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Konflikt Iran-USA
"Die USA haben alles viel gefährlicher gemacht"

Der schrittweise Rückzug des Iran aus dem Atomabkommen sei falsch, sagte der außenpolitische Sprecher der Linkspartei, Stefan Liebich, im Dlf. Donald Trump fehle aber die Glaubwürdigkeit. Er und seine Unterstützer gingen vor allem aus innenpolitischen Gründen "riesige Risiken" ein.

Stefan Liebich im Gespräch mit Stefan Heinlein |
Die US-amerikanische und die iranische Flagge hängen nebeneinander.
"Das Iran-Nuklearabkommen war ein Lichtblick. Dass das durch die USA aufgekündigt wurde, das war ein Riesenfehler", sagt der Linken-Politiker Stefan Liebich. (imago stock&people)
Stefan Heinlein: Vor exakt einem Jahr, am 8. Mai 2018 kündigte Donald Trump das Atomabkommen mit dem Iran. Zeitgleich verhängte die US-Regierung weitreichende Sanktionen, unter anderem einen vollständigen Öl-Boykott, besonders kritisch für den Iran, der dringend auf die Einnahmen aus dem Energiegeschäft angewiesen ist. In den Folgemonaten versuchten insbesondere die Europäer, das Abkommen doch noch zu retten. Alle Bemühungen jedoch liefen ins Leere. Heute nun verkündete Präsident Rohani den schrittweisen Rückzug des Iran aus allen Verpflichtungen des Abkommens. Er gibt eine letzte Frist von 60 Tagen, doch schon jetzt droht eine gefährliche Eskalation am Golf. Am Telefon begrüße ich jetzt den außenpolitischen Sprecher der Linkspartei, Stefan Liebich. Der Iran will den Atom-Deal retten und nicht zerstören – so heute die Kernbotschaft des iranischen Präsidenten. Wie glaubhaft ist diese Aussage von Rohani?
Stefan Liebich: Das konkrete Handeln beweist erst einmal das Gegenteil. Wenn man etwas retten will, dann beschuldigt man ja nicht die Vertragspartner, die sich an den Vertrag halten, nämlich Russland, China und die Staaten der Europäischen Union, ihn zu brechen, denn das haben wir ja nicht getan. Die anderen Vertragsparteien haben sich daran gehalten, außer die Vereinigten Staaten von Amerika. Das muss man kritisieren, das haben wir auch kritisiert. Aber Iran ist hier nicht der Unschuldsengel.
"Ultimaten waren noch nie geeignete Mittel"
Heinlein: Es ist nun ein Ultimatum des Iran an die Unterzeichnerstaaten. 60 Tage Zeit gibt der iranische Präsident. Wie sollte Berlin, wie sollte Brüssel, wie sollten die anderen Vertragsstaaten nun darauf reagieren?
Liebich: Erst einmal halte ich Ultimaten in der internationalen Politik nie für geeignete Mittel. Ich kann mich auch an wenig Fälle erinnern, wo es danach zu einer einvernehmlichen und guten Lösung gekommen ist. Das was ich jetzt gehört habe ist, dass der Iran mit den verbleibenden Vertragsparteien reden möchte. Das sollte man immer tun und das finde ich jetzt auch nicht schlimm. Zu sagen, der Iran hat hier Diskussionsbedarf, das finde ich legitim, das ist nachvollziehbar, dem sollte man nachkommen. Aber trotzdem finde ich die Entscheidung, die aus Teheran kommen, falsch. Damit wird eine ohnehin gefährliche Entwicklung weiter angeheizt mit bisher nicht absehbaren Konsequenzen.
Der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich von Die Linke.
Der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich von Die Linke (imago / Die Linke)
Heinlein: Sie fordern, Herr Liebich, weitere Diskussionen, weitere Verhandlungen. Nun haben aber gerade die Europäer ja in den vergangenen Monaten mit allen Mitteln versucht, dieses Abkommen doch noch in irgendeiner Form am Leben zu halten. Muss man im Nachhinein sagen, diese Absichten sind jetzt gescheitert? Hat Brüssel, hat Europa in dieser Frage versagt?
