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Schulunterricht in Schweden
Vor- und Nachteile des Distanzunterrichts werden deutlich

Kinder bis zur 9. Klasse gehen in Schweden trotz Corona in die Schule. Für die Oberstufe findet der Unterricht seit März nur im Internet statt - in Echtzeit mit normalem Stundenplan. Forscher in Stockholm wollen nun untersuchen, wie Schüler in verschiedenen Ländern mit dem Digitalunterricht klarkommen.

Von Christine Westerhaus | 11.05.2020
Ein Schüler lernt während des Unterrichts im Fach Geschichte am Alten Gymnasium Oldenburg (AGO) mit einem iPad; Symbolbild Digitales Lernen
Digitale Schule (dpa/Hauke-Christian Dittrich)
"Välkommen allihoppa..."
Die Gymnasiallehrerin Kristina begrüßt ihre Schüler zum Biologieunterricht. Heute geht es um Genetik. Per Mail haben die Schüler und Schülerinnen der 10. Klasse einen Link bekommen, über den sie sich in das Programm "Google classroom" einwählen können. Kristina notiert die Anwesenheit und erklärt den Schülern auf dem Bildschirm, was sie in der folgenden Stunde durchnehmen möchte.
"Und dann ist es so, für jede Woche haben wir einen eigenen 'Pärm', seitdem wir Distanzunterricht haben. Und da schreibe ich immer: Am Donnerstag machen wir das, am Mittwoch machen wir das."
Schwedischer Sonderweg - "Die ganze Welt ist im Moment leninistischer als Schweden"
Schwedens Sonderweg in der Coronakrise - das Bild trüge, so der Schriftsteller Aris Fioretos im Dlf. Sein Land sei auf dem selben Kurs wie andere europäische Länder, setze aber auf Vertrauen statt Kontrolle. Das habe historische Gründe.
Die Umstellung war keine große Sache
Der "Pärm" ist ein Online-Ordner, in dem die Lehrerin Dokumente oder Filme hinterlegen kann, über die die Schülerinnen und Schüler im Unterricht online diskutieren oder als Hausaufgabe Fragen beantworten sollen. Unterrichtet wird in Echtzeit, die Schüler haben einen normalen Stundenplan mit Pausen und wählen sich für die einzelnen Lektionen in die Online-Plattform ein. Für die in Göteborg lebende Schülerin Li Kerren war die Umstellung auf den Distanzunterricht auch deshalb keine große Sache. Einige Lehrer und Lehrerinnen hätten sich bemüht, eine Schulatmosphäre zu schaffen, erzählt die aus Deutschland stammende Abiturientin.
"Ich hatte mal eine Schwedisch-Lehrerin zum Beispiel, da musste man auch die Hand immer hochheben, selbst auf dem Video-Gespräch, weil sie immer noch dieses Klassenzimmer-Gefühl behalten wollte. Also letztendlich war es nicht so komisch wie man es vielleicht erwartet hätte."
Eigener Computer ab der 7. Klasse für jedes Kind
Sich in das virtuelle Klassenzimmer einzuloggen, war nur für die wenigsten ein Problem. Ab der siebten Klasse bekommt jeder Schüler und jede Schülerin in Schweden einen eigenen Computer zur Verfügung gestellt. Das habe die Umstellung auf den Distanzunterricht sehr erleichtert, sagt Li.
"Die schwedische Schule hat vor einigen Jahren angefangen, sehr viel auf Digitales zu setzen. In Schweden haben die allermeisten Internet, Google ist der einzige Service, den wir jetzt erst angefangen haben zu benutzen. Alle anderen haben wir schon davor benutzt und viel vom Unterricht war digital. Per Hand wird kaum noch etwas geschrieben hier in Schweden. Außer ein paar Prüfungen, aber viele Prüfungen werden schon digital geschrieben. Und da war es kein so weiter Schritt."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Schwieriger für diejenigen ohne gute Arbeitsmoral
Manche Schüler profitieren von dieser Ausnahmesituation, in der der Unterricht im Internet stattfindet, meint die Gymnasiallehrerin Kristina. Andere hingegen kommen im echten Klassenzimmer besser zurecht.
"Für manche Schüler ist es total toll, die können in Ruhe arbeiten. Auch für manche Schüler, die sonst eher schüchtern sind, kann es gut sein, wenn man eine Diskussion eher über einen Chat hat, denn sie können ihre Meinung einfach rein schreiben. Aber für andere Schüler wiederum ist es viel schwieriger, zum Beispiel Schüler, die eher mündlich stark sind und sich vielleicht nicht so gut schriftlich sich ausdrücken können, aber am schwierigsten ist es für die, die noch nicht so eine gute Arbeitsmoral sozusagen haben."
Ein Fünftklässler arbeitet zu Hause für die Schule. Er ist über sein iPad mit der Schule - den Lehrpersonen und den Mitschülerinnen seiner Klasse - verbunden.
Stephan Bayer vs. Ralf Lankau - Geht Schule digital?
Regulären Unterricht in vollbesetzten Klassen wird es so bald nicht wieder geben. Digitale Unterrichtsangebote werden wichtiger, freiut sich Stephan Bayer, Chef der Lernplattform "Sofatutor". Medienwissenschaftler Ralf Lankau hingegen fürchtet den Einfluss von Konzernen in der Schule.
Klären, ob wirklich alle Schüler profitieren
Diese Unterschiede und die psychosozialen Effekte auf die Schülerinnen und Schüler untersucht momentan eine Studie, die das Karolinska-Institut in Stockholm gemeinsam mit vielen anderen Ländern durchführt. Auch die Philipps-Universität in Marburg ist dabei. Die beteiligten Forscher wollen in ihrer Untersuchung unter anderem herausfinden, ob beispielsweise Schüler mit Autismus oder einer psychischen Diagnose vom digitalen Unterricht profitieren.
Möglichkeiten der Digitalisierung
Noch werden die Fragebögen an die Eltern und Schüler verschickt und die ersten Daten gesammelt und ausgewertet. Doch eines ist schon jetzt klar: Der digitale Unterricht, der in vielen Ländern aufgrund der Coronakrise etabliert wurde, bietet die perfekte Chance, die Möglichkeiten des digitalen Unterrichts auszuloten. Denn so viele Studienteilnehmer und Teilnehmerinnen wie jetzt werden die Forscher vielleicht nie wieder bekommen.
"Die Möglichkeiten, die die Digitalisierung der Schule bringt, die werden jetzt natürlich viel mehr offenbar. Gerade auch für Schüler, die vielleicht schlechtere Voraussetzungen haben. Bei den digitalen Unterrichtsmaterialien gibt es oft Übersetzungen in andere Sprachen. Auch bei Schülern, die Leseschwächen haben, gibt es immer die Möglichkeit, sich den Text einfach vorlesen zu lassen. In der Hinsicht denke ich mal, ist das schon ein wichtiger Punkt."