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Türkei
Lira statt Dollar: Erdogans Währungskampf

Jahrelang hieß es, der Aufstieg von Recep Tayyip Erdogan hänge vor allem mit dem Wirtschaftsaufschwung zusammen, den der türkische Staatspräsident und die AKP ermöglicht hätten. Nun aber hat die türkische Lira in nur einem Jahr mehr als 20 Prozent an Wert verloren. Erdogan sieht eine Verschwörung gegen sein Land im Gange und ruft zum Geldwechsel auf.

Von Luise Sammann | 18.01.2017
    Ein Angestellter in einer Wechselstube zählt türkische Lira-Scheine. Die Währung ist im Juni 2015 um mehr als sechs Prozent gefallen. AFP PHOTO / OZAN KOSE / AFP PHOTO / OZAN KOSE
    Zur Rettung der heimischen Lira sollen die Türken Dollar und Euro umtauschen, fordert Staatspräsident Erdogan. (AFP)
    Tolga Kücüks Gesicht verzieht sich zu einem zufriedenen Lächeln, wenn er in seinem kleinen Laden im Zentrum Istanbuls steht und mit geschlossenen Augen zu spielen beginnt.
    Doch das Lächeln verschwindet schnell, wenn der Geigenhändler die Augen wieder öffnet, den Blick über die vielen unverkauften Instrumente im Laden schweifen lässt. So schlecht wie momentan lief Kücüks Geschäft seit Jahren nicht.
    "Wir verkaufen ausschließlich Importware hier, zahlen also selbst in Euro oder Dollar. Der schlechte Wechselkurs bedeutet nun, dass ein Hundert Lira-Produkt jetzt plötzlich 130 oder 140 kostet. Das schreckt die Kunden ab! Außerdem sind die Leute insgesamt besorgt wegen der Situation, sie wollen kein Geld ausgeben. Anschaffungen, die nicht lebensnotwendig sind, verschieben sie auf später."
    Der Geigenhändler seufzt. Er weiß: Allein ist er mit seinem Problem in der Türkei momentan nicht. Autohäuser, Elektronikgeschäfte oder Weinhändler – die importierenden Branchen haben den Verfall der türkischen Lira als Erstes zu spüren bekommen. Aber auch da, wo Euro und Dollar weniger wichtig sind, laufen die Geschäfte inzwischen schlecht.
    "Wenn die Leute kein Geld in der Tasche haben, dann sparen sie sogar am nötigsten. Sie verlangen zum Beispiel nach einem halben Kilo Tomaten anstatt wie früher gleich zwei oder drei zu kaufen", klagt ein kurdischer Händler auf einem Wochenmarkt im asiatischen Teil Istanbuls.
    Die Leute halten ihr Geld zusammen und warten
    Das Gespenst von der nahenden Krise lauert selbst hier, wo die Hausfrauen noch kritischer als sonst Preisschilder und Waren prüfen. Und selbst das Dröhnen der unzähligen Baustellen, das seit einigen Jahren zu Istanbul gehört wie das Kreischen der Möwen, scheint leiser geworden zu sein. Der Bausektor – neben dem schon lange am Boden liegenden Tourismus zweites großes Standbein der türkischen Wirtschaft – stagniert nicht mehr, er schrumpft.
    "Wir sitzen eigentlich nur noch hier herum…," sagt Halil Altentas, dessen Maklerbüro im zentralen Kadiköy auf luxuriöse Eigentumswohnungen in Neubauten spezialisiert ist. Überall stehen frisch gebaute Wohnungen zum Verkauf, sagt er. Aber keiner interessiert sich mehr dafür. Die Leute halten ihr Geld zusammen und warten.
    Genau das aber sollen sie nicht tun, fordert Recep Tayyip Erdogan. Der Präsident wittert hinter dem Verfall der türkischen Lira eine groß angelegte Verschwörung gegen sein Land.
    "Es gibt keinen Unterschied zwischen einem Terroristen mit einer Waffe und einer Bombe und einem Terroristen, der den Dollar, den Euro oder und die Zinsraten für seinen Zweck einsetzt", verkündete er vergangene Woche in Ankara.
    "Ihr Ziel ist es in beiden Fällen, die Türkei in die Knie zu zwingen. Und den Wechselkurs benutzen sie als Waffe."
    Gegner Erdogans kaufen Euro und Dollar als Zeichen des Widerstands
    Um sich zu verteidigen, rief der Präsident nun zum nationalen Währungskampf auf: Die Türken müssten ihre Dollar- und Euro-Ersparnisse unterm Kopfkissen hervorholen und in Lira umtauschen um die heimische Währung zu retten.
    Tatsächlich sprach das regierungsnahe Fernsehen schon am nächsten Tag von einem Ansturm wohlhabender Türken auf Banken und Wechselstuben, die ihrer Bürgerpflicht nachgekommen und Lira gekauft haben sollen. Die Reaktion ihrer weniger Erdogan-begeisterten Landsleute wurde nicht erwähnt:
    "Einige Erdogan-Anhänger kommen tatsächlich und wechseln ihr ausländisches Geld ein", sagt Selvi, Inhaber einer Wechselstube in Bosporusnähe. "Aber seine Gegner machen genau das Gegenteil. Sie kaufen jetzt erst recht Euro oder Dollar – als Zeichen des Widerstands und natürlich aus Misstrauen gegenüber der türkischen Lira."
    So oder so: Gegen die Krise der türkischen Tourismusbranche, die vor Terror und Instabilität fliehenden ausländischen Investoren und die veränderte Zinspolitik der USA, die auch anderen Schwellenländern zu schaffen macht, wird der so genannte Währungskampf der Erdogan-Anhänger kaum ankommen. Das dürfte auch der Präsident wissen. Kurzfristig könnten seine Appelle an das türkische Nationalgefühl dennoch ihren Zweck erfüllen: In gut zwei Monaten soll sein Volk über die Verfassungsreform abstimmen, die ihn zum fast allmächtigen Präsidenten küren könnte. Bis dahin zählt jeder Tag – und jede Lira.