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Vorratsdatenspeicherung
"Die Verhältnismäßigkeit stimmt nicht"

Der Bielefelder SPD-Vorsitzende Marcus Lufen hat im Deutschlandfunk den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung kritisiert. Die Speicherung von Daten sei hier nicht zureichend geregelt. Sollte die SPD-Spitze nicht zu Änderungen bereit sein, werde er auf dem heutigen Parteikonvent gegen den Entwurf stimmen.

Marcus Lufen im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Menschen demonstrieren am 12.06.2015 vor dem Reichstagsgebäude in Berlin gegen die Speicherung von Vorratsdaten.
    Protest gegen die Vorratsdatenspeicherung vor dem Berliner Reichstagsgebäude. (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    Der Abwägungsprozess zwischen innerer Sicherheit und Datenschutz sei immer schwierig, so Lufen. Für den aktuellen Vorschlag zur Vorratsdatenspeicheung gelte aber: "Die Verhältnismäßigkeit stimmt nicht." Zwar sei der Entwurf von Justizminister Heiko Maas (SPD) zurückhaltend, was den Abruf von Daten angehe. Doch der Europäische Gerichtshof habe zutreffend formuliert, dass eine anlasslose Datenspeicherung ein Eingriff ins informelle Selbstbestimmungsrecht der EU-Bürger sei. "Und die Speicherung ist nicht ausreichend geregelt", monierte der Bielefelder SPD-Vorsitzende. Sollte es hier keine Eingrenzung geben, werde er gegen den Entwurf stimmen.
    Lufen erwartet ein knappes Abstimmungsergebnis - und sieht die Folgen eines möglichen "Neins" der Regierungspartei nicht dramatisch: "Das ist keine Koalitionsfrage, die Regierungsfähigkeit wird auch nicht in Frage gestellt", sagt er. "Es geht um eine Sachfrage." Auch die Position von Parteichef Sigmar Gabriel sei nicht gefährdet, ein Vorsitzender müsse sich ja nicht immer in jeder Sachfrage durchsetzen. "Wir haben einen hervorragenden Sigmar Gabriel und der soll es auch bleiben", so Lufen.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Das Thema sorgt jetzt schon seit Jahren für Streit – in der Großen Koalition zwischen Union und SPD. Aber die Frage, ob der Staat ohne Anlass auf Vorrat riesige Mengen von Daten seiner Bürger sammeln soll, die sorgt auch SPD-intern schon lange für viel Zoff. Die SPD-Innenminister aus den Ländern, die wollen sie zum Beispiel, viele Netzpolitiker nicht, auch der sozialdemokratische Justizminister Maas, der wollte sie eigentlich nicht, aber SPD-Parteichef Gabriel schon. Und darüber, wie er sich damit durchgesetzt hat, hat er jetzt viele Sozialdemokraten verärgert. Und diesem Ärger könnten sie heute Luft machen – heute stimmt die Partei nämlich auf einem Konvent in Berlin über die umstrittene Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ab. Kann das auch Sigmar Gabriel gefährlich werden?
    Am Telefon ist jetzt Markus Lufen, SPD-Chef aus Bielefeld und Delegierter heute auf dem Parteikonvent. Guten Morgen!
    Markus Lufen: Guten Morgen, Frau Schulz!
    Schulz: Sie sind Gegner der Vorratsdatenspeicherung, aber die Partei hat sich ja eigentlich 2011 schon dafür ausgesprochen. Warum machen Sie das Fass jetzt wieder auf?
    Lufen: Wir machen das Fass nicht auf, sondern es geht hier auch um die Haltung des Europäischen Gerichtshofs, die hier ganz klar, sag ich mal, den Gesetzesentwurf kritisieren, und das ist das Grundproblem, was wir heute auch diskutieren. Das ist immer ein schwieriger Abwägungsprozess zwischen der Gestaltung von Sicherheitsgesetzen auf der einen Seite und der Wahrung der Grundrechte auf der anderen Seite, aber die Verhältnismäßigkeit, die muss stimmen.
    Schulz: Und die stimmt aber nicht Ihrer Meinung nach?
    Lufen: Nein, die Verhältnismäßigkeit stimmt an der Stelle nicht, und für die SPD stellt sich deshalb auch die Kernfrage, wie wir uns die Perspektive einer Bürgerrechtspartei hier vorstellen.
    Schulz: Die Parteispitze sagt ja, dass die Vorratsdatenspeicherung einfach gebraucht wird zur Verbrechensbekämpfung und dass der Gesetzentwurf, so wie ihn Justizminister Maas jetzt geschrieben hat, dass der ja eine wirklich schon abgespeckte Version ist. Warum können Sie das nicht akzeptieren?
    Lufen: Ja, also Heiko Maas hat an der Stelle recht, was den Abruf der Daten anbetrifft, aber ich verweise hier noch mal auch auf den Europäischen Gerichtshof. Der hat ganz zutreffend formuliert, dass die anlasslose Datenspeicherung ein Eingriff in die Grundrechte der gesamteuropäischen Bevölkerung ist. Es geht um die Speicherung, um den ersten Schritt, und diese Speicherung, die ist nicht geregelt, die ist nach wie vor – bis auf, sag ich mal, die zeitlichen Befristungen – nicht geregelt.
    Schulz: Also dann stimmen Sie heute gegen die Vorratsdatenspeicherung?
    Lufen: Wenn es dabei bleibt, würde ich dagegen stimmen, ja. Ich erwarte schon, dass man hier auch eine Eingrenzung und Regulierung auch bei der Datenspeicherung findet, nicht nur beim Thema, wie gehe ich beim Abruf damit um – damit bin ich zufrieden, was den Antrag anbetrifft –, aber nicht, was die Speicherung anbetrifft.
    Schulz: Aber die Parteispitze hat doch überhaupt nicht signalisiert, an diesem Gesetzentwurf jetzt noch nachbessern zu wollen. Wie kommen Sie darauf, dass man Ihnen da jetzt noch entgegenkommt?
    Lufen: Dafür ist ein Parteitag da, hier können wir auch Änderungsanträge stellen. Wenn sich der Parteivorstand in die Richtung bewegt, würde mich das sehr freuen, das ist aber auch die Grundvoraussetzung. Wie gesagt, in diesem Abwägungsprozess müssen wir uns entscheiden, was hier wichtiger ist, und ich sehe auch keine Drohkulissen, es ist für mich auch keine Koalitionsfrage oder die Regierungsfähigkeit ist hier auch nicht infrage gestellt. Es geht hier um eine Sachfrage, und die muss man vernünftig beantworten.
    Schulz: Was passiert, wenn heute die Mehrheit der Delegierten gegen diesen Entwurf oder gegen die Vorratsdatenspeicherung stimmt?
    Lufen: Das wäre schade, wenn wir uns nicht gemeinsam heute auf dem Parteikonvent auf einen Kompromiss einigen könnten. Auf der anderen Seite haben wir dann viel, viel Zeit, mal darüber nachzudenken, welche Hausaufgaben uns der Europäische Gerichtshof mit auf den Weg gegeben hat, denn die Grundrechte, denen wird er nach meiner Ansicht hier nicht gerecht. Ein Gesetzesentwurf so – das zweifeln ja auch viele Juristen an – wird sicherlich keinen Bestand haben können.
    Schulz: Und wie kommen Sie darauf, dass es jetzt nicht auch um die Regierungsfähigkeit der SPD geht? Es geht um einen Gesetzentwurf, den Schwarz-Rot gemeinsam verabschiedet hat. Wenn die SPD da jetzt noch mal einen Rückzieher macht, dann geht es doch natürlich auch um die Regierungsfähigkeit.
    Lufen: Die Grundlage einer Zusammenarbeit ist der Koalitionsvertrag, und wir haben hier festgehalten, dass wir auf europäischer Ebene in dieser Frage der Vorratsdatenspeicherung eine Regelung finden müssen, und es gibt dementsprechend eine unterschiedliche Interpretation darüber, ob der Gesetzesentwurf jetzt, sag ich mal, den Hinweisen des Europäischen Gerichtshofs gerecht wird. Und das tut er meiner Meinung nach nicht.
    Schulz: Und Sigmar Gabriel und die Parteispitze, die sehen das ja anders, haben auch signalisiert, dass sie an dem Gesetzentwurf so festhalten wollen, aber wenn ich Sie richtig verstehe, dann wird es heute nicht zu einem Sturz kommen – und der Satz der Grünen-Politikerin stimmt, von Göring-Eckardt, nämlich dass die SPD eine Abnickerpartei ist.
    Lufen: Wir sind eine lebendige Partei, ich finde es auch gut, dass wir diesen Diskurs führen – der wird natürlich auch mal kritisch kommentiert, gar keine Frage –, aber ich bin sehr stolz über diese Diskussionskultur unserer Partei, und für mich stellt sich nicht die Frage nach der Rolle des Parteivorsitzenden. Wir haben einen sehr hervorragenden Sigmar Gabriel, und der soll's auch bleiben, egal wie das heute ausgeht.
    Schulz: Also Sie rechnen mit einer Mehrheit gegen die Vorratsdatenspeicherung?
    Lufen: Das ist jetzt ein Bauchgefühl, nach meiner Stimmungslage wird das sehr knapp, ich kann Ihnen das nicht sagen.
    Schulz: Aber wieso kann Gabriel dann Parteichef bleiben? Er hat – das sag ich jetzt mal flapsig – doch der SPD jetzt diese Vorratsdatenspeicherung aufgedrückt.
    Lufen: Ja, aber ein Parteivorsitzender muss sich in einer Sache doch nicht immer durchsetzen und dann gleich seinen Hut in den Ring werfen oder...das haben ja auch Medien so dargestellt. Ich sehe das nicht so. Man darf als Parteivorsitzender auch mal zurückrudern, wenn es in der Sache richtig ist.
    Schulz: Ja, dann sind Sie da so pragmatisch wie Ihre Generalsekretärin Fahimi, die sagt: Ach, wegen ein paar Grundrechtsartikeln oder der Auslegung von ein paar Grundrechtsartikeln, da wollen wir doch hier nichts riskieren.
    Lufen: Es geht um eine sorgfältige Abwägung, und dafür ist ja auch ein Parteikonvent da, darüber noch mal zu diskutieren und die Parteirichtung auch vorzugeben. Und an der Stelle, denke ich, ist das auch ein Signal für den Parteivorsitzenden, und ich bin mir sicher, dass er dann dieses Votum auch ernst nimmt und dann auch weiterverfolgt.
    Schulz: Sigmar Gabriel hat selbst ja auch gesagt, wenn die Vorratsdatenspeicherung durchfiele, dass er hofft, dass diejenigen, die dafür verantwortlich sind, auch wirklich wissen, wofür sie dann alles die Verantwortung übernehmen, was ja durchaus als Verknüpfung mit seiner Person verstanden wurde. War das ein Irrtum?
    Lufen: Dazu kann ich nichts sagen, das weiß ich nicht. Mir geht es auch in einem Aspekt um das Thema der Wirkungslosigkeit der Vorratsdatenspeicherung – nach einem Gutachten beispielsweise des Bundeskriminalamtes kann die durchschnittliche Aufklärungsquote ja kaum erhöht werden. Das sind alles Fakten, die man ja auch zur Kenntnis nehmen muss. Es geht um die Sache, und da muss man sich mal die ...
    Schulz: Ja, aber Herr Lufen, das sind ja alles Fakten, die Ihre Parteispitze, Ihre Parteiführung nicht zur Kenntnis nimmt. Sind Sie da in der falschen Partei?
    Lufen: Nein, die Parteispitze nimmt das zur Kenntnis. Dafür haben wir doch einen Parteikonvent, und wir werden das heute lebhaft diskutieren.
    Schulz: Sagt Markus Lufen, SPD-Chef aus Bielefeld und Delegierter eben heute bei diesem SPD-Parteikonvent in Berlin. Herzlichen Dank für das Interview heute Morgen!
    Lufen: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.