Donnerstag, 28. März 2024

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Tschechische Traditionsunternehmen (4/5)
Plattenspieler ohne Grenzen

Lastwagen voller neuer Plattenspieler aus tschechischer Fertigung kommen jede Woche bei Jozefina und Heinz Lichtenegger in Österreich an. Highend-Geräte von einer Perfektion, wie sie nur Tschechen bauen können - davon ist das Unternehmerpaar überzeugt. Die beiden verkaufen sie in 80 Länder weltweit.

Von Kilian Kirchgeßner | 29.03.2018
    Musikliebhaberin und Unternehmerin Jozefina Lichtenegger mit einem Hightech-Plattenspieler aus tschechischer Fertigung
    Musikliebhaberin und Unternehmerin Jozefina Lichtenegger mit einem Hightech-Plattenspieler aus tschechischer Fertigung (Deutschlandradio/ Kilian Kirchgeßner)
    Die Musik klingt bis auf den Parkplatz, sie tönt aus großen Lautsprechern. Ein Designerhaus in einem österreichischen Industriegebiet, schwarz glänzt die metallische Fassade. Der Eingang führt durch einen langen Tunnel, in dem Jozefina Lichtenegger wartet. Zur Begrüßung lacht sie strahlend:
    "Da wird schon am Parkplatz Musik gespielt. Sie steigen aus dem Auto aus, kommen von der hässlichen Welt da draußen, sie gehen durch einen schwarzen Schlauch, schon begleitet von Musik. Sie kommen da rein, da gibt’s viel Sonne, viel Licht und das ist die Musik."
    Jozefina Lichtenegger gilt als eine der einflussreichsten Frauen im Geschäft mit Highend-Plattenspielern und -Verstärkern. Die Slowakin leitet zusammen mit ihrem österreichischen Mann die beiden Firmen European Audio Team und pro-ject – in der Branche bekannte Namen. In Tschechien haben sie Traditionsfirmen gerettet, die jetzt für sie die Plattenspieler herstellen; verkauft werden sie in über 80 Ländern.
    Karrierestart im Prager Röhrenwerk
    Jozefina Lichtenegger ist Ende 30, die langen Haare dunkelblond. Sie hat ein Faible für elegante Kleider, für Kreationen aus farbigen Stoffen. Mit der Hi-Fi-Branche kam sie gleich nach dem Abitur zum ersten Mal in Kontakt. Eine reine Männerdomäne sei das Feld damals gewesen, erinnert sie sich:
    "Ich habe angefangen, als ich 19 Jahre alt war. Ich war noch auf der Uni und habe meinem Schwager ein bisschen geholfen, er hatte ein Röhrenwerk in Prag."
    Gläserne Röhren sind bis heute ein wichtiges Bauteil für teure Verstärker, und gerade die Röhren aus Tschechien stehen weltweit hoch im Kurs.
    "Mein Schwager hat die Firma nicht weiterbetrieben und ich hatte plötzlich Anfragen aus aller Welt, ob ich nicht jemanden kenne in Tschechien, der die Röhren weiterproduzieren kann."
    Also stieg sie ein in das Geschäft und baute ihre eigene Marke auf. Bald darauf lernte sie ihren Mann kennen – der hatte ein ähnliches Geschäftsmodell. Jozefina Lichtenegger springt aus ihrem Bürostuhl auf, um ihren Mann zu suchen – diesen Teil der Geschichte soll er lieber selbst erzählen.
    Robuste Plattenspieler seit den 1970ern
    Heinz Lichtenegger steht auf dem Flur, um sich herum eine Besuchergruppe geschart, die er gerade verabschiedet. Heinz Lichtenegger ist ein charismatischer Erzähler; ein guter Verkäufer, sagt er und lacht. Kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erfuhr er von der einstigen Elektrofabrik Tesla im tschechischen Litovel, die seit den 1970er-Jahren Plattenspieler gebaut hatte und jetzt vor der Abwicklung stand. Er nahm 100 Stück mit, verkaufte sie in kürzester Zeit an österreichische Musikliebhaber und bestellte die nächste Ladung. Wenn er sich heute an den ersten Plattenspieler erinnert, fällt ihm die Parallele zum russischen Autohersteller Lada ein:
    "Der NC500 war ein manueller Plattenspieler, der robust – da ist Lada der richtige Vergleich – gemacht war. Mein Problem war, den "Lada" optisch so hinzubringen, dass er vom Konsumenten auch angenommen wird. Schwarz ist eine schwierige Farbe. Der NC500 war grünlich, die Oberfläche war orange, der hat ausgesehen wie ein Panzer. Und das war unverkäuflich!"
    Heinz Lichtenegger begann ein groß angelegtes Rettungsmanöver für die tschechische Fabrik. Er verfeinerte die Plattenspieler, er änderte das Design und baute das alles auf der soliden Technik der Tschechen auf. Heute beschäftigt die Firma fast 500 Mitarbeiter, die ausschließlich für die Lichteneggers arbeiten – rechtlich gehört ihnen die Fabrik aber nicht.
    "Ich bin grundsätzlich der Meinung: Jeder soll das machen, was er am besten kann. Und was die Tschechien wirklich gut gekonnt haben: Sie haben wirklich gut Massenfertigung machen können, besser als alle anderen. Gerade in Hi-Fi! Man denke nur an die englischen Hi-Fi-Firmen aus den 80ern, die haben alle nicht funktioniert. Aber die Tschechen haben fertigen können! Das habe ich erkannt."
    Die Firma SEV Litovel fertigt High-End-Plattenspieler, die von der österreichischen Firma Re-Project weltweit vertrieben werden
    Die Firma SEV Litovel fertigt High-End-Plattenspieler, die von der österreichischen Firma Re-Project weltweit vertrieben werden (AFP/ CTK/ Ludek Perina)
    Legende unter Audiophilen
    Die tschechischen Plattenspieler mit dem österreichischen Label sind unter Audiophilen längst eine Legende geworden. In 80 Länder liefern die Lichteneggers heute, jede Woche kommen große Lastwagen voller neuer Geräte aus dem tschechischen Werk in Österreich an. Aber die Landesgrenzen, sagt Jozefina Lichtenegger, spielten ohnehin keine Rolle mehr:
    "Ich sage das nicht gern: Das ist eine tschechische oder slowakische oder österreichische Firma. Das ist für uns nicht mehr wichtig. Das ist eine Geschichte von gestern."
    Die tschechische Fabrik ist gerettet, darauf kommt es an – und Plattenfans aus aller Welt kriegen auch im 21. Jahrhundert Plattenspieler von einer Perfektion, wie sie nur die Tschechen bauen können, sagen jedenfalls die Lichteneggers. Jozefina geht wieder voran, die Studios will sie noch zeigen.
    Sie öffnet die Tür zu einem Raum, der so groß ist wie ein privater Kinosaal. Zwei Sessel stehen darin, vorne zwei riesige Lautsprecher, an der Wand hängen Regale mit aberhundert Schallplatten:
    "Wir haben eine große private Sammlung von Platten, zu 90 Prozent klassische Musik. Wir schätzen 28.000. Mein Favorit ist Anton Bruckner. Mein Mann und ich haben uns gleichzeitig in Bruckner verliebt und können uns nicht entscheiden: Ist es die erste Symphonie? Oder die Achte oder Neunte oder Vierte? Es ist egal, welche wir hören – wir sind begeistert. Es ist so herrlich. Anton Bruckner!"
    Sie geht zum Plattenspieler, zieht eine Bruckner-Platte aus der Hülle, ganz vorsichtig mit den Fingerspitzen. Und dann schließt sie die Augen, aus den Lautsprechern klingen die ersten Takte. Ein österreichischer Komponist, ein tschechischer Plattenspieler und eine slowakische Musikliebhaberin – hier, in den tiefen Designersesseln, ergibt das eine perfekte Harmonie.