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Vor 300 Jahren in Halberstadt
Als Catharina Margaretha Linck wegen "Unzucht zwischen Frauen" hingerichtet wurde

Catharina Margaretha Linck alias Anastasius Lagrantinus Rosenstengel führte ein Leben wie aus einem barocken Schelmenroman: als Prophet, Soldat, Bettler, Gauner und Ehemann – bis sie, von der Schwiegermutter denunziert, wegen "Sodomie" vor Gericht kam.

Von Ulrike Rückert | 08.11.2021
Kopfsteinpflaster auf dem Platz vor teils rekonstruierten, historischen Rathaus von Halberstadt. aufgenommen am 13. Juli 2020
Der Rathausplatz von Halberstadt - in der sach­sen-an­hal­ti­nischen Stadt wurde Catharina Margaretha Linck vermutlich am 8. November 1721 mit dem Schwert hingerichtet (dpa-Zentralbild)
"Es hat sich zu Halberstadt ein so gar extraordinäres Verbrechen zugetragen, dass eine Weibesperson die andere wirklich sich antrauen lassen, beide als Mann und Frau durch Gebrauch eines darzu gefertigten ledernen Instruments etliche Jahre zusammen gelebet; dabei haben sich mit der als Mann verkleideten Frau noch verschiedene andere rare Begebenheiten zugetragen. In Summa es sind solche Umstände bei der Sache, die so leicht nicht in der Welt passieret sein mögen."
Eine saftige Geschichte versprach der Kanzleibericht für den auf Reisen befindlichen Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg und König in Preußen, im Sommer 1721. Ob man ihm die Kriminalakte gleich nachsenden solle? Nein, "Soll das Urteil schicken!", verlangte der Monarch.
Porträt der Schriftstellerin Angela Steidele
Musik und Fragen zur Person - Catharina Linck-Biografin Angela Steidele
Angela Steidele erzählt im Buch "In Männerkleidern" mitreißend "Das verwegene Leben der Catharina Linck - Im jüngsten Buch "Zeitreisen" erweist sich die renommierte Wissenschaftlerin und Schriftstellerin als virtuose Biografin außergewöhnlicher Frauen.

Sieben Jahre als Musketier in verschiedenen Armeen

Die Delinquentin Catharina Margaretha Linck hatte ein Leben wie aus einem barocken Schelmenroman geführt: Die uneheliche Tochter einer mittellosen Witwe und eines Soldaten, mit 13 Jahren bei einem Handwerker als Magd verdingt, entlief mit 15 ihrem Dienstherrn und verwandelte sich in einen Mann. Als Anastasius Lagrantinus Rosenstengel zog sie mit einer Täufersekte als Prophet durchs Land und diente sieben Jahre lang als Musketier in verschiedenen Armeen. Dann lebte sie als Frau in Halle, bis sie, nun wieder als Mann, in Halberstadt Catharina Margaretha Mühlhahn heiratete. Mal mit, mal ohne Ehefrau war sie als Bettler auf der Landstraße und ergaunerte sich Unterkunft und Geldgeschenke, indem sie sich erst von Jesuiten, dann von einem evangelischen Pastor als verirrtes Schaf zur jeweils wahren Religion führen ließ. Das Verhängnis begann mit einem Streit mit der Schwiegermutter in Halberstadt.
"Auch habe die Mutter ihr vorgehalten, dass sie kein Kerl, sondern ein Weib wäre, ihr den Degen begriffen, die Hosen aufgerissen, dieselbe visitieret und gefunden, dass sie ein Weib sei, und hätte die Schwiegermutter das lederne Instrument in die Gerichte geliefert."

Geschlecht und Stand bestimmten den Platz in der Frühen Neuzeit

Catharina/Anastasius und ihre Ehefrau wurden sofort verhaftet. Ob Linck sich als Mann fühlte, nach heutigen Begriffen transgeschlechtlich war, kann aus den erhaltenen Quellen nicht beantwortet werden. Frauen galten an Geist, Moral und Charakter den Männern unterlegen, aber man schrieb den Geschlechtern keine grundsätzlich verschiedenen Eigenschaften zu. Geschlecht und Stand bestimmten jedoch den Platz, der den Menschen in der Welt von Gott zugewiesen war und dem gemäß sie sich zu verhalten hatten.

Kapitalverbrechen "Sodomie"

"Dass sie sich in Mannskleider gesteckt, das hätten ja mehr Weibsleute getan", so berichtet die Akte, versuchte Catharina Margaretha Linck sich zu verteidigen. Man hörte hin und wieder von Frauen, die als Mann lebten. Das konnte als Verstoß gegen die göttliche Ordnung bestraft oder als Kuriosität bestaunt und geduldet werden. Sie selbst war unter den Soldaten zweimal als Frau entlarvt und ohne Strafe weggeschickt worden, und während sie in Halle als Frau lebte, trug sie oft auch Männerkleider. Ein schweres Verbrechen war jedoch die sexuelle Beziehung zwischen zwei Frauen, als Variante der sogenannten Sodomie.
"Sodomie bedeutet überhaupt einen jeden unnatürlichen Gebrauch der Zeugungsglieder. Sie ist das schwereste und abscheulichste unter allen fleischlichen Lastern", heißt es in Zedlers Lexikon aus dem 18. Jahrhundert. Und das kaiserliche Strafgesetz bestimmte:
"Item so ein Mensch mit einem Vieh, Mann mit Mann, Weib mit Weib, Unkeusch treiben, die haben auch das Leben verwirkt."

Ob "Sodomie" zwischen Frauen überhaupt möglich sei, war strittig

Weil über Todesurteile der Kurfürst-König persönlich entschied, wurde die Gerichtsakte nach Berlin geschickt, wo ein Gremium von Juristen eine Empfehlung zu geben hatte. Diese Rechtsgelehrten waren sich uneins, ob "Sodomie" zwischen Frauen überhaupt möglich sei. Einige meinten, das Verbrechen sei minder schwer, weil dabei ja kein Samen vergeudet werde. Das Gutachten ließ Friedrich Wilhelm die Wahl zwischen Todesstrafe und lebenslangem Zuchthaus. Er entschied:
"Soll die Lincken, sonst Rosenstengel genannt, mit dem Schwert vom Leben zum Tode gebracht werden."
Vermutlich am 8. November 1721 wurde Catharina Margaretha Linck in Halberstadt hingerichtet. Catharina Margaretha Mühlhahn hatte darauf beharrt, sie habe lange nicht gewusst, dass ihr Ehemann eine Frau war, die sexuelle Beziehung aber beendet, als sie es entdeckte. Sie wurde für drei Jahre ins Zuchthaus gesperrt, kam aber mit dem Leben davon.