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"Unterwerfung" am Deutschen Schauspielhaus
Kluge wie geradlinige Roman-Verdichtung

Michel Houellebecqs jüngster Roman "Unterwerfung" über ein fiktives Frankreich in der Zukunft hat irritiert. Am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg inszeniert Karin Beier die Vorlage als einen Monolog, vorgetragen von Edgar Selge. Mit dem Ergebnis: riesiger Beifall.

Von Karin Fischer | 07.02.2016
    Der Schauspieler Edgar Selge spielt am 03.02.2016 in Hamburg auf der Fotoprobe von "Unterwerfung". Das Stück von Michel Houellebecq feierte seine Uraufführung in der Regie von Karin Beier am 06.02.2016 am Deutschen Schauspielhaus Hamburg.
    Der Schauspieler Edgar Selge in "Unterwerfung" von Michel Houellebecq in der Regie von Karin Beier am Deutschen Schauspielhaus Hamburg (picture-alliance / dpa / Markus Scholz)
    Olaf Altmanns Bühne besteht wie so oft aus einem großen, großartigen Zeichen. Es ist ein Kreuz, ausgestanzt aus dem tiefschwarzen Eisernen Vorhang, das hoch über Edgar Selge langsam rotiert. Die dreidimensionale Form dient seiner Erzählerfigur Francois auch als Bett, Behausung, anstrengend zu erklimmender Fluchtpunkt oder als Aussichtsplattform. Im Zeichen des Kreuzes werden wir Zeugen einer fast unheimlich logisch klingenden Erzählung und Entwicklung, an deren Ende Stern und Sichel über der Pariser Universität Sorbonne die Unterwerfung der Gesellschaft unter islamisches Gesetz symbolisieren.
    Francois präsentiert sich nach einer kurzen biografischen Notiz, er ist Literaturwissenschaftler, als reflektiert-überheblicher, später zynisch-ermatteter Macho und Frauenheld, der seine sexuellen Verhältnisse recht offen als sehr einseitiges Vergnügen zelebriert. Weshalb er den neuen islamischen Gesetzen, speziell der Polygamie, aber auch jenen zu Geschlechtertrennung und Kleiderordnung doch einige Sympathie entgegen bringt:
    "Während die reichen Araberinnen tagsüber die undurchdringliche schwarze Burka trugen, verwandelten die sich nachts doch in Paradiesvögel - schillernd! Transparente BHs, Strings mit bunter Spitze und Schmucksteinen. Also genau das Gegenteil zu den westlichen Frauen, die sich tagsüber sexy und elegant kleideten, abends aber in sich zusammen sanken, in unförmige Freizeitklamotten stiegen und beim Gedanken an Verführungsspielchen müde abwinkten."
    Applaus für Edgar Selge
    Dabei ist Edgar Selge als Ich-Erzähler Francois deutlich weniger der krisengeschüttelte Loser in der zweiten Lebenshälfte, als den Houellebecq ihn zeichnet, sondern ein scheinbar meinungsloser Beobachter, der sich von den Ereignissen eher überrollen lässt. Die Schilderung sexueller Abenteuer macht ihm sogar wirklich Freude. Den Wahlkampf in Frankreich, die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Paris, den Teufelspakt von Sozialisten, Konservativen und der Zentrumspartei mit der islamischen Muslimbrüderschaft verdichten Regisseurin Karin Beier und ihre Dramaturgin Rita Thiele wie zu einem Krimi. Kleine Ortswechsel in der beweglichen Kreuzes-Kiste, ein vielschichtiger, kluger Soundtrack und die effektive Lichtregie unterstreichen eine hörbuchartige Erzählung, deren schiere zu bewältigende Textmasse schon Bewunderung abringt. Ein feinsinniger, mit charakterlichen Nuancen spielender Erzähler produziert hier Kopfkino voller verstörender Bilder. Begeisterter Applaus für Edgar Selge schon zur Pause.
    Danach ist seine letzte Geliebte Myriam mit ihrer jüdischen Familie nach Israel emigriert, die neuen Machtverhältnisse zementiert und Francois, wie übrigens alle weiblichen Lehrkräfte auch, von der Universität relegiert. Doch die Konversion der französischen Gesellschaft, zynischerweise gestaltet mit viel Geld aus Saudi-Arabien, zeitigt kaum Widerstand. Im Gegenteil, das Land erholt sich schnell:
    "Frankreich ging's gut! Die erste, unmittelbarste Folge der Wahl war die Absenkung der Kriminalitätsrate. In den problematischen Vierteln war sie, sage und schreibe, um das Zehnfache gesunken. Einen weiteren spürbaren Erfolg gab es bei der Arbeitslosigkeit, deren Quote sich im freien Fall befand. Gut, das war zweifellos auf den massiven Ausstieg der Frauen aus dem Arbeitsmarkt zurückzuführen.
    Roman-Verdichtung
    Am Ende zeigen die männerfreundlichen Verhältnisse und ein scharfsinniges Anwerbemanöver des neuen Universitätspräsidenten auch Francois einen positiven Ausweg auf, dem erwarteten schleichenden Tod durch körperlichen Verfall und Vereinsamung zu entgehen.
    Mehrere Dinge macht diese so kluge wie geradlinige Roman-Verdichtung klar: Die schnellen Vorwürfe, Houellebecqs Buch sei islamophob, sind völlig absurd. Die These, die europäische Kultur sei bereits an sich selbst gestorben, wirkt in diesen Tagen nachgerade prophetisch. Und die Geschwindigkeit, mit der Männer im Kampf um die politische Macht auf Frauenrechte zu verzichten bereit sind, sollte uns mehr aufrütteln als das bislang geschehen ist.
    Riesiger Beifall für das Team um Regisseurin Karin Beier. Und ein Triumph für Edgar Selge in Hamburg.