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Umstrittene Partnerschaft
Bulgarien setzt in der Flüchtlingskrise auf die Türkei

Heute reist der bulgarische Regierungschef Boiko Borissow zu Gesprächen nach Istanbul, trotz der ablehnenden Stimmung in Brüssel gegenüber der Türkei. Dabei hängt auch seine politische Zukunft als Ministerpräsident von der Einhaltung des EU-Flüchtlingsabkommens mit der Türkei ab. Denn zwei Drittel der Bulgaren sehen Flüchtlinge als Bedrohung.

Von Clemens Verenkotte | 26.08.2016
    Bulgarien hat einen Stacheldrahtzaun zur Flüchtlingsabwehr aufgebaut. Der Zaun ist 30 Kilometer lang.
    Ein 30 Kilometer langer und 3,5 Meter hoher Zaun riegelt die bulgarische Grenze ab und soll schnell erweitert werden: auf die gesamte Grenzlänge zur Türkei sowie an der Grenze zu Griechenland. (AFP/Dimitar Dilkoff)
    Von der Aufrechterhaltung des EU-Flüchtlingsabkommens mit der Türkei hängt wahrscheinlich die politische Zukunft des bulgarischen Regierungschefs ab:
    "Es bleibt uns nur noch übrig, Partnerschaft mit der türkischen Seite zu suchen", so Ministerpräsident Boiko Borissow am Mittwoch im Vorfeld seines Istanbul-Besuchs. Borissow blickt sehr besorgt auf die Stimmung, die in Brüssel gegenüber der Türkei inzwischen herrscht, und auf die öffentliche Meinung im eigenen Land.
    Denn obgleich nur knapp 3.000 Migranten nach Angaben des bulgarischen Innenministeriums von dieser Woche in den staatlichen Aufnahmelagern derzeit leben, die allerdings überwiegend in Richtung Westeuropa ziehen wollen, sind zwei Drittel der Bulgaren der Auffassung: Flüchtlinge stellten eine "Bedrohung für die nationale Sicherheit" dar, so die jüngsten Umfrageergebnisse vom Mai.
    Borissow plädiert für einen pfleglichen Umgang mit der Türkei
    Ministerpräsident Borissow, von einer kurzen Unterbrechung abgesehen seit 2009 im Amt, plädiert daher für einen äußerst pfleglichen Umgang mit dem großen Nachbarn Türkei. Der Regierungschef Ende Juli:
    "Alle in der EU sind besorgt, wir auch. Wir sind aber in der schwierigsten Situation. Denn wir sind nicht nur die Außengrenze der EU. Mit unserer Politik und unserem Verhalten sollen wir die Balance zwischen der EU und der Türkei aufrechthalten. Wir sollen vorsichtiger sprechen, denn wir sollen nicht nur die Kommunikation mit der Türkei aufrechterhalten, sondern auch das tun, dass sie ihre Verpflichtungen einhält, damit uns die Flüchtlinge nicht überfluten."
    Das ärmste EU-Mitgliedsland will keine Migranten zurücknehmen, die in den wohlhabenderen Staaten Europas nicht aufgenommen werden. Zumal bereits Ungarn angekündigt hat, rund 20.000 Flüchtlinge zurück nach Bulgarien zu schicken. Die Flüchtlings-Vereinbarung, die Brüssel mit Ankara geschlossen hat, funktioniere nicht, so Bulgariens Regierungschef:
    "Leider wird das EU-Türkei-Abkommen fast gar nicht eingehalten. Uns erwartet nichts Gutes. Armee, Polizei, Gendarmerie - alle sind dort an der Grenze und wir bereiten uns auf ein schwieriges, schwieriges Problem mit der Flüchtlingswelle vor."
    Verhindern, dass neue Flüchtlingsroute durch Bulgarien entsteht
    Die Regierung in Sofia will verhindern, dass nach Schließung der bisherigen West-Balkan-Route im März weiter östlich eine neue Flüchtlingsroute durch Bulgarien entsteht. Bereits Ende Juli hatte Bulgarien bei der EU-Grenzschutzagentur Frontex um zusätzliche Unterstützung gebeten. In der vergangenen Woche trafen die ersten Frontex-Soldaten mit Überwachungstechnik und Material ein. An der Grenze zur Türkei werden 77 von ihnen stationiert, weitere 35 werden an der serbischen Grenze patrouillieren.
    Der Chef der bulgarischen Grenzpolizei und dessen Stellvertreter mussten erst vor wenigen Tagen ihre Posten räumen, nachdem bekannt geworden war, dass die Grenzbehörde offiziell Schlepper mit dem Transport illegal eingereister Migranten von den Grenzen in die Aufnahmelager beauftragt hatte. Pikantes Detail: Das Auftragsvolumen für die Schlepper in Höhe von umgerechnet 100.000 Euro stammte aus Mitteln der EU für die "Stärkung der Grenzkontrollen" an der bulgarisch-türkischen Grenze. Regierungschef Borissow nannte anschließend den Vorfall eine "Schande."