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Vor 75 Jahren
Als sich Madagaskar gegen die Franzosen erhob

Um von der französischen Kolonialmacht unabhängig zu werden, kam es am 29. März 1947 auf Madagaskar zu einem blutigen Aufstand. Bei Frankreichs Gegenschlag kamen mehr als 100.000 Madegassen ums Leben. Bis heute hält Paris wichtige Akten über das Geschehen unter Verschluss.

Von Antje Allroggen | 29.03.2022
Militärparade anlässlich der Unabhängigkeitsfeier in Antananariv, Madagaskar im Juni 1960. Am 26 Juni 1960 erhielt die ehemalige französische Kolonie Madagaskar die Unabhängigkeit
Unabhängigkeitsfeier in Antananarivo, Madagaskar im Juni 1960 - 13 Jahre nach Beginn des blutigen Madagaskar-Aufstands entließ Frankreich seine Kolonie in die Selbstständigkeit (picture-alliance/ dpa)
In der Nacht vom 28. auf den 29. März 1947, dem Vorabend von Palmsonntag, kommt es an mehreren Orten auf Madagaskar zu einem blutigen Aufstand. Vor allem im Osten werden Angriffe auf französische Militärstützpunkte und Plantagen gemeldet. Madagaskar befindet sich zu diesem Zeitpunkt schon seit mehr als 50 Jahren unter französischer Kolonialherrschaft.
Schnell breiten sich die Kämpfe auch auf andere Inselteile aus, erklärt die Ethnologin Mareike Späth: "Als organisierte Kämpfer gleichzeitig an mehreren Orten der Insel militärische und auch strategische und auch zivile Standorte und Stellungen letztendlich der Kolonialregierung angegriffen haben, verfolgten diese Kämpfer das Ziel der Befreiung der Insel von der französischen Fremdherrschaft.“

De Gaulles leeres Versprechen der Unabhängigkeit

Nach Kriegsende hatten viele Madagassen zunächst einmal Hoffnung geschöpft. Denn der französische General de Gaulle hatte den Insulanern in seiner Rede von Brazzaville im Januar 1944 ihre Unabhängigkeit versprochen. 16 Jahre später heißt es dazu in einem Radiobeitrag aus der kongolesischen Hauptstadt, in der damals üblichen rassistischen Haltung:
"Hier in Brazzaville hat de Gaulle auch Anfang 1944 sein liberales Afrika-Programm angekündigt. Schon damals hatte er den Negern der französischen Kolonien die Selbstständigkeit in Aussicht gestellt."

Wie Frankreich zurückschlug

Doch dieses Versprechen war im Fall von Madagaskar nicht eingelöst worden. Madagaskar blieb französische Kolonialmacht. Zunächst kaum spürbar, hatte sich auf der Insel politischer Widerstand gegen die Fremdbestimmung formiert. Als es zu den Angriffen kommt, sind die französischen Sicherheitskräfte nicht vorbereitet. Erst zwei Monate später beginnt das französische Militär mit einem heftigen Gegenschlag. Dafür waren fünf Bataillone aus Nordafrika nach Madagaskar gekommen.
"Flugzeuge tauchten auf und warfen Bomben ab. Die Bomben trafen auf einem Feld ganz in der Nähe unseres Hauses ein, wo wir Reis angebaut hatten, und entwurzelten einen Drachenblutbaum", heißt es in dem Roman "Madagaskar" von Jean-Luc Raharimana, der den Aufstand auf Madagaskar thematisiert. Wie viele andere Texte ist er erst Jahrzehnte nach den Angriffen um das Jahr 2000 herum entstanden. Einer der wenigen Zeitzeugenberichte stammt von dem französisch-algerischen Schriftsteller Albert Camus.

Camus' Mahnung

In der französischen Zeitschrift „Combat“ schreibt er im Mai 1947: "Wir machen auf Madagaskar genau das, was wir den Deutschen vorgeworfen haben: Mir ist durchaus bewusst, dass es von uns dafür eine Erklärung gab: Nämlich die, dass die Madagassen französische Landsmänner getötet haben. Aber die niederträchtigen kriminellen Taten unserer Feinde rechtfertigen nicht, uns ebenso niederträchtig zu verhalten.“
Tatsächlich kam es ab Mai 1947 zu mehreren Massakern an Madagassen auf der Insel. Durch den von den Franzosen als Befriedung titulierten Gegenangriff wurden schätzungsweise mehr als 100.000 Menschen umgebracht - durch Folter, Massenhinrichtungen und Zwangsumsiedlungen. Ganze Dörfer wurden niedergebrannt, sagt Mareike Späth: "Da wird dann deutlich, was von französischer Seite gerne auch als Pazifizierung oder Befriedung der Insel bezeichnet wird, da doch eine Gegenbewegung war, die die Unabhängigkeitsbewegungen unterbrochen hat."

Der Rest ist Schweigen?

Unmittelbar nach der Niederschlagung des Aufstands stellte die französische Regierung alle Dokumente des Militärs, des Außenministeriums und des Kolonialministeriums unter Verschluss. Aus diesem Grund wurde damals auf Madagaskar und selbst in den französischen Medien kaum darüber berichtet. Denn, so Mareike Späth: "Es gab ein weitverbreitetes Schweigen einmal innerhalb der Bevölkerung, die auch einfach unter diesen Aufständen gelitten hat. Auch dort, wo die Leute sich beteiligt haben."
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Erst 1958, knapp zehn Jahre später, kommt es zu einem Referendum, in dem sich Madagaskar für seine politische Unabhängigkeit ausspricht. Der 29. März wird zum nationalen Feiertag der Insel erklärt. Erst im Jahr 2005 verurteilte der damalige französische Präsident Jacques Chirac das blutige Niederschlagen des Aufstands durch sein Land, indem er dessen Unterdrückung als „inakzeptabel“ bezeichnete.