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Vor 55 Jahren
Die Geburt des Sandmännchens

Sein Markenzeichen sind Zipfelmütze und Ziegenbart, und es besitzt einen Fuhrpark von über 250 Fahr- und Flugmaschinen. Seit Generationen besucht es damit die Kleinsten vor dem Einschlafen: das Sandmännchen - eines der wenigen TV-Geschöpfe der DDR, das auch heute noch über die gesamtdeutschen Mattscheiben stiefelt.

Von Hartmut Goege | 22.11.2014
    Der Sandmann und sein "Vater" Gerhard Behrendt, aufgenommen am 20.10.1989 in Berlin.
    Der Sandmann und sein "Vater" Gerhard Behrendt, aufgenommen am 20.10.1989 in Berlin. (picture-alliance/ ZB - dpa-Zentralbild)
    "Sandmann, lieber Sandmann, es ist noch nicht soweit! Wir sehen erst den Abendgruß, ehe jedes Kind ins Bettchen muss, du hast gewiss noch Zeit."
    Es gehört wohl zu den dienstältesten Akteuren im Deutschen Fernsehen überhaupt. Seit Generationen reiben sich allabendlich Kinder vor den Bildschirmen die Augen, wenn der wohlbekannte Ohrwurm erklingt - von Wolfgang Richter an einem Abend komponiert - und das Sandmännchen einschwebt.
    Als es am 22. November 1959 im DDR-Fernsehen seinen ersten Auftritt hatte, musste das Sandmännchen noch zu Fuß gehen. In dem kleinen Zweiminüter sackt es am Ende, nachdem alle Kinder mit Schlafsand versorgt sind, erschöpft an einer Hausecke im Schnee zusammen. Nach der Sendung hagelte es Proteste ob des vermeintlich obdachlosen Sandmännchens - wie sich der mittlerweile verstorbene Regisseur Gerhard Behrendt erinnerte.
    "Und dann ging natürlich was los, das konnten sich die Kinder nicht gefallen lassen, die Eltern auch nicht. Die haben gemeint, da muss man was ändern. Vielleicht hat er kein Bett, vielleicht hat er noch nicht mal eine Unterkunft. Da haben die Kinder sich vieles überlegt, ihre Kinderbetten wurden angeboten, ganze Kinderzimmerchen, um dem Sandmann ein Zuhause zu geben."
    Ost-West-Wettlauf um den ersten Sandmann-Auftritt
    Dieser erste, etwas unvollkommene Auftritt des Sandmännchens war dem damaligen Wettlauf im Ostwest-Konflikt geschuldet. Seit Oktober 1959 hatte man im Ostfernsehen die Kindersendung "Abendgruß" gesendet - noch ohne Sandmann. Anfang November fiel DDR-Fernsehoberen eine Pressenotiz des Westberliner SFB, des Sender Freies Berlin, in die Hände. Darin wurde der Start einer Kindersendung mit einem Sandmännchen - nach dem Vorbild einer Märchenfigur von Hans Christian Andersen - für die Vorweihnachtszeit angekündigt. Die DDR-Fernsehmacher argwöhnten, der SFB wolle der zeitgleich laufenden Ost-Kindersendung Zuschauer wegnehmen. Sofort wurde Trickfilmer Gerhard Behrendt beauftragt, eine eigene Sandmann-Puppe zu entwickeln, um vor der Westkonkurrenz starten zu können. Innerhalb von drei Wochen schaffte er es, die Puppe zu gestalten und als Animationsfilm zu produzieren:
    "Die Sendung war schon festgelegt, und die Puppe war eigentlich noch gar nicht richtig ausgedacht bis zum Ende. Und so kam es, dass das Sandmännchen zunächst mal über den Sender ging mit einer noch völlig anderen Gestalt."
    Zwei Monate später hatte der Sandmann die Gestalt angenommen, die er heute noch hat: Knopfaugen, Ziegenbärtchen, Zipfelmütze und die Sandsäckchen mit dem Traumsand. Sein Markenzeichen wurden die unterschiedlichsten Fahr- und Flugmaschinen, mit denen er die Welt bereiste, um seinen Kindern Gute-Nacht-Geschichten zu präsentieren. Vom Fahrrad über Züge, Zeppeline und Hubschrauber landete er schließlich auf dem Höhepunkt seiner Karriere 1978 sogar auf der sowjetischen Raumstation Saljut 6 bei Sigmund Jähn, dem ersten Deutschen im Weltall:
    "Eine besondere Überraschung haben wir für unsere Kinder in der Deutschen Demokratischen Republik. Vor nicht allzulanger Zeit hat der Sandmann bei uns festgemacht mit seiner Spezialrakete. Er hat sich den Bedingungen im Weltraum hervorragend angepasst."
    Demos für den Erhalt des Sandmännchens
    Das Sandmännchen Ost, das im Laufe der Zeit neun verschiedene West-Sandmann-Kollegen hatte, die sämtlich in den Archiven verschwunden sind, landete als Exportschlager nicht nur im sozialistischen Ausland, selbst in Finnland, Schweden oder Zypern kannte und kennt man es. Als 1991 nach der Wende das Ost-Fernsehen abgewickelt wurde, drohte auch dem Sandmännchen das Aus. Doch dem Aufstand der Kinder in ehemaligen DDR-Haushalten kamen die Eltern mit erfolgreichen Demonstrationen für den Erhalt ihres Sandmanns zuvor.
    "Wir haben gehört, dass die Redaktion vom Sandmännchen aufgelöst werden soll. Das kann man nicht so sang- und klanglos hier einfach sein lassen"
    "Ich bin für meinen Sohn hier, um zu dokumentieren, dass für ihn der Sandmann das Notwendige ist, damit er schön einschlafen kann."
    Seitdem stiefelt der Ostsandmann für die neugegründeten ARD-Anstalten Rundfunk Berlin-Brandenburg und Mitteldeutscher Rundfunk täglich über die gesamtdeutschen Mattscheiben und versorgt weiterhin zuverlässig die Kleinen mit seinem Traumsand.
    "Kinder, liebe Kinder, es hat mir Spaß gemacht! Nun schnell ins Bett und schlaft recht schön, dann will auch ich zur Ruhe geh'n. Ich wünsch euch gute Nacht."