsgegner im Dialog
    Thomas Würtz setzt sich im Foyer vor dem Seminarraum an ein Tischchen, schlägt die Beine übereinander. Der Islamwissenschaftler wollte in Deutschland die zusammenbringen, die sich in Syrien noch als Kriegsgegner gegenüberstanden. Feinde dazu bringen, miteinander zu sprechen. Für sein Projekt hat er in die Trickkiste der Diplomatie gegriffen: Über den Umweg Religion und jüngere deutsche Geschichte sollen die Teilnehmer eine gemeinsame Gesprächsebene finden.
    "Durch den neutralen Raum, der für alle neu war und auch durch die neutralen Themen, die wir zuerst gesetzt haben wie zum Beispiel die Berliner Mauer, sind die Konfliktlinien am Anfang gar nicht so deutlich geworden. Und so hat sich die Gruppe erstmal als Gruppe kennengelernt, und da haben sich viele ausgetauscht und haben an Syrien und ihre verschiedenen religiösen und politischen Überzeugungen gar nicht gedacht."
    Nach den ersten zwei, drei Wochenenden hätten die Teilnehmer dann auch über die Konflikte, den Krieg in ihrer Heimat gesprochen.
    "Allerdings haben wir unsere Teilnehmer dann auch in Ruhe gelassen. Wir wollten bewusst diese Räume schaffen, wo diese Annährung stattfinden kann, ohne dass Beobachter dabei sind. Ich hatte den Eindruck, dass zum Beispiel der christliche Teilnehmer aus dem nördlichen Syrien, der als Richter gearbeitet hat, sich mit einem sunnitischen Imam aus Homs durchaus angefreundet hat."
    Grenzen der Konfliktarbeit
    Würtz ist nicht naiv, natürlich hat ein solches Begegnungsprojekt seine Grenzen, sagt er, umfassende Versöhnungsarbeit könnten sie hier nicht leisten. Manchmal seien die religiös-politischen Konflikte auch ganz offen zu Tage getreten. Vor allem bei einem Besuch einer schiitischen Moschee in Berlin.
    "Weil da deutlich wurde, dass die Moschee Verbindungen zur Hisbollah hat. Das hat einige betroffen gemacht, weil die gesagt haben: Die haben in Syrien Bekannte von uns angegriffen, getötet. Da war dann schon die Frage, hätten wir die außen vor lassen sollen? Die andere Position war, genau damit müssen wir uns auseinandersetzen. Hier leistet die Moschee Integrationsarbeit, etwas Gutes aufgrund ihrer religiösen Ausgangsbasis. Und andernorts wird das politisch instrumentalisiert, um in einen Bürgerkrieg einzugreifen."
    Abdallah Mohamad wippt mit den Beinen, seine Wangen werden ganz rot, als er beginnt, über den Hisbollah- und Assad-Anhänger in dieser Moschee zu sprechen. Der sunnitische Arzt hat dem Prediger Bilder auf seinem Handy gezeigt. Bilder, die er damals im syrischen Krankenhaus von den Bomben-Opfern gemacht hat.
    "Ich hatte keine Lust, mit ihm darüber zu sprechen. Die ganze Welt weiß, was in Syrien passiert."
    Politik statt Religion
    In der Gruppe selbst stehen mindestens drei Syrer dem Assad-Regime nahe: zwei junge Stipendiaten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes sowie Adel Fatuh. Der 52-Jährige Christ hat bis vor ein paar Jahren in einer Kleinstadt im Nordwesten Syriens als Richter gearbeitet.
    "Ich nehme an diesem Projekt Teil, weil mich die Geschichte der Kirche in Deutschland und in Europa interessiert. Mich interessiert auch, wie bestimmte Gruppen und Minderheiten in der deutschen Gesellschaft klarkommen - und wie die Politik mit ihnen umgeht."
    Über seine eigene Rolle im Assad-Regime will Fatuh nicht reden. Auch warum er und seine Söhne das Land verlassen haben, will der Richter nicht näher erklären.
    Es herrsche halt Krieg in Syrien, deshalb sei er hier. Seine Religion hätte für die Flucht jedenfalls keine Rolle gespielt.
    "Weil der Staat die Sicherheit seiner Bürger nicht mehr gewährleisten konnte, gab es große Probleme - auch für uns Christen."
    Auch hier in der Gruppe führten nicht die unterschiedlichen Religionen der Teilnehmer zu Auseinandersetzungen, sondern eher die politische Ausrichtung. Da sind sich Fatuh und Muhammad einig.
    "Wegen der unterschiedlichen Religionen gibt es hier keine Konflikte oder so."
    Beim vorletzten Treffen, im November, hat Muhammad den Richter auf sein Leben und seine Stellung in Syrien angesprochen. Es sei ein seltsames Gespräch gewesen, sagt er. Und trotzdem habe er in den letzten Monaten so manches mitgenommen für den Wiederaufbau eines freien Syriens, an das Mohammad immer noch glaubt.
    "Wir können viel von Deutschland lernen: In einem freien Syrien brauchen wir eine Amnestie - auch für die Anhänger des Assad-Regimes. Wir können uns ein Beispiel an Deutschland nehmen, wie man hier mit den Anhängern des DDR-Regimes umgegangen ist."