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Vorbild Bayern
Auch NRW sucht ein neues Polizeigesetz

In Bayern haben Tausende gegen das neue Polizeiaufgabengesetz demonstriert, das schließlich dennoch verabschiedet wurde. Auch in Nordrhein-Westfalen arbeitet der Landtag an einem Polizeigesetz mit ähnlich weitreichenden Befugnissen - und auch dort regt sich Protest.

Von Mirjam Kid | 24.05.2018
    Polizei-Schriftzug auf dem Rücken eines Polizisten
    Die Freiheiten, die der Polizei in NRW bei der Überwachung von Telefongesprächen und beim Auslesen von Handynachrichten künftig eingeräumt werden sollen, gehen Kritikern zu weit (imago stock&people)
    "Resistencia", "Widerstand", ertönt es vor dem Düsseldorfer Landtag. Drinnen nimmt das neue Polizeigesetz die erste Hürde auf seinem parlamentarischen Weg. Es ist die erste Lesung. Auf einem blauen Banner, das Demonstrierende aufgespannt Richtung Landtag halten, steht: Nein zum neuen Polizeigesetz. Knapp 60 Menschen haben sich heute hier versammelt. Viele gehören zum Netzwerk "Nein zum neuen Polizeigesetz": ein zivilgesellschaftliches Bündnis, das sich vor wenigen Wochen gegründet hat. Auch Annegret ist mit dabei:
    "Mich hat damals schon die Reform in Bayern schockiert und ich möchte auf gar keinen Fall, dass sich diese Tendenzen in Deutschland weiterverbreiten."
    Schleichende Erosion von Bürgerrechten befürchtet
    Sie befürchtet, dass es in NRW in Zukunft nur noch eingeschränkt möglich sein wird, gegen staatliche Vorhaben oder unliebsame Entwicklungen zu protestieren:
    "Ich denke immer, dann werden dann in Zukunft der Exekutive mehr Rechte eingeräumt, dann auch gegen Demonstranten vorzugehen. Was ich besonders fatal finde: Wenn dadurch auch die Bereitschaft von Menschen schwindet, dann auch zu Demonstrationen zu gehen – und ich denke, das wird im Laufe der Zeit, ja, das wird ein schleichender Prozess sein."
    Elektronische Fußfesseln, Überwachung der Telekommunikation, ausgeweitete Ingewahrsamnahme auf bloßen Verdacht hin - soweit einige der Inhalte des Gesetzesentwurfs in Kürze. Schon der Verdacht einer "drohenden terroristischen Gefahr" rechtfertigt künftig massive Eingriffe bis zum Freiheitsentzug.
    Kritiker befürchten eine schleichende Erosion von Bürgerrechten unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung - so auch Niels. Die Freiheiten, die der Polizei bei der Überwachung von Telefongesprächen und beim Auslesen von Handynachrichten künftig eingeräumt werden sollen, gehen ihm zu weit. Die Möglichkeit, seine Privatsphäre bei Demonstrationen zu schützen, gäbe es dann faktisch nicht mehr.
    "Das ist gefährlich. Weil es ist zu Recht so, dass im Grundgesetz steht, dass man das Recht hat, anonym an Versammlungen teilzunehmen. Weil eben allein schon die Tatsache, dass der Staat weiß, dass ich demonstriere, das schränkt mich schon in meiner Meinungsfreiheit ein. Es geht darum, dass ich demonstrieren kann, wann und wo ich will, ohne dass mich jemand kontrolliert."
    Feurige Debatte im Landtag
    Mittlerweile ist es halb zwölf. In wenigen Minuten soll die Debatte im Landtag losgehen. Nur wenige Politikerinnen und Politiker machen heute auf dem Weg in den Plenarsaal hier halt. NRW-Innenminister Herbert Reul von der CDU war aber heute schon hier, wie eine Demonstrantin erzählt:
    "Also ich fand’s grundsätzlich gut, dass er auf uns zugegangen ist. Aber wie er sich gegeben hat, hat es eher so gewirkt, als würde er die Proteste sowieso nicht ernstnehmen."
    Im Plenarsaal beginnt die Diskussion: "Ich hab ja gesehen, dass da heute zu meinen Ehren erstmalig eine Demonstration veranstaltet worden ist. Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich in meinem Leben sowas noch erlebe", so der NRW-Innenminister in seinem Eingangsstatement.
    Es folgt: eine feurige Debatte.
    "Null Toleranzpolitik statt einer weichen Welle Nordrhein-Westfalen, wie es in der Vergangenheit gewesen ist! Das sind die Kerne unserer Politik."
    "Viel Aktionismus, viel Symbolpolitik – kein Mehr an Sicherheit. Dafür insgesamt massive Eingriffe in die Grundrechte!"
    "Es geht um Instrumente, die die Polizei braucht, um sicher vernünftig arbeiten zu können, um die Sicherheit der Menschen zu verbessern."
    "Wissen Sie, was das ist, Herr Minister? Das ist Populismus pur! Und wissen Sie, was das auch ist? Das ist eines Ministers, der der Verfassungsminister in Nordrhein-Westfalen ist, nicht würdig!"
    Wie in Bayern: Knackpunkt "drohende Gefahr"
    Im Bündnis gegen das neue Polizeigesetz engagiert sich mittlerweile auch Rechtsanwalt Christian Mertens. Die Verschiebung hin zur "drohenden Gefahr" als Türöffner für die neuen erweiterten polizeilichen Maßnahmen ist für ihn das größte Problem an dem Gesetz:
    "Ich brauchte bisher als Polizei die ‚Gefahr‘, jetzt habe ich die ‚drohende Gefahr‘ und schon kann ich mit allen möglichen Maßnahmen um die Ecke kommen. Wir fangen zu einem Zeitpunkt an, an dem man den Leuten im Zweifel noch gar nichts nachweisen kann. Dass man zu einem Zeitpunkt, an dem überhaupt noch gar nichts feststeht, mit den heftigsten Maßnahmen, die es im Rechtsstaat gibt, nämlich mit Freiheitsentzug regieren kann."
    Und zwar bis zu einem Monat, mit richterlicher Genehmigung. Positive Seiten des neuen Gesetzes?
    "Man muss zwei Sachen unterscheiden, vom Ergebnis her sind sicher einige Dinge gelungen: Wenn sie alle Leute, die möglicherweise einmal terroristische Straftaten begehen, einsperren, dann können die keine terroristischen Straftaten begehen – optimal. Die Frage ist nur, wieviele Leute sperren sie dabei auch ein, die niemals terroristische Straftaten begehen würden, und wieviele Leute sperren sie ein, die gegen kein einziges Strafgesetz verstoßen haben?"
    Noch ließe sich etwas verändern
    Optimistisch, daran noch etwas ändern zu können, ist Rechtsanwalt Christian Mertens allerdings nicht: "Schöner Satz, Thomas Mann hat ihn gesagt: Die Freiheit darf nicht an ihrer Verteidigung sterben - und genau das passiert gerade."
    Die Demonstrierenden vor dem Düsseldorfer Landtag wollen hingegen nicht so leicht kleinbeigeben. Schließlich wird es nach der ersten Lesung noch eine Anhörung von Sachverständigen geben, eine Auswertung im Innenausschuss und dann erst die zweite und dritte, also die finale Lesung und Abstimmung im Landtag. Noch ließe sich etwas verändern.
    "Ob wir’s abwenden können, da bin ich immer noch optimistisch. Vor allem wollen wir erstmal der Öffentlichkeit zeigen, was überhaupt hier im Landtag besprochen wird."