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Vor 25 Jahren
Urteil gegen Ex-DDR-Unterhändler Vogel

DDR-Anwalt Wolfgang Vogel genoss in beiden deutschen Staaten Vertrauen, und vermittelte beim Austausch von Agenten und der Ausreise hunderttausender DDR-Bürger. Doch nach der Wende erhoben Ex-Mandanten und Staatsanwalt Vorwürfe. Nach einem Prozess erging am 9. Januar 1996 ein heftig kritisiertes Urteil.

Von Andreas Baum | 09.01.2021
    Wolfgang Vogel und seine Frau Helga betreten am 9.1.1996 den Gerichtssaal im Landgericht. Der ehemalige DDR-Unterhändler Wolfgang Vogel ist vom Berliner Landgericht zu einer Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung und einer Geldstrafe von 92000 DM verurteilt worden.
    Wolfgang Vogel neben seiner Frau vor der Urteilsverkündung am 9. Januar 1996 im Landgericht Berlin (Zentralbild)
    In den Jahren der Prozesse gegen ihn hatte es sich Wolfgang Vogel zur Gewohnheit gemacht, die Presse in Verhandlungspausen höchstpersönlich auf den Stand der Dinge zu bringen. So auch am Tag der Urteilsverkündung in eigener Sache:
    "Ich gehe mit der Erwartung vor das Gericht, dass ich fair behandelt werde. Von einem Staatsanwalt, der sich als Vogelfänger bezeichnen lässt, habe ich das nicht zu erwarten."

    Ein hoher Entscheidungsträger des DDR-Regimes?

    Mit dem "Vogelfänger" spielte er auf die Staatsanwälte an, die jahrelang versucht hatten, ihm Verbrechen im Zusammenhang mit der Grenzpolitik der DDR nachzuweisen – sie verdächtigten ihn, für Mauerbau und Schießbefehl mit verantwortlich zu sein. Vogel hatte peinliche Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen und über 200 Tage in Untersuchungshaft sitzen müssen. Dort besuchten ihn zahlreiche Prominente. Dass Vogel mit seiner Tätigkeit reich geworden war, stand für sie nicht im Vordergrund. Dazu Wolfgang Vogel: "Ich habe genauso gut verdient wie meine Partneranwälte. Warum wird denn diese Frage eigentlich immer nur an mich gerichtet?"

    Hilfe bei über 200.000 DDR-Ausreisen

    Vogel hatte in seinem Leben mehr als 200.000 Menschen die Ausreise aus der DDR ermöglicht und dafür zuletzt aus Bonn eine Jahrespauschale von 320.000 D-Mark erhalten, hinzu kamen hohe Honorare für die juristische Beratung von Flüchtlingen. Verurteilt aber wurde er, weil er seine Mandanten erpresst und gedrängt haben soll, ihre Grundstücke zu Dumpingpreisen an die DDR zu verkaufen. Am 9. Januar 1996 verurteilte ihn die 6. Große Strafkammer des Landgerichts Berlin zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung und 92.000 D-Mark Geldstrafe. Der Ankläger, Staatsanwalt Christoph Schaefgen, schien zunächst zufrieden:
    "Das ist ja der Vorwurf der Erpressung an sich gewesen. Er hat die Ausreise davon abhängig gemacht, dass die Betreffenden ihren Grundbesitz an Personen veräußerten, die er ihnen vorgeschlagen hatte. Und dieser Personenkreis kam überwiegend aus dem Bereich des MfS, oder dem Bereich seiner Kanzlei oder seiner Verwandten."
    Allerdings waren Ausreisewillige gezwungen, ihren Grundbesitz zu verkaufen. Die "Ordnung Nr. 0118/77" des Innenministeriums der DDR verlangte, "sicherzustellen, dass vor Erteilung der Genehmigung zur Ausreise der betreffende Bürger eine ordnungsgemäße Regelung seiner Grundstücksangelegenheiten nachweist."

    "Ein glattes Fehlurteil"?

    In der DDR waren Immobilien für private Besitzer meist nur eine Last. Erst nach der Wiedervereinigung explodierten die Preise - das bewog einige Dutzend seiner früheren Mandanten, gegen Vogel zu klagen, in der Hoffnung, ihre für wenig Geld verkauften Grundstücke wiederzubekommen. Die Verurteilung führte auch zu empörten Reaktionen. Der Berliner Rechtsprofessor Uwe Wesel bezeichnete sie als glattes Fehlurteil und die Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen schrieb: "Das Urteil zeigt die Hybris selbstgerechter Menschen, die im Nachhinein genau wissen, wie moralisch integer sie sich verhalten hätten."
    Und Wolfgang Vogel stellte klar: "Ich habe entgegengesetzt, dass meine Kanzlei kein Ganovensyndikat war, sondern die einzige Stelle, in der Ausreisewillige und bedrängte Menschen in der DDR Rat und Hilfe, wirksame Hilfe erhalten haben. Man musste mit den Mächtigen und nicht mit den Ohnmächtigen reden. Und das lasse ich mir heute nicht vorwerfen."
    Ein Grenzsoldat der DDR steht vor dem durchbrochenem Gitterzaun auf dem östlichen Teil der Glienicker Brücke in Potsdam, nachdem drei DDR-Bürgern mit einem Laster der Durchbruch der Grenze und damit die Flucht in den Westen geglückt war.
    Wolfgang Vogel - Helfer in der Not oder Teufels Advokat?
    Der Ost-Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Vogel war am Freikauf von mehr als 33.000 politischen Gefangenen aus der DDR beteiligt. Gerade weil Vogel nicht der typische Apparatschik war, kam er im Westen gut an. Der ehemalige Spiegel-Redakteur Norbert Pötzl hat eine Biografie über ihn geschrieben – mitunter spannend wie ein Spionageroman.
    In der DDR hatte Wolfgang Vogel eine beispiellose Karriere hingelegt. Als junger Anwalt war er einer der wichtigsten Juristen des Landes, organisierte den Agentenaustausch an der Glienicker Brücke und begleitete die Ausreise zehntausender politischer Häftlinge. Dass er dabei gezwungen war, sich auf die Spielregeln des Systems einzulassen, beschied ihm der Bundesgerichtshof im April 1998.
    "Die Effektivität des Einsatzes von Wolfgang Vogel als Verhandlungspartner für die Anliegen von Ausreisewilligen DDR-Bürgern setzte zweifellos eine enge Bindung an das Führungssystem der DDR voraus."

    1998 vollständig rehabilitiert

    Am 5. August 1998 schloss der Bundesgerichtshof die Akte. Der 5. Strafsenat in Leipzig sprach ihn vom Vorwurf der Erpressung frei – und stellte das Verfahren ein. Wolfgang Vogel bilanzierte versöhnlich: "Das Gericht hat mir bescheinigt, im Endergebnis und auch im letzten Satz der Begründung, dass ich den Menschen geholfen habe. Und diese Bestätigung richtet mich auf. Ich habe den Menschen zur Ausreise verholfen, und das war nicht ‚Schaden’, sondern Hilfe."
    Vogel war mit diesem Spruch zur Gänze rehabilitiert und lebte bis zu seinem Tod im August 2008 unbehelligt in Schliersee in Bayern.