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Umgang mit Corona-Pandemie
Schwedens Gesundheitsbehörde setzt Kurs weitgehend fort

Während in vielen Ländern die Corona-Restriktionen verschärft werden, geht Schweden in der Pandemie weiterhin einen Sonderweg. Statt auf strenge Restriktionen setzt die Regierung auf Eigenverantwortung der Bürger. Ein deutscher Virologe warnt vor "Überheblichkeit" gegenüber dem schwedischen Weg.

Von Christine Westerhaus |
Der Chefepidemiologe Anders Tegnell von der schwedischen Gesundheitsbehörde spricht während einer Pressekonferenz am 9. Juni 2020 in Stockholm über die aktuelle Covid-19 Situation
Der Chefepidemiologe Anders Tegnell von der schwedischen Gesundheitsbehörde spricht während einer Pressekonferenz am 9. Juni 2020 in Stockholm über die aktuelle Covid-19 Situation (www.imago-images.de)
Fast 6.000 Todesfälle bei einer Bevölkerung von etwa zehn Millionen Menschen. Das ist die traurige bisherige Bilanz der Corona-Pandemie in Schweden. Bezogen auf die Einwohnerzahl in Deutschland wären das fast 49.000 Fälle. Vor allem alte und kranke Menschen fielen COVID-19 zum Opfer. Und mehr als die Hälfte der Todesfälle unter der älteren Bevölkerung trat in Alten- und Pflegeheimen auf.
Vielleicht hätte ein sehr früher Lockdown verhindern können, dass so viele Menschen gestorben sind, sagt Jan Albert vom Karolinska Institut in Stockholm. Doch als andere Länder Ende März das öffentliche Leben weitgehend lahmlegten, hatte die Infektionswelle Schweden schon fest im Griff, so der Professor für Infektionskontrolle und Virologie.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
"Wenn wir Anfang April einen Lockdown gehabt hätten, bin ich mir nicht sicher, ob es einen großen Unterschied gemacht hätte. Anfang März wäre es vielleicht sinnvoll gewesen, um Zeit zu gewinnen und sich besser vorzubereiten. Doch vieles spricht dafür, dass sich das Virus schon sehr früh in der schwedischen Bevölkerung ausgebreitet hat. Früher, als in vielen anderen Ländern, sodass wir vermutlich in einer ähnlichen Situation waren wie in Belgien oder Spanien, wo es sehr schwierig war, die Infektionszahlen und damit auch die Anzahl der Todesfälle niedrig zu halten."
Die Pandemie traf Schweden weitgehend unvorbereitet. Es fehlte an Testkits für das neuartige Corona-Virus. Auch Schutzausrüstungen waren Mangelware und wurden vorrangig an Krankenhäuser verteilt. Getestet wurden vorrangig Menschen, die mit schweren Symptomen ins Krankenhaus kamen.
Schwedisches Einkaufszentrum
Keine Maskenpflicht - Besucher eines Einkaufszentrums in Schweden (MAXPPP)
Doch sobald es gelang, das Virus aus Alten- und Pflegeheimen fernzuhalten – unter anderem durch ein Ende März verhängtes Besuchsverbot -, gab es kaum noch Todesfälle. Während im April täglich noch um die hundert Menschen im Zusammenhang mit einer Sars-CoV-2 Infektion starben, gab es seit Mitte Juli durchweg deutlich weniger als zehn Opfer pro Tag.
Schwedische Wissenschaftler kritisieren Krisenmanagement
"Unser Gesundheitssystem ist trotz allem nicht zusammengebrochen. Viele der Menschen, die verstorben sind, waren sehr gebrechlich. Und selbst mit modernsten Behandlungsmethoden ist es schwer, solche Todesfälle zu verhindern. Denn alte Menschen mit vielen Vorerkrankungen, vertragen oftmals keine intensivmedizinische Behandlung. Deshalb sind die hohen Todeszahlen am Anfang auch eine Folge davon, dass sich das Virus schon sehr früh in der Bevölkerung ausgebreitet hat."
Eine Reihe von Wissenschaftlern sehen das anders und geben der Regierung und dem umstrittenen Chef-Epidemiologen Anders Tegnell schlechte Noten für ihr Krisenmanagement. Eine Gruppe namens "Die 22" forderte bereits im April, strengere Infektionsschutzmaßnahmen. Die Schulen und Geschäfte einfach offen zu lassen sei unverantwortlich, so die Experten, der Preis für die laxe Reaktion auf die Pandemie zu hoch.
Mehrere Kinder spielen auf einem Spieplatz in Schweden zusammen mit einem Ball
Sportunterricht einer Schule in Schweden - trotz steigender Infektions- und Opferzahlen hat die Regierung das öffentliche Leben kaum eingeschränkt. (imago images / Orre Pontus)
Doch die schwedische Regierung blieb bei ihrer Strategie. Eine Empfehlung, im öffentlichen Raum eine Mund-Nasenschutzmaske zu tragen, gibt es bis heute nicht. Die Europäische Seuchenschutzbehörde ECDC stellte zwar bereits im April fest: Alltagsmasken könnten die Ansteckungsgefahr senken.
Doch die schwedische Gesundheitsbehörde hielt die Evidenz, dass Alltagsmasken die Ansteckungsgefahr senken, für nicht überzeugend. Auch deshalb ist Schwedens Sonderweg insbesondere im Ausland auf Kritik gestoßen.
"Ja, es gab viel Kritik, aber jetzt hat sich das Blatt etwas gewendet, seitdem klar ist, dass wir trotz einer offeneren Gesellschaft niedrige Todeszahlen haben. Ich denke, man sollte also abwarten mit einem Urteil darüber, wer nun die bessere oder schlechtere Strategie hatte. Zumindest so lange, bis wir alle direkten und indirekten Effekte der Pandemie auf die Gesundheit der Menschen ausgewertet haben. Nicht nur die Krankheits- und Todesfälle, sondern auch zum Beispiel die Folgen für ältere Menschen oder Kinder, die nicht zur Schule gehen konnten."
Virologe: "Intellektuelle Überheblichkeit" gegenüber schwedischem Weg
Das sieht der Virologe Professor Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg ähnlich. Die Vorverurteilung des schwedischen "Sonderwegs" hält er für unangemessen: "Das ist eine gewisse Überheblichkeit, auch eine intellektuelle Überheblichkeit gerade gegenüber anderen Ländern, die ich überhaupt nicht teile. In Schweden sind ja keine Idioten am Werk. Auch dort gibt es und gab es eine Diskussion über den richtigen Weg und natürlich sind wie in jedem Land auch Probleme aufgetreten, die auch diskutiert wurden. Das ist natürlich in einer Pandemie, wo es keine Blaupause gibt und insofern kann ich diese Kritik in dieser Schärfe überhaupt nicht nachvollziehen. Hier von Deutschland aus mit dem erhobenen Zeigefinger – das halte ich für absolut falsch."
Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit 
Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit ist Leiter des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin in Hamburg (Imago)
Seit Kurzem sind ältere Menschen in Schweden nicht mehr aufgefordert, sich zu isolieren. Ein Bericht habe gezeigt, dass sich die Isolation bei vielen Älteren negativ auf die psychische Gesundheit ausgewirkt habe. Ansonsten setzt die schwedische Gesundheitsbehörde ihren Kurs weitgehend so fort wie bisher. Sie fordert die schwedische Bevölkerung unter anderen dazu auf, Abstand einzuhalten, im Homeoffice zu arbeiten und auf unnötige Reisen zu verzichten. Gebote, die die Menschen schon seit Ende März verinnerlicht haben. Und die auf lange Sicht womöglich besser durchzuhalten sind, als drastischere Einschränkungen des öffentlichen Lebens.
"Das wurde auch schon oft gesagt: Das ist kein Sprint, sondern ein Marathonlauf. Und wir sehen ja, was letztendlich alleinige Verbote bewirken können. Dass eben bestimmte Sachen in der Illegalität stattfinden, so wie wir das in Deutschland sehen. Damit ist keinem geholfen, dort sind die Infektionsketten schwerer nachzuvollziehen. Also ich denke, es muss ein Ausgleich stattfinden zwischen klaren Verboten, da bin ich auch dafür, aber auf der anderen Seite bin ich da ganz bei Schweden: Man muss auch Angebote machen. Und man kommt auch eben nicht nur mit Verboten durch eine Pandemie, die mehrere Monate, vielleicht einige Jahre dauert, insofern denke ich, dass der schwedische Weg durchaus realistisch ist. Und wir werden es eben am Ende sehen, ob er auch aus schwedischer Sicht erfolgreich war."