Liebich: Die Frage, die ich auch dem Iran und seiner Regierung stellen würde, ist, was sie sich denn eigentlich von Deutschland erwarten, oder von der Europäischen Union, oder von Russland und China. Wie gesagt: Wir haben die Absprachen bisher eingehalten. Natürlich: Man kann schon sagen, dass die Kompensationen durch den Ausstieg der USA durch die EU und die anderen Staaten jetzt nicht erfolgt sind. Aber ich wüsste jetzt auch kein Mittel, wie wir das hinbekommen sollen. Deswegen wäre ich gespannt, was Iran jetzt vorschlägt. Zu sagen, kommt mal und redet, das ist immer gut, aber anzudrohen, dass man dann tatsächlich aus dem Abkommen aussteigt, das kann tatsächlich eine Eskalation nach sich ziehen in der Region, die viele, viele Opfer kosten könnte.
"Schäden durch den Ausstieg der USA so gering wie möglich halten"
Heinlein: Dennoch, noch einmal mit Blick auf Europa, mit Blick auf Deutschland: Hat die EU da die eigene Rolle ein wenig überschätzt? Spielen wir überhaupt eine Rolle in diesem Konflikt? Der abgesagte Besuch von Pompeo zeigt ja das Übrige.
Liebich: Wir haben das hier im Auswärtigen Ausschuss immer sehr realistisch eingeschätzt. Wir wussten, dass der falsche und völkerrechtswidrige Ausstieg der Vereinigten Staaten aus diesem Abkommen dramatische Konsequenzen haben wird und dass es sehr schwer möglich sein wird, genau genommen überhaupt nicht möglich sein wird, das zu kompensieren. Aber was wir auch gesagt haben – und das finde ich auch richtig, da unterstütze ich auch die Bundesregierung: Solange sich der Iran an das Abkommen hält, werden wir es auch tun und alles versuchen, was geht, die Schäden durch den US-Ausstieg so gering wie möglich zu halten. Da weiß ich nicht, wo jetzt der Vorwurf von der iranischen Seite bestehen sollte. Und wie gesagt: Wenn die Iraner ihrerseits aus dem Abkommen aussteigen sollten, dann verdient das jede scharfe und deutliche Kritik.
Heinlein: Der Iran ist kein Unschuldsengel. Das haben Sie in Ihrer ersten Antwort, Herr Liebich, gesagt. Hat Donald Trump Recht, wenn er behauptet, der Iran habe in den vergangenen Monaten permanent das Atomabkommen verletzt?
Liebich: Nein, damit hat Donald Trump nicht recht. Da herrscht ein großer Irrtum vor, denn es gibt Dinge, die der Iran in der Region tut, die absolut kritikwürdig sind. Ich finde, das Agieren im Libanon, bezogen auf die Hisbollah, in Syrien, im Jemen, das verdient alle Kritik. Aber man muss auch sagen, dass alles das nicht Teil des Iran-Nuklearabkommens gewesen ist. Der Deal bestand darin, dass der Iran gesagt hat, wir verzichten darauf, eine Atombombe zu entwickeln, und im Gegenzug hat der Westen gesagt, wir verzichten auf bestimmte, darauf bezogene Sanktionen. Das war der Deal und an diesen Deal hat sich der Iran gehalten. Dass es darüber hinaus viel Kritik am Iran gibt und man da auch über Konsequenzen nachdenken kann – einverstanden! Aber das ist keine Verletzung des Atomabkommens. Ganz aktuell sagen die Vereinigten Staaten, dass sie mit Angriffen des Iran rechnen würden. Da haben wir heute im Auswärtigen Ausschuss erfahren, dass die Bundesregierung dazu keine eigenen Erkenntnisse hat. Ich finde, wenn die USA solche harten Anschuldigungen in den Raum stellen, dann müssen sie die auch belegen. Wir haben zu oft erlebt, dass die US-Regierung mit Lügen Staaten in Kriege geführt hat.
"Erkenntnisse den Verbündeten vorlegen"
Heinlein: Glauben Sie, dass Donald Trump in dieser Sache ebenfalls lügt?
Liebich: Donald Trump zu glauben, ist nun tatsächlich sehr schwierig, wenn man sich seine Quote an Lügen in seiner bisherigen Amtszeit anschaut. Ich weiß es nicht. Aber wenn es Erkenntnisse gibt, dann muss er sie seinen Verbündeten vorlegen. Unsere Bundesregierung hat bisher keine Erkenntnisse vorliegen und deshalb kann ich da keine Glaubwürdigkeit in solchen Aussagen erkennen.
Heinlein: Der Nahost-Experte Michael Lüders hat heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk gewarnt, diese gesamte Entwicklung, diese aktuelle Entwicklung am Golf, das macht ihm Sorge, das könne zum Krieg führen in der Region. Teilen Sie diese Besorgnis?
Liebich: Niemand möchte gerne dramatisieren und die meisten Menschen haben natürlich schon genug Sorgen. Aber eines ist doch wahr: Wenn der Iran tatsächlich den verhängnisvollen Weg geht, eine Nuklearwaffe zu entwickeln, und man seine Rhetorik gegenüber dem Staat Israel berücksichtigt, dann darf man einkalkulieren, dass mit militärischen Mitteln Israel dies zu verhindern versuchen wird und dass dann Verbündete, zum Beispiel die Vereinigten Staaten von Amerika, Israel zur Seite stehen würden. Das wäre ein richtig heißer Krieg in der Region, das fehlt uns gerade noch.
"Die Aufkündigung war ein Riesenfehler"
Heinlein: Wie nah ist denn nach Ihren Erkenntnissen der Iran an der Entwicklung einer Atombombe?
Liebich: Es war gefährlich genug, dass es zu den harten Sanktionen der Weltgemeinschaft gekommen ist. Aber es gab dann auch ein Einfrieren des Prozesses und auch die Zusage von Kontrollen, und das hat ja funktioniert. Die Zeitalter, wo man gegenseitig vertrauensbildende Maßnahmen und Rüstungskontrollen durchgeführt hat, die scheinen ja vorbei zu sein. Aber da war das Iran-Nuklearabkommen ein Lichtblick. Dass das durch die USA aufgekündigt wurde, das war ein Riesenfehler. Wenn man jetzt die Kontrollen verliert, dann wissen wir nicht, was der Iran tut und wie schnell er zur Bombe kommt.
Heinlein: Es droht eine gefährliche Entwicklung in der Region. Sie haben ebenfalls, wenn ich Sie richtig verstanden habe, durchaus Sorge vor einer möglichen militärischen Eskalation. Nun haben die USA ja einen Flugzeugträger und wohl auch ein Bombengeschwader in die Region entsandt. Wie gefährlich sind diese Drohgebärden, oder könnte das umgekehrt auch die Situation beruhigen, indem die USA jetzt am Golf Muskeln zeigen?
Liebich: Nein. Ich glaube, dass hier das Gegenteil der Fall ist. Die Operation maximaler Druck, die von der neuen US-Administration vorangetrieben wird, die hat nichts besser gemacht, sondern alles viel gefährlicher. Und das Schlimme ist: Man darf bei Donald Trump und seinen Unterstützern vermuten, dass es sich vor allen Dingen um innenpolitische Fragen handelt und gar nicht in erster Linie um die Situation in Israel oder in der Region, und das ist das Traurige. Um innenpolitisch Punkte zu machen, werden in anderen Teilen der Welt riesige Risiken eingegangen. Ich halte diese Politik für einen großen, großen Fehler.
Heinlein: Wie könnte denn Donald Trump mit einem Krieg, mit einer militärischen Auseinandersetzung am Golf innenpolitisch Punkte sammeln?
Liebich: Das ist interessant, denn er selber hat ja eher damit Wahlkampf gemacht, dass er gesagt hat, die USA sind in viel zu viele Kriege verstrickt, hat aber gleichzeitig gesagt, man muss den Druck auf den Iran erhöhen. Da kann er ungewollt in eine Situation hinein geraten, wo ein Funke genügt und der Krieg da ist, und da hätte er sich dann mit seiner Politik ordentlich verkalkuliert. Ich glaube, sein innerer Wunsch, hier etwas, was er für einen Fehler von Obama gehalten hat, zu korrigieren, bringt ihn in eine Situation, dass er vielleicht einen Krieg riskiert, ohne ihn tatsächlich haben zu wollen. Das mag bei anderen in der US-Administration ganz anders sein. Da gibt es durchaus Leute, die sagen, dass ein Militäreinsatz gegen den Iran sinnvoll ist. Ich glaube, Donald Trump selber meinte das schon ganz ernst mit der Kriegsmüdigkeit in der US-amerikanischen Bevölkerung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.