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Vor 100 Jahren in Großbritannien
Frauen nehmen erstmals an Parlamentswahlen teil

Dass Frauen an den Wahlen zum britischen Unterhaus teilnehmen könnten, war bis ins 20. Jahrhundert für viele undenkbar. Am 14. Dezember 1918 jedoch durften sie erstmals ihre Stimme abgeben und auch kandidieren. Bis dahin war es für britische Frauenrechtlerinnen, die sogenannten Suffragetten, jedoch ein harter Kampf.

Von Ruth Rach |
    Budget 2017. Embargoed to 2230 Tuesday March 7 File photo dated 11/10/1908 of Suffragette Emily Pankhurst auf einer Versammlung auf Londons Trafalgar Square am 11.Oktober 1908 | PA/PA Wire / URN:30441471
    Die Suffragetten kämpften mit allen Mitteln für gesellschaftliche Gleichberechtigung. Eine von ihnen: Emily Pankhurst (PA Wire / picture alliance)
    "Taten statt Worte", so lautete das Motto von Emmeline Pankhurst, der bekanntesten britischen Suffragette, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts für das Frauenwahlrecht einsetzte. Pankhurst war nach Jahren friedlicher Kampagnen zu dem Schluss gekommen, dass mehr Militanz nötig war, um ihr Anliegen voranzutreiben. Die Aktivistinnen ketteten sich an Gebäuden fest, zerstörten Kunstwerke, warfen Steine und Brandsätze auf die Häuser von Politikern. Besonders schockierend: ein Vorfall während des renommierten Epsom Derby im Juni 1913.
    Ein langer Kampf
    Gerade kommt das Pferd von König Georg dem Fünften angaloppiert, da schlüpft die Frauenrechtlerin Emily Davison durch die Sperre auf die Rennbahn und wird von dem Tier überrannt. Vier Tage später ist sie tot und wird so zur Märtyrerin der Suffragetten. Bis heute ist umstritten, ob Emily Davison wirklich für ihre Sache sterben wollte.
    Noch immer dominiert die männliche britische Streitkultur das Unterhaus - nur ein Drittel der Abgeordneten sind Frauen
    Big Ben und Houses of Parliament in London (imago/CHROMORANGE)
    Der lange Kampf der britischen Frauenrechtlerinnen begann Anfang des 19. Jahrhunderts, sagt Melanie Unwin, Kuratorin einer Kunstsammlung in Westminster, in der die Geschichte der Suffragetten dokumentiert wird. Besonders berüchtigt war "The ventilator", der Belüftungsschacht in der alten Parlamentskammer. Melanie Unwin deutet auf eine fast 200 Jahre alte Skizze von Frances Rickman. Man sieht einen dunklen Dachboden und mehrere Frauen, die sich über eine Balustrade beugen.
    "Bis zum Jahr 1834, als das alte Parlament abbrannte, war es Frauen verboten, die Debatten der Politiker von den öffentlichen Tribünen aus zu verfolgen. Ihnen blieb nur eine Möglichkeit: ganz oben auf den Dachboden zu klettern und durch den schmalen Belüftungsschacht in die Tiefe zu schauen. Manchmal drängten sich bis zu 20, 30 Frauen um die Öffnung."
    Das neue Parlamentsgebäude war kaum frauenfreundlicher. Während männliche Besucher bequem auf den Tribünen saßen, wurden die Frauen in eine geschlossene Tribüne unter dem Dach verbannt. Von dort aus konnten sie die Debatte durch dicke Gitterfenster verfolgen.
    "Diese Metallgitter sollten verhindern, dass Parlamentarier die Frauen sehen konnten. Es wurde nämlich befürchtet, das könnte sie von der Arbeit ablenken. Der Symbolcharakter dieser Konstruktion war nicht zu übersehen. Und schon bald wurde die Tribüne in 'The Cage'. also 'Der Käfig' umgetauft, denn diese Frauen fühlten sich wirklich wie Vögel in einem Käfig."
    Es war letztendlich der Erste Weltkrieg, der tief greifende Umwälzungen mit sich brachte. Im Februar 1918 wurde das Stimmrecht per Gesetz ausgeweitet: Auf alle Männer über 21 und auf Frauen über 30, die über ein bestimmtes Vermögen verfügten. Fast gleichzeitig wurde ihnen auch das Recht zugestanden, für Unterhauswahlen zu kandidieren.
    Am 14. Dezember 1918 war es soweit: Bei den Parlamentswahlen gaben erstmals auch Frauen ihre Stimme ab. Ein Jahr später zog die konservative Adelige Nancy Astor ins Unterhaus ein - als einzige Frau unter mehr als 700 Abgeordneten.
    "Sie waren wirklich nicht nett zu ihr. Nancy Astor musste sich bei den Debatten förmlich zu ihrem Sitz durchkämpfen, weil ihr die männlichen Kollegen keinen Platz machten. Aber Nancy Astor ließ sich nicht so leicht einschüchtern. Sie kam aus den besten Kreisen, war äußerst wohlhabend und eine berühmte Gastgeberin. Und außerhalb des Parlaments waren die Politiker auch absolut reizend zu ihr."
    Bis heute in der Minderheit
    Die konfrontative, männlich dominierte Streitkultur im britischen Unterhaus hat sich bis heute gehalten. Auch wenn die letzten Auflagen für Frauen im Jahr 1927 aufgehoben wurden, so stieg ihr Anteil Jahrzehnte lang kaum über vier Prozent.
    Politikerinnen mit einer starken Persönlichkeit erregten umso mehr Aufsehen. Betty Boothroyd zum Beispiel. Als erste und bislang einzige Frau übernahm sie in den frühen 1990er-Jahren den Vorsitz im Unterhaus, wo sie selbst die rüpelhaftesten Abgeordneten mit wenigen Machtworten zum Schweigen brachte. Und Margaret Thatcher. Sie zog 1979 als erste Premierministerin in die Downing Street ein. Allerdings tat sie wenig, um die Frauenquote zu verbessern. Dennoch ist der Anteil der Frauen im britischen Unterhaus auf knapp ein Drittel gestiegen. Und selbst im Oberhaus sitzen heute über 20 Prozent Frauen.