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Ukraine
Die OSZE als Kriseninstrument reaktivieren

Die Suche nach einer diplomatischen Lösung zwischen Russland und der Ukraine findet auf vielen Ebenen statt. Auch die OSZE hatte zu einem Sondertreffen geladen, doch die russische Delegation erschien einfach nicht. Wieder einmal stellt sich die Frage, ob die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ein zahnloser Tiger ist?

Von Ingo Lierheimer | 09.04.2014
    Der ukrainische Außenminister Andrij Deschtschyzja bei der OSZE am 20. März 2014
    Der ukrainische Außenminister Andrij Deschtschyzja bei der OSZE am 20. März 2014 (dpa / )
    Am Montag dieser Woche hatte der Ständige Rat der OSZE zu einem Sondertreffen geladen wegen der russischen Truppenbewegungen an der ukrainischen Grenze. Doch auch wenn sich die Organisation mit Nachdruck der Krise auf der Krim und in der Ukraine annimmt, sie bleibt ein zahnloser Tiger. Das wurde ihr in diesem Fall von Russland auf die unangenehmste Weise klargemacht: Putins Delegation erschien zu dem Treffen einfach nicht. Begründung: Der Anlass sei zu gering.
    Dieser Vorgang bestätigt Hans-Dietrich Genscher. Er ist gewissermaßen der Großvater der OSZE. Als Außenminister hatte er großen Anteil, dass 1975 die Vorläuferorganisation KSZE geboren wurde. Mitten im Kalten Krieg trug sie tatsächlich dazu bei, den Ost-West-Konflikt abzubauen. Sie war ein Dialogforum, das es bis dahin nicht gab. Doch nach dem Ende der Blockkonfrontation wurden die Zeiten für die OSZE schwieriger, weshalb Genscher im Jahr 2000 appellierte:
    "Letztlich stehen die Mitgliedsstaaten auch vor der Frage, ob sie bereit sind, eine Repolitisierung der OSZE vorzunehmen."
    Diese Frage, also ob die Staaten auch bereit sind, sich in Konflikte einzumischen, wurde vor Genschers Rede diskutiert und sie wird es heute noch genauso. Im Umkehrschluss heißt das: Passiert ist nichts.
    Deutschland hat die Hoffnung nicht aufgegeben, drängt nach wie vor auf eine Reform am besten bis zum Jubiläumsjahr 2015. Der deutsche Botschafter bei der OSZE, Rüdiger Lüdeking, sagt:
    "Was wir erreichen wollen, ist eine Neuaufstellung der OSZE, dass sie auch in Zukunft ihrer Rolle für die Europäische Sicherheit gerecht werden kann."Organisation besitzt keinerlei Druckmittel
    Dabei könnte helfen, ein Prinzip über Bord zu werfen, das die OSZE oft gelähmt hat: Die Einstimmigkeit. Wehrt sich nur eines ihrer 57 Mitglieder gegen ein Vorhaben, ist es hinfällig. In der Ukraine-Krise wurde dies deutlich, als sich Russland lange grundsätzlich gegen eine Beobachtermission in der Ukraine ausgesprochen hatte und jetzt die Städte und Regionen klar definiert hat, wo die OSZE-Beobachter hin dürfen. Die Krim ist nicht dabei. Der OSZE-Generalsekretär Lamberto Zannier reagiert kurz angebunden auf die Frage, ob die bis zu 500 Beobachter seiner Organisation trotzdem auf die annektierte Halbinsel vorstoßen werden:
    Wir werden es versuchen und schauen, was passiert. Man hört ihm an, dass er die russische Reaktion kennt.
    Was bleibt, ist eine dünne Pressemitteilung, in der der Generalsekretär angesichts der Unruhen im Osten der Ukraine alle Seiten zu einem so wörtlich friedvollen Dialog aufruft. Trotz dieser greifbaren Hilflosigkeit: Der italienische Diplomat Zannier beharrt darauf, dass die OSZE am Prinzip der Einstimmigkeit festhalten sollte. Die alternativ immer wieder diskutierte Regel "Einstimmigkeit minus eins", lehnt er ab:
    "Klar, es gab in der Vergangenheit diesbezügliche Überlegungen, aber de facto glaube ich, dass die OSZE gerade durch den Zwang zum Konsens stark ist und hieraus ihre Legitimation bezieht."
    Was aber auch bedeutet, dass die Organisation keinerlei Druckmittel besitzt. Beispiel Transnistrien. In dem von der Republik Moldau abgespaltenen Landstreifen sind russische Soldaten als Friedenstruppe stationiert, die Mehrheit der Bevölkerung ist russischsprachig und will zu Moskau gehören. Die OSZE ist vor Ort, zur Konfliktprävention. Erfolglos, wie der rumänische Präsident Traian Basescu beklagt:
    Die Verhandlungen wurden verschleppt und haben das erzeugt, was eigentlich hätte vermieden werden sollen: Staatliche Strukturen in einer autonomen Zone, die sich von Moldau abgetrennt hat, entgegen der Verfassung des Landes. Und die Separatisten wurden ermutigt. 20
    Als Wahlbeobachter und Organisation, die demokratische Institutionen aufbauen hilft, Menschenrechte fördert, ist die OSZE weithin anerkannt. Für die Bekämpfung von akuten Krisen hingegen fehlt ihr die Ausstattung und damit ist nicht der Haushalt von rund 150 Millionen Euro im Jahr gemeint. Ohne Reformen könnte die OSZE im Krim-Konflikt eine kurze Renaissance erlebt haben.