Dienstag, 19. März 2024

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Umgang mit Fußball-Ultras
"Das sind gar keine Fans, das sind Chaoten"

Der bayerische Innenminister Joachim Hermann hat im Dlf von allen Fan- und Ultra-Gruppierungen ein klares Bekenntnis gegen Gewalt gefordert. Der CSU-Politiker sieht vor allem die Vereine in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass niemand im Fußballstadion zu Schaden komme.

Joachim Hermann im Gespräch mit Sarah Zerback | 17.08.2017
    Fans von Eintracht Frankfurt brennen beim Pokalspiel gegen Erndtebrück Pyrotechnik ab.
    Fans von Eintracht Frankfurt brennen beim Pokalspiel gegen Erndtebrück Pyrotechnik ab. (imago - Jan Hübner)
    Sarah Zerback: Und von der SPD wechseln wir jetzt zur CSU, namentlich zu Joachim Hermann, dem Innenminister von Bayern. Guten Morgen, Herr Hermann!
    Joachim Herrmann: Guten Morgen und grüß Gott!
    "Das ist vorsätzliche Körperverletzung"
    Zerback: Also, besser ein bisschen Pyrotechnik als bengalische Feuer außer Kontrolle, Herr Herrmann?
    Herrmann: Ich halte von diesem Vorschlag nichts, denn wir müssen ja gerade nach dem Spiel Hansa Rostock gegen Hertha BSC wieder erleben, da haben ja sogenannte Fans - ich meine eigentlich, das sind gar keine Fans, das sind Chaoten - hier ganz bewusst zum Beispiel wieder Feuerwerk-Bengalos auf die Anhänger des gegnerischen Fußballklubs abgefeuert. Das ist vorsätzliche Körperverletzung, das hat mit Begeisterung für Fußball überhaupt nichts zu tun. Und so etwas hat eben auch in einem Fußballstadion nichts verloren.
    "Nicht der Staat veranstaltet Fußballspiele"
    Zerback: Trotzdem - wir haben gerade die Argumentation von Herrn Pistorius gehört - ist das den organisierten Fußballfans ein großes Anliegen, und man muss dazu sagen, bislang werden sie ja dann doch wieder ins Stadion geschmuggelt. Wie wollen Sie das denn verhindern?
    Herrmann: Ich sage ganz klar, es ist die Zuständigkeit der jeweiligen Vereine, die sind Veranstalter. Nicht der Staat veranstaltet die Fußballspiele, sondern die Vereine. Die müssen dafür sorgen, dass in den Stadien entsprechend Ordnung herrscht. Nur für den Notfall muss dann die Polizei noch eingreifen, aber zunächst einmal ist jeweils der Veranstalter wie bei jedem anderen - wenn einer ein Musikfestival veranstaltet, wenn einer sonst irgendetwas veranstaltet in unserem Land -, der Veranstalter ist verantwortlich dafür, dass hier niemand zu Schaden kommt bei der Veranstaltung. Und Gewalt muss grundsätzlich tabu sein. Ich habe überhaupt nichts gegen Begeisterung für Sport, in welcher Form auch immer, und das soll auch gelebt werden. Ich bin selber begeisterter Fußballfan. Aber das kann niemals bedeuten, dass man Gewalt gegen andere Menschen übt, das ist eine absolute - das ist ein No-Go, das ist unerträglich. Und ich denke, dass ja über 90 Prozent, 95 Prozent aller Fußballfans in Deutschland so denken. Wir wollen doch mit Gewalt nichts zu tun haben! Und da muss man eine klare Unterscheidung treffen zwischen der überwältigenden Mehrheit, die begeisterte Sportanhänger sind, und einer kleinen Minderheit, die meinen, sie könnten sich da auch gewalttätig austoben. Und die muss man klar ausgrenzen, die muss man möglichst identifizieren und dann müssen sie auch ganz konkret bestraft werden.
    "Bekenntnis gegen Gewalt auf den Tisch"
    Zerback: Aber Herr Herrmann, genau das, was Sie jetzt als unerträglich beschreiben, das passiert doch ständig. Wir haben es doch am Montag wieder gesehen. Wenn die Vereine das doch nicht in den Griff bekommen, dann muss doch die Politik jetzt mal sagen: Ihr müsst eure Sicherheitsmaßnahmen überprüfen, und wenn ihr das nicht hinbekommt, dann finden die Spiele halt nicht statt! Oder?
    Herrmann: Ich meine, es ist gut, wenn der DFB jetzt noch mal den Kontakt suchen will, wenn er eine neue Gesprächsinitiative mit Fangruppen beginnt, und es gibt sicherlich unter den Fangruppen, auch unter einem Teil der Ultras viele, die keine Gewalt gegen andere Menschen verüben wollen. Und dass man mit denen ins Gespräch kommt, wie kann man das eine oder andere vernünftig organisieren kann, da spricht überhaupt nichts dagegen, ganz im Gegenteil. Aber es muss auch vonseiten jeder Fangruppierung, jeder Ultra-Gruppierung ein klares Bekenntnis gegen Gewalt auf den Tisch. Und wer hier sich von Gewalt nicht klar distanzieren will, dem muss man klar sagen, dass er in einem Fußballstadion wie auch bei jeder anderen Veranstaltung in unserem Land nichts zu suchen hat. Und in der Tat ist meine Erwartung auch: Wer nicht in der Lage ist, Gewaltfreiheit in seinem Stadion zu organisieren, der wird auf Dauer ein Problem bekommen als Veranstalter. Und das ist übrigens nicht nur eine nationale Frage, das ist in ganz Europa so, das ist weltweit so. Aber noch einmal, das ist eine Spezialität, wie sie sich von einem Teil des Fußballs entwickelt hat. Stellen Sie sich jetzt die Leichtathletikweltmeisterschaft wieder vor, kann sich da jemand nur im Entferntesten vorstellen, dass Anhänger des einen Speerwerfers gewalttätig gegen die Fans eines anderen Speerwerfers vorgehen oder dergleichen? Das ist doch völlig abwegig, was sich da entwickelt hat!
    "Stadionverbote aussprechen und klar durchsetzen"
    Zerback: Ja, wollen wir noch mal ganz kurz beim Fußball bleiben, Herr Herrmann, Entschuldigung. Warum schreckt denn da die Politik zurück? Und der Eindruck entsteht ja durchaus bei einigen. Ist das tatsächlich so, weil Fußball auch einfach jetzt auch im Vergleich zu der Leichtathletik, die Sie nennen, viel mehr Geld in die Kassen von Stadt und Land bringt?
    Herrmann: Wir schrecken überhaupt nicht zurück, sondern wir sagen seit jeher - jedenfalls ist das unsere klare Linie in Bayern -, Gewalt hat da nichts zu suchen. Wir versuchen, Gewalttäter zu identifizieren, und ich erwarte in der Tat von den Vereinen, dass sie dann unmittelbar auch Stadionverbote aussprechen. Ich bin auch kein Anhänger davon, dass bei jeder Gelegenheit gleich Kollektivstrafen, wie Sie das nennen, ausgesprochen werden, aber dass die Einzelnen identifiziert werden und dass die Vereine da auch konsequent dafür sorgen. Da habe ich auch den Eindruck, dass es immer noch Vereine in Deutschland gibt, wo zwar Stadionverbote ausgesprochen werden, aber anschließend sie nicht klar auch durchgesetzt werden. Man muss klar sagen, wer. Da müssen auch Strafverfahren durchgeführt werden, wer gegen ein Stadionverbot verstößt und sich trotzdem wieder in ein deutsches Fußballstadion begibt, der begeht damit Hausfriedensbruch. Das ist ein Straftatbestand. Und der muss dann auch konsequent zur Rechenschaft gezogen werden. Ich bin in der Tat der Meinung, dass die Gewalttäter individuell möglichst identifiziert und bestraft werden müssen. Das ist, glaube ich, die einzige Sprache, die die verstehen.
    Gewalttätige "müssen ganz klar ausgegrenzt werden"
    Zerback: Und gleichzeitig. Wir kommen hier gerade zum Schluss, die Nachrichten fangen gleich an, aber der Druck von außen - das haben wir gerade von Herrn Pistorius auch gehört - führt ja dazu, dass Fangruppen sich erst recht radikalisieren. Wie wollen Sie denn diese Entwicklung stoppen?
    Herrmann: Ich sage noch mal: Nach meiner Wahrnehmung - und ich gehe selbst gern immer wieder in Fußballstadien -, 95 Prozent aller, die in den Fußballstadien sind, haben für diese Gewalttätigkeit null Verständnis. Und deshalb muss man klar sehen: Wer als Ultra-Gruppierung unterwegs ist, um seine Begeisterung für seinen Verein zu äußern, der ist überall willkommen. Aber wenn darunter auch einige sind, eine kleine Minderheit, die Gewalt gegenüber anderen Menschen verüben wollen, die müssen ganz klar ausgegrenzt werden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.