"Es wurde eine imaginäre Linie westlich der Kapverdischen Inseln von Pol zu Pol gezogen und vereinbart: Alles, was westlich der Linie liegt, soll spanisch bzw. kastilisch sein und alles, was östlich der Linie liegt, portugiesisch", sagt Politikwissenschaftler Ulrich Menzel.
Ein Jahr lang hatten Spanien und Portugal miteinander verhandelt, bevor sie am 7. Juni 1494 in Tordesillas, einer kleinen Stadt im Norden Spaniens, endlich eine Einigung darüber erzielten, wie sie die Welt in Zukunft untereinander aufteilen wollten. Es war der erste Vertrag, der eine globale Reichweite für sich beanspruchte - und er hatte eine lange Vorgeschichte.
Ein Jahr lang hatten Spanien und Portugal miteinander verhandelt, bevor sie am 7. Juni 1494 in Tordesillas, einer kleinen Stadt im Norden Spaniens, endlich eine Einigung darüber erzielten, wie sie die Welt in Zukunft untereinander aufteilen wollten. Es war der erste Vertrag, der eine globale Reichweite für sich beanspruchte - und er hatte eine lange Vorgeschichte.
Wem sollten die neu entdeckten Ländereien gehören?
Sie reichte zurück bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts, als Portugal mit seinen Erkundungsfahrten entlang der afrikanischen Küste begonnen und sich darüber zur führenden europäischen Seemacht entwickelt hatte. Die Portugiesen hofften, auf dem Seeweg bis nach Indien im fernen Osten zu gelangen, wo die Schätze des Orients lockten. Es war ihnen eben erst gelungen, das Kap der Guten Hoffnung zu umschiffen, als Christoph Kolumbus im März 1493 von seiner Atlantiküberquerung zurückkehrte – und behauptete, dass er auf der West-Route in Indien gelandet sei.
Dazu der Politikwissenschaftler Ulrich Menzel: "Für die Portugiesen war klar: Das konnte nicht sein. Denn sie waren die Empiriker, während der Kolumbus nur einer Spekulation gefolgt ist. Auf jeden Fall hat dann der Konflikt zwischen Kastilien, in dessen Auftrag Kolumbus gesegelt ist, und Portugal begonnen - wem sollen denn diese neuen Ländereien, die man da entdeckt hat oder glaubt, in Zukunft entdecken zu werden, gehören?"
Portugals König Johann II. machte seine Ansprüche geltend. Er berief sich auf einen älteren Vertrag mit Spanien, demzufolge Portugal alle Gebiete zufallen sollten, die südlich der Kanarischen Inseln entdeckt werden würden. Letzteres traf auf die Inseln Hispaniola und Kuba, auf denen Kolumbus tatsächlich gelandet war, eindeutig zu.
Die spanische Krone wiederum wandte sich an Papst Alexander VI., der selber aus Spanien stammte - und sich prompt auf die Seite seiner Landsleute schlug. In seiner berühmten Bulle "Inter caetera divinae" legte er erstmals eine Demarkationslinie fest, um das spanische vom portugiesischen Hoheitsgebiet zu trennen. Sie sollte rund 500 Kilometer westlich der Kapverden verlaufen, doch das war den Portugiesen zu wenig. Im Vertrag von Tordesillas kamen Portugal und Spanien schließlich überein, die Trennlinie über 1.000 Kilometer weiter nach Westen zu verschieben.
Portugal entdeckte Brasilien - sagte es aber nicht
"Und auf diese Weise ist dann die Ostspitze Lateinamerikas in die portugiesische Hälfte gerückt", erklärt Ulrich Menzel. "Deswegen spricht man heute in Brasilien Portugiesisch. Und in allen anderen lateinamerikanischen Ländern Spanisch." Vieles spricht dafür, dass die Portugiesen damals schon wussten, dass auf der Höhe des heutigen Brasilien eine Landmasse existierte. Um die Südspitze Afrikas umrunden zu können, hatten sie sehr weit nach Westen ausholen müssen.
"Und bei dieser Gelegenheit haben sie, in Häkchen, im ‚Vorbeifahren‘ wahrscheinlich Brasilien entdeckt - ohne es aber bekanntzugeben", vermutet Menzel. Die Portugiesen konnten fürs Erste zufrieden sein. Damit, dass sie die von Kolumbus entdeckte Neue Welt den Spaniern überlassen hatten, um selber die Suche nach einem Seeweg nach Indien ungehindert fortsetzen zu können, konnten sie leben. Welche Reichtümer diese Neue Welt barg, sollte sich erst später zeigen, als die spanischen Eroberer ins Innere des amerikanischen Kontinents vordrangen.
Doch vieles hatte der Vertrag von Tordesillas auch offengelassen. So blieb unklar, auf welcher geografischen Länge die Trennlinie eigentlich verlief, weil es damals noch gar nicht möglich war, einen Längengrad genau zu bestimmen. Auch hatten die Spanier ihre Hoffnung, auf der West-Route nach Indien zu gelangen, keineswegs aufgegeben. Nach der ersten Weltumsegelung durch Ferdinand Magellan wurde 1529 östlich der Molukken eine zweite Demarkationslinie gezogen, um die Einflusssphären auch in Asien gegeneinander abzugrenzen.
Bald traten aber auch andere Länder auf den Plan, die sich, wie die Niederlande und England, als Kolonialmächte etablieren wollten - und sich dabei um Verträge Dritter nicht weiter scherten. Insofern blieb die hybride Vorstellung der Spanier und Portugiesen, die Welt einfach unter sich aufteilen zu können, letztlich doch eine Illusion.