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Verkehrspolitik
Mehr Geld für Radschnellwege

Der Bundestag hat 25 Millionen Euro freigegeben für den Bau von Fahrrad-Schnellwegen. Diese sogenannten Fahrradautobahnen sind mit vier Meter Breite und ohne Ampeln sowie Kreuzungen vor allem für Berufspendler gedacht. Manch eine Metropole im Ausland ist viel weiter bei der emissionsfreien Fortbewegung als Deutschland.

Von Anke Petermann | 28.04.2017
    Berlin, Deutschland, GER, Unter den Linden, Fahrradfahrer
    Oft ist auf den Straßen in Deutschland für Fahrradfahrer wenig Platz. (Imago / Stefan Zeitz)
    Mit dem Velo-Taxi durch Mannheim – Michael Düsterwald, heute Passagier, sonst Alltagsradler, erkennt sofort:
    "Was in Deutschland Mangelware ist: ein schöner ausgebauter Verkehrs-Fahrradweg."
    In Mannheim verläuft die typische deutsche Fahrrad-Trasse eingekeilt zwischen parkenden Autos und Fußgängern.
    "Wir sind hier auf einer Nebenstraße unterwegs, wo ein separater Fahrradweg auf dem Bürgersteig ist und man sieht, wir holpern die ganze Zeit."
    Auch geübte Radler können auf einer so schmalen Buckelpiste nicht überholen. Die Velo-Taxi-Fahrerin tritt auf die Bremse.
    "Das ist so! Wir haben Stau, Fahrradstau. Wir haben so viele Radler unterwegs – es ist manchmal frustrierend!"
    Bislang wenig Platz für Radfahrer im Verkehr
    Nicht, dass immer mehr aufs Rad umsteigen, verursacht den Frust der US-stämmigen Velo-Taxi-Fahrerin, sondern dass Deutschland den abgas- und geräuschfreien Pendlern so wenig Platz im Vergleich zum Autoverkehr einräumt. Ihre Heimat Portland, Oregon, ist da weiter. Dort bewegen sich inzwischen Tausende von Fahrrad-Pendlern auf breiten, abgetrennten Spuren. Die New Yorkerin Martha Roskowski, Vizepräsidentin von "Bikes for people", berät mit ihrer Organisation US-Metropolen, die ernst machen wollen mit der Verkehrswende.
    "New York und andere Städte verteilen Platz um und schaffen auf viel befahrenen Straßen getrennte Räume für Radler. Sodass sie, vom Autoverkehr durch Poller oder Kübelpflanzen abgeschirmt, sicherer und angenehmer radeln können. Das passiert jetzt überall im Land, führend ist New York. Es setzt sich die Erkenntnis durch: Städte, in denen Leute sich zu Fuß und mit dem Rad bewegen können, werden bessere Orte."
    In Deutschland werben die Grünen seit ihrer Gründung vor gut 40 Jahren für die Verkehrswende. "Ohne Auto mobil" forderte die Ökopartei auf Wahlplakaten zur Bundestagswahl 1990. Heute regiert die Partei das Auto-Land Baden-Württemberg samt dessen Landeshauptstadt, die unter Feinstaub-Höchstwerten ächzt. "Ohne Auto" – davon ist nicht mehr die Rede. Aber mit Blick auf die Ballungsräume sagt der grüne Stuttgarter Verkehrsminister Winfried Hermann.
    "Um die Luft sauber, um den Verkehr fließend zu halten, müssen wir den Anteil des individuell genutzten Autos zurückdrängen: weniger Autos, mehr ÖPNV, mehr Radverkehr. Bei uns ist es den in Großstädten so zwischen fünf und zehn Prozent."
    Das bergige Stuttgart kann und muss mithilfe der Elektromobilität den Radverkehr ausbauen, betont Ressortchef Hermann.
    "Das wissen die. Beim Luftreinhalteplan, den wir dieses Jahr erlassen werden, werden wir das auch der Kommune ganz klar sagen: Radfahren verbessern, mehr Anteil beim Radfahren. Vergleichbare Städte sind deutlich besser, was Radverkehr anlangt, da kann Stuttgart noch einiges tun."
    Manche ausländischen Städte sind weiter
    Kopenhagen und Amsterdam peilen schon die 50-Prozent-Quote für den Radverkehr an, die badische Vorzeigestadt Freiburg immerhin 40 und die Aufsteigerstadt Mannheim 25 Prozent, allerdings erst für 2025. Eine Säule dieser Strategie: die Radverleihstationen, die sich in deutschen Großstädten ausbreiten. Und kreuzungsfreie überregionale Radschnellwege mit zwei Meter breiten Spuren, so Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz, SPD.
    "Wir wollen die Verbindung von Heidelberg über Mannheim, Ludwigshafen und darüber hinaus, aber auch in Richtung Darmstadt und Karlsruhe gibt es schon erste Konkretisierungen. Wir haben auch einen innerstätischen Radschnellweg, den wir jetzt in den nächsten Wochen beschließen wollen - zusammen mit einem großen Grünzug, den wir entwickeln wollen. Das ist dann allein eine Investition von 20 Million Euro."
    Und damit investiert Mannheim fast so viel, wie der Bund von 2017 an dem Bau von Radschnellwegen in ganz Deutschland jährlich zuschießt. Nämlich nur 25 Millionen Euro, bemängelt Ludger Kopmann vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club ADFC.
    "Gleichzeitig bauen wir in Berlin drei Kilometer Autobahn für 400 Millionen Euro. Das heißt, wir kleckern im Bereich des Radverkehrs rum. Der Bund macht deutlich zu wenig. Wir müssen die Pariser Verträge erfüllen. Das heißt: 25-Prozent-CO2-Reduzierung auch im Verkehrsbereich. Das wird nur mit dem Fahrrad gehen, und das geht nicht, wenn wir in diesem langsamen Kleckertempo der vergangenen 10, 20 Jahre weitermachen. Das heißt auch, Politik muss sich mit ihrer Lieblingsklientel Autofahrer anlegen."
    "Es fehlt ein Gesamtkonzept in vielen Städten"
    Radwege, die vor Ampeln und Pollern abrupt enden, die im Winter als letztes oder gar nicht geräumt werden. Ampelphasen, die Radler an jeder Kreuzung ausbremsen - all das ist Standard, kritisiert Ludger Kopmann vom ADFC-Bundesvorstand.
    "Es fehlt ein Gesamtkonzept in vielen Städten. Und der Mut, es da umzusetzen, wo der Autoverkehr mal was abgeben muss. Und das sind die kritischen Stellen in der Stadt in der Regel. Da muss endlich politischer Wille her, und da muss endlich was umgesetzt werden."
    Wie die sogenannte Protected Lane an Hauptverkehrsstraßen, die abgetrennte, Poller- oder Pflanzen-geschütze Radspur, die seit fünf Jahren, den Verkehr in Portland, Chicago, und New York revolutioniert. Aber auch dort müssen die ausgebauten Radspuren an den großen Straßen noch besser mit den Nebenstraßen vernetzt werden, findet Martha Roskowski von "Bikes for People", dem Zusammenschluss von Radlern und Fahrrad-Industrie in den USA. Das 30 Stundenkilometer-Tempo-Limit für Autos habe sich in diesen Quartiersstraßen bewährt.
    "Wenn wir Autos verlangsamen und die Anzahl reduzieren können, dann können Radler diese alten Straßen bequem mitbenutzen. Das sieht man in vielen Städten, wie Barcelona oder Kopenhagen. Und dann können auch Kinder radeln."
    Auch eine Sache der Bildung?
    Zehnjährige allein durch die Großstadt? – Kopenhagener sagen, das geht. Auch in Mannheim, so findet SPD-Stadträtin Nazan Kapan, solle man anfangen:
    "Auch die Schulen als Kooperationspartner mit ins Boot zu nehmen und zu sagen: Wie sichern wir die Wege für Schulkinder, dass sie verstärkt das Fahrrad nutzen können? Ich denke, es ist auch eine Sache der Bildung: Mit was werde ich groß? Ich bin mit dem Fahrrad groß geworden, ich komm' aus einem Arbeiterviertel, und da war das Fahrrad eines der meist genutzten Fahrzeuge. Und ich denke auch, Teilhabe und Integration - gerade auch im Zusammenhang mit einer größer werdenden Schere an Einkommen der Menschen wird das immer mehr ein Thema werden, was können wir uns eigentlich noch an Mobilität leisten, ja. Da muss einfach komplett umgedacht werden!"
    Deutschland als Fahrrad-Paradies? Auf diesem Weg müssten wohl noch einige politische Ampeln auf Grün gestellt werden.