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"Vielleicht ein Punkt, an dem wir als Gesellschaft weitergehen können"

Bitterkeit und Erleichterung zugleich empfindet der norwegische Schriftsteller Erik Fosnes Hansen über die Verurteilung Anders Breiviks zu 21 Jahren Haft. Der Attentäter wirke auf ihn, als sei er mit dem Richterspruch zufrieden, sagt Hansen. Und doch könne das Urteil eine wichtige Zäsur für die norwegische Gesellschaft werden.

Erik Fosnes Hansen im Gespräch mit Christine Heuer |
    Christine Heuer: Auf dieses Urteil haben die Norweger sehr gespannt gewartet. Kurz nach zehn heute Morgen wurde es gesprochen: Anders Behring Breivik ist zurechnungsfähig, deshalb muss er ins Gefängnis, und das so lange wie möglich. In Norwegen sind das 21 Jahre. Danach sind aber offenbar Verlängerungen der Haftstrafe möglich und auch eine Sicherheitsverwahrung. Am Telefon begrüße ich jetzt den norwegischen Schriftsteller Erik Fosnes Hansen. Guten Tag, Herr Hansen.

    Erik Fosnes Hansen: Guten Tag.

    Heuer: Wie finden Sie das Urteil?

    Hansen: Ja gut, es ist ein Abschluss des Prozesses bislang. Andererseits ist es auch mit einer gewissen Bitterkeit, dass man beobachten kann, wie der Angeklagte, der da ja gerade jetzt im Gerichtssaal sitzt und vor sich hingrinst, wie er das eigentlich bekommen hat, wie er es wollte. Er hat sich ja so sehr vor der Psychiatrie gefürchtet wie vor nichts anderem, denn durch ein Urteil auf Unzurechnungsfähigkeit wäre er ja nicht als politischer Aktivist, wie er sich selbst betrachtet, ernst genommen oder als Täter, sagen wir mal, als selbständige Person ernst genommen worden. Das Urteil hat schon diese bittere Seite, jedenfalls für mich, das ist meine unmittelbare Reaktion, dass er irgendwie mit dem Urteil zufrieden ist. Er hat ja beim Ende des Prozesses angekündigt, dass er zu keinem Appell gehen würde, wenn er nur die Gefängnisstrafe bekommen würde, und da hat er es wirklich so bekommen, wie er es wollte. Andererseits ist es natürlich schön und eine Erleichterung, dass die Justiz jetzt vollbracht wird und dass er ein strenges Urteil bekommen hat.

    Heuer: Herr Hansen, glauben Sie denn, dass Breivik tatsächlich zurechnungsfähig ist?

    Hansen: Die Frage ist, ob er zurechnungsfähig im juristischen Sinne gewesen ist, und das ist eine komplizierte technische, juristisch-technische Fragestellung. Nur die Frage ist nicht, ob er krank ist oder gesund, sondern wie krank er ist. Dass er auf keine Art und Weise normal ist, sondern tief gestört ist, darüber besteht ja kein Zweifel. Der Streit in Norwegen, juristisch und in der ganzen Gesellschaftsdebatte, bestand eher darin zu beurteilen, ob er dann im juristischen Sinne nach der heutigen Gesetzgebung strafunfähig wäre, und das ist eine Definitionssache. Das Gericht, die Richter haben auf einen Punkt gelandet, das muss man respektieren. Sie haben ja den ganzen Prozess zehn Wochen lang mitverfolgt und danach zwei Monate jetzt im Sommer an dem Schlussworten und an dem Urteil gearbeitet. Insofern ist der Prozess des Rechtsstaates jetzt fertig, und davor sollten wir Respekt haben.

    Heuer: Kann das Land denn jetzt zur Ruhe kommen, Herr Hansen?

    Hansen: Die Frage ist, ob wir jemals zu einer Ruhe kommen werden. Wenn das Urteil umgekehrt wäre und er also als unzurechnungsfähig beurteilt würde, gäbe es vielleicht eine andere Art von Bitterkeit, eine andere Art von Unzufriedenheit. Ich glaube, es gibt kein Urteil, es gibt keinen Schlusspunkt für einen so traumatischen Prozess, aber es ist vielleicht für die Gesellschaft ein Anfang eines Endes. Es ist vielleicht eine Zäsur, wie Ihr Reporter es genannt hat. Jedenfalls für die von uns, die nicht direkt von diesen Gräueltaten betroffen sind, ist es vielleicht allmählich ein Punkt, an dem wir als Gesellschaft, eine sehr geprägte Gesellschaft, weitergehen können.

    Heuer: In Norwegen hebt ja offenbar seit einigen Tagen die Diskussion über staatliches Versagen nach dem Rücktritt des Polizeichefs zum Beispiel an. Müssen Politiker zurücktreten, weil es am 22. Juli 2011 Polizeipannen gab?

    Hansen: Das ist noch zu früh zu beurteilen. Bislang ist der Polizeidirektor zurückgetreten. Jetzt ist die Frage, ob das noch weitere Wirkungen für die Regierung, für andere leitende Persönlichkeiten in der Verwaltung und im Justizministerium haben wird.

    Heuer: Wenn ich das kurz einfügen darf: Da ist ja sogar der Ministerpräsident Jens Stoltenberg in der Debatte.

    Hansen: Ja, ist es, weil unter seiner Regierung ist nicht das geschehen, was im Justizwesen geschehen sollte. Was an Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt werden sollte, ist nicht durchgeführt, sondern es ist alles verzögert, es hat alles zu lange gedauert, die Polizeireformarbeit ist anscheinend ganz misslungen gewesen und obwohl niemand, wirklich niemand im Land Jens Stoltenberg persönlich, der ja zutiefst persönlich betroffen war und der sich als ein hervorragender Leiter nach dem 22. Juli letzten Jahres gezeigt hat, etwas persönlich vorwirft. Aber die politische Verantwortung für die Vergangenheit liegt bei ihm, denn er ist ja seit fast acht Jahren, seit sieben Jahren Ministerpräsident gewesen. Die politische Verantwortung liegt bei ihm!

    Heuer: Sind Sie persönlich für Stoltenbergs Rücktritt?

    Hansen: Nein oder ja. Ich meine, für die Zukunft können so viele Menschen Verantwortung übernehmen. Für die Vergangenheit können eigentlich nur die Verantwortung, politische Verantwortung übernehmen, die in der Verantwortung in der Vergangenheit saßen. Insofern wäre es jedenfalls politisch richtig, dass das alles zu einer politischen Behandlung im Parlament kommt. Dann muss das Parlament entscheiden, wie die eventuellen Wirkungen für die Regierung Stoltenberg oder für einzelne Minister oder sogar für den Ministerpräsidenten selbst sein sollen.

    Heuer: Aber wenn es solche personellen Konsequenzen geben würde, Herr Hansen, dann wäre das ja eine Genugtuung für den Attentäter. Tut man ihm damit nicht schon alleine mit der Diskussion darüber einen Gefallen?

    Hansen: Genau, und dann sind wir wieder bei dieser Bitterkeit. Wiederum würde dann der Attentäter es so bekommen, wie er es eigentlich haben wollte. Nur andererseits: so soll ja die parlamentarische Demokratie funktionieren. Wenn es politische Pannen gibt, wenn die Regierung für etwas die Verantwortung trägt, was total daneben gegangen ist, wenn die Regierung ihre eigenen Bürger, oder sagen wir mal, wenn die Behörden, für die die Regierung Verantwortung hat, die eigenen Bürger nicht richtig haben beschützen können, dann muss die politische Verantwortung dafür irgendwo liegen, und in einer parlamentarischen Demokratie liegt es natürlich bei der jeweilig sitzenden Regierung, oder bei der Regierung, die für diese Pannen Verantwortung trägt. Insofern kann man sagen, bei einem zivilen Unfall, bei einer zivilen Katastrophe, wo die Behörden genauso viel versagt hätten, wenn nun genauso viel daneben gegangen wäre, wäre die politische Verantwortung genau am selben Ort und Platz zu platzieren, nämlich bei der Regierung. Insofern wäre es gemäß und richtig, wenn das politische Folgen haben würde, aber wie gesagt, das muss das Parlament entscheiden.

    Heuer: Der norwegische Schriftsteller Erik Fosnes Hansen im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Herr Hansen, vielen Dank.

    Hansen: Bitte sehr.


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