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Türkische Wirtschaft
"Das Tagesgeschäft ist nicht beeinträchtigt"

Der Putschversuch führe zwar nicht dazu, dass weitere Urlauber ins Land kämen, sagte der Chef der deutsch-türkischen Handelskammer in Istanbul, Jan Nöther, im DLF. Von einer Wirtschaftskrise wollte er jedoch nicht sprechen, eher von einer "Eintrübung eines durchaus positiven Wirtschaftsklimas". Binnenkonsum und Infrastrukturprojekte seien die Treiber der türkischen Wirtschaft.

Jan Nöther im Gespräch mit Ursula Mense | 18.07.2016
    Ursula Mense: An erster Stelle heute aber blicken wir in die Türkei, denn der Putschversuch dort hat erwartungsgemäß Auswirkungen auf die türkische Wirtschaft. Nicht nur der Tourismus ist betroffen, der schon unter den vorausgegangenen Anschlagsserien leidet. Die abgestürzte türkische Währung Lira treibt die Inflation voran und Investoren überdenken ihr Engagement in der Türkei.
    Ich hatte Gelegenheit, den heute sehr gefragten Chef der deutsch-türkischen Handelskammer in Istanbul, Jan Nöther, ans Telefon zu bekommen, der mit Unternehmern gesprochen hat, und ich habe ihn gefragt, wie die Stimmung ist im Land und bei den Firmen.
    Jan Nöther: Dieser Putschversuch trägt dazu bei, dass eine bereits vorhandene Verunsicherung der Unternehmen deutlich zunimmt und man mit Investitionsvorhaben gegenwärtig doch eher zurückhaltend umgeht.
    Mense: Kommen wir mal auf die einzelnen Branchen zu sprechen, Herr Nöther. Es ist ja vor allen Dingen der Tourismus, der betroffen ist. Und in Anbetracht dessen, dass es ja bereits eine Flaute gibt, was bedeutet denn dieser Putschversuch jetzt für den Tourismus? Worauf stellt man sich denn da ein?
    "Die Verunsicherung ist ja unbedingt da"
    Nöther: Das ist tragisch. Der Putschversuch führt natürlich nicht dazu, dass weitere Urlauber ins Land kommen. Gegenwärtig halten sich etwa 200.000 deutsche Urlauber in der Türkei auf. Die Abreisen, die Ausreisen, die wir im Nachgang des Putschversuches erkannt haben, halten sich in Grenzen. Aber Neubuchungen werden sehr stark darunter leiden, weil die Verunsicherung ja unbedingt da ist. Zwar sind jetzt die Urlaubsgebiete direkt gänzlich nicht betroffen, aber nichts desto trotz schlägt das natürlich große Wellen, und wenn die Wächter der Demokratie nachts durch die Straßen ziehen, dann machen die natürlich auch vor den Urlaubsgebieten nicht Halt.
    Mense: Fraport betreibt den Flughafen in Antalya. Was befürchtet man denn da?
    Nöther: Fraport hat natürlich auch mit dem Embargo von der russischen Seite her zu kämpfen. Die russischen Urlauber waren die stärkste Anzahl der Reisenden nach Antalya hinein. Das hat sehr stark zurückgenommen und das beeinträchtigt natürlich auch sehr stark das Geschäft von Fraport im Land. Wenn jetzt weitere Rückgänge zu verzeichnen sind - wir verzeichneten im Mai etwa 40 Prozent Rückgänge der Gesamtbesucherzahl in Antalya -, wenn weitere Rückgänge zu verzeichnen sind, dann wirkt sich das auf Fraport, aber auch auf die gesamte Tourismusbranche sehr, sehr negativ aus.
    Mense: Gibt es denn noch andere Branchen, die unmittelbar betroffen sind?
    Nöther: Unmittelbar betroffen sind da sicherlich Branchen, die in einem Bereich der Service-Industrie zu sehen sind. Aber grundsätzlich muss man sagen, ist das geschäftliche Gebaren nach diesem Putschversuch wieder von einer einigermaßen Normalität geprägt. Die Stimmen, die wir aus der Wirtschaft vernehmen, sprechen jetzt nicht dafür, dass das Tagesgeschäft beeinträchtigt ist, aber sie sprechen von einer doch etwas größeren Verunsicherung hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung.
    "Ein sehr festes Fundament der deutschen Industrie in der Türkei"
    Mense: Wie sieht das denn aus bei deutschen Unternehmen? Gibt es da bereits welche, die sich zurückziehen wollen?
    Nöther: Da haben wir keine Kenntnis, dass Unternehmen sich aufgrund der aktuellen Ereignisse zurückziehen wollen. Wir haben grundsätzlich ein sehr festes Fundament der deutschen Industrie in der Türkei. Die Beziehungen zu den türkischen Unternehmen sind über viele Jahrzehnte gewachsen. Wir gehen nicht davon aus, dass jetzt die aktuellen Ereignisse zu Unternehmensschließungen führen sollten. Allerdings da wird die nähere Zukunft zeigen, wie Unternehmen darauf reagieren.
    Mense: Wenn wir jetzt mal die gesamte wirtschaftliche Lage in den Blick nehmen. Die Türkei gibt ja immer noch mehr Geld aus für Einfuhren als für Ausfuhren. Wird die türkische Wettbewerbsfähigkeit jetzt vielleicht noch schlechter werden?
    Nöther: Die türkische Lira erfuhr direkt nach dem versuchten Putsch eine sehr starke Abwertung. Das waren über Nacht fünf Prozent. Die türkische Lira hat sich allerdings daraufhin wieder sehr stark erholt. Wir gehen allerdings davon aus, dass die Nachwirkungen dieses Putschversuches tendenziell zu einer weiteren Abwertung der türkischen Lira führen können, und das hat für ein Land, welches von Importen stark abhängig ist, natürlich Konsequenzen. Die Importe, die dann doch sehr teuer eingekauft werden müssen, können daraufhin auch nachteilige Entwicklungen für die Landwirtschaft der Türkei herbeiführen.
    Demographische Entwicklung verheiße positive wirtschaftliche Entwicklung
    Mense: Ein weiter abnehmendes Wirtschaftswachstum könnte natürlich es auch schwieriger machen, die hohen Auslandsschulden zu begleichen. Heißt das, die Türkei könnte langfristig mehr Geld brauchen?
    Nöther: Die Türkei erfüllt die Maastricht-Kriterien und die Auslandsverschuldung ist eigentlich im Verhältnis zur Wirtschaftskraft und zum Wirtschaftswachstum Stand heute vertretbar. Natürlich muss die Türkei bestrebt sein, die Exporttätigkeit zu forcieren. Eine schwächere türkische Lira könnte hier unterstützend wirken. Aber die Exportindustrie leidet natürlich auch so etwas unter dem Thema der nachgebenden Investitionen in das Land hinein.
    Insofern ja, wir könnten davon ausgehen, dass die Fiskalpolitik der Türkei hier weitere unterstützende Maßnahmen in Richtung der Wirtschaft ergreifen muss, um diese Wirtschaft weiter zu stärken. Der Treiber der türkischen Wirtschaft des ersten Quartals diesen Jahres, das war der Binnenkonsum und das waren auch die Infrastrukturprojekte, die sicherlich eine Fortsetzung erfahren werden, wie auch der Binnenkonsum aufgrund der demographischen Entwicklung des Landes. Insofern würde ich nicht von einer Wirtschaftskrise sprechen, eher von einer Eintrübung eines durchaus positiven Wirtschaftsklimas.
    Mense: Der Chef der deutsch-türkischen Handelskammer in Istanbul, Jan Nöther, über die Auswirkungen des Putschversuchs in der Türkei auf die Wirtschaft.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